Energie: Wieder Selbstversorger sein

Illustration Natalia Nowakowska / Adobe Stock
Österreich will bis 2030 erstens wieder den Strombedarf zur Gänze (jedenfalls bilanztechnisch) selbst decken und dies zweitens zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien tun. Dazu bedarf es allerdings noch einiger Anstrengungen.
Klima- und Energiestrategie #Mission2030:

  • Strom bis 2030 zu 100 % erneuerbar produzieren
  • Strom-Selbstversorger sein: so viel selbst prodzieren, wie verbraucht wird
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ie Ziele sind ambitioniert: Die Klima- und Energiestrategie #Mission2030 sieht vor, dass bis 2030 Strom zu 100 Prozent (bilanziell) erneuerbar produziert wird. Außerdem will Österreich, das zwar lange in Sachen Strom Selbstversorger war, seit Beginn der 2000er Jahre aber Strom importieren muss, zumindest in der Jahresbilanz wieder so viel Strom selbst produzieren, wie es verbraucht.

Schon jetzt ist der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung in Österreich mit einem Anteil von über 70 Prozent hoch. Doch es ist nicht nur der Anteil des Stroms aus nicht erneuerbaren Energien zu ersetzen, sondern der Strombedarf wird insgesamt zunehmen, betont AK-Energieexperte Josef Thoman im Gespräch mit dem A&W-Magazin. Grund dafür ist der Umstieg auf Strom in verschiedensten Bereichen – Beispiele sind etwa das Elektroauto oder stromgeführte Wärmepumpen. Verschiedene Szenarien gehen von einem Gesamtbedarf zwischen 75,9 (Modell des Umweltbundesamts) und 88,3 Terrawattstunden (Modell von Österreichs Energie, der Interessensvertretung der heimischen E-Wirtschaft) im Jahr 2030 aus.

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Zwischenbilanz 2018

Ziel der Selbstversorgung:
Im Inland erzeugter Strom (2018)
67,9 von 71,8 TWh

Ziel von 100 % erneuerbarem Strom
Aus erneuerbaren Energien erzeugter Strom
8,8 von 67,9 TWh

2018 betrug der Stromverbrauch in Österreich laut E-Control 71,8 Terrawattstunden (TWh). Im Inland erzeugt wurden 67,9 TWh. Mehr als die Hälfte steuerten dabei Wasserkraftwerke mit 41,2 TWh bei. Wärmekraftwerke produzierten 19,9 TWh. Inkludiert sind hier auch die Erträge aus den beiden noch bestehenden Steinkohlekraftwerken Dürnrohr und Mellach mit 1,8 TWh, die in Bälde heruntergefahren werden, so Thoman. Mit Hilfe erneuerbarer Energien wurden 2018 8,8 TWh Strom produziert. Wind steuerte hier 6 TWh bei, Photovoltaik 0,8 TWh.

Energieeffizienz

Wie aber können die hoch gesteckten Ziele – den eigenen Strombedarf vollständig zu decken, und dies zu 100 Prozent (bilanziell) aus erneuerbaren Energien – erreicht werden? Thoman nennt hier als ersten Punkt einen effizienteren Einsatz von Energie. „Energieeffizienz ist die wichtigste Maßnahme – nur leider ist es auch die Maßnahme ohne Lobby.“

Energieeffizienz ist die wichtigste Maßnahme – nur leider ist es auch die Maßnahme ohne Lobby.

Josef Thoman, AK Wien

Ein durchschnittlicher Haushalt verbraucht laut der Interessensvertretung Österreichs Energie im Jahr 4.415 kWh, der größte Anteil entfällt dabei auf Heizung (20,5 Prozent), Haushaltsgroßgeräte (17,4 Prozent), Warmwasserbereitung (17,1 Prozent), Kühl- und Gefriergeräte (12,3 Prozent), Beleuchtung (8,6 Prozent) sowie Büro- und Unterhaltungsgeräte (7,0 Prozent). Der Stand-by-Betrieb macht immer noch 4,2 Prozent der jährlichen Stromrechnungen aus. Letzteres ließe sich leicht vermeiden. Einsparpotenziale gäbe es zudem durch energieeffizientere Geräte. Der Energieverbrauch der heimischen Haushalte macht allerdings nur etwas mehr als ein Viertel des Stromverbrauchs aus. Fast die Hälfte des benötigten Stroms entfällt auf die Industrie, ein Fünftel auf den Dienstleistungsbereich.

Andere Wind- und Photovoltaikanlagen

Als zweiten Punkt, um die Ziele von #Mission2030 zu erreichen, nennt Thoman den Ausbau von Windenergie und Photovoltaik. „Wir werden eine Verdreifachung des Ökostroms brauchen.“ Allerdings sei hier ein Umdenken angesagt: Das Gros der Anlagen heute sei davon abhängig, wann die Sonne scheint oder der Wind weht. „Es würde daher Sinn machen, Anreize zu schaffen, Anlagen zu bauen, die zwar in Summe weniger, dafür stetig einspeisen.“

Das Gros der Anlagen heute ist davon abhängig, wann die Sonne scheint oder der Wind weht.

Photovoltaik-Anlagen könnte man beispielsweise statt südseitig ost-west-seitig ausrichten. Windanlagen wiederum produzieren bei viel Wind viel Strom, der dann allerdings oft nicht sofort gebraucht würde. Hier könnten Schwachwindanlagen für eine konstantere Produktion sorgen, so Thoman. In lokalen Speichern wiederum könnten Produktionsspitzen eingespeist und genutzt werden, wenn weniger Wind weht.

Solche Maßnahmen würden dazu beitragen, Stromerzeugung planbar zu machen und konstant zu halten, ergänzt AK-Energieexperte Michael Soder. Anzustreben sei nicht, den Wetterverhältnissen entsprechend jeweils im Moment die maximal mögliche Strommenge zu produzieren, sondern Strom konstant und damit systemdienlich herzustellen.

Es braucht massive Anstrengungen, um die produzierte Energie besser vom Sommer in den Winter zu transferieren.

Stichwort speichern: Hier braucht es massive Anstrengungen, um die produzierte Energie besser vom Sommer in den Winter zu transferieren. Ansätze, die auf die Produktion von Gas (Wasserstoff, Veredelung von Biogas, Methan) setzen, seien hier zwar erst am Anfang, aber unbedingt weiter zu verfolgen. Noch gibt es hier allerdings hohe Wirkungskraftverluste.

Der Bau von neuen Anlagen und die Entwicklung neuer Methoden kosten insgesamt viel Geld – ebenso wie der dringende Ausbau der Stromnetze, um besser als bisher Strom auch aus den vielen kleinen Anlagen einspeisen und nutzen zu können. Bisher war die Förderung erneuerbarer Energien im Ökostromgesetz geregelt. Dieses soll durch das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) abgelöst werden. Die gescheiterte ÖVP-FPÖ-Regierung konnte bis zuletzt allerdings keinen entsprechenden Entwurf vorlegen. Hier wäre nach der Nationalratswahl eine künftige Regierung rasch gefordert, betont Thoman. Und er mahnt dabei einen Richtungswechsel ein – denn die Förderung im Ökostrombereich sei zunehmend in die falsche Richtung gegangen.

Fördersystem umstellen

Derzeit wird rund ein Viertel der Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien gefördert. Nur ein kleiner Teil der Fördermittel kommt allerdings aus dem öffentlichen Budget. Das Gros der Förderungen wird von den StromkonsumentInnen über den Strompreis bezahlt. Der hängt aufgrund der Merit-Order aber stark am Gaspreis. Zur Kasse gebeten werden dabei jedoch vor allem die privaten Haushalte und kleinen Gewerbebetriebe: Sie zahlen laut Thoman derzeit 5,6 Cent/kWh für das Stromnetz und 2,6 Cent/kWh an Ökostromförderung. Ein Industriebetrieb dagegen zahlt nur 1,2 Cent/kWh an Netzkosten und 0,5 Cent/kWh für die Ökostromförderung. Das bedeutet, dass private Haushalte und kleine Gewerbebetriebe nur ein Viertel des gesamten Stroms verbrauchen, aber mehr als die Hälfte der Kosten tragen. Die Großindustrie verbraucht ebenfalls rund ein Viertel des Stroms, „trägt aber weniger als zehn Prozent der Kosten für das Stromnetz und die Förderung erneuerbarer Energie“. Thoman spricht hier von einer Zwei-Klassen-Energiegesellschaft.

Ungleichverteilung der Fördermittelzahlung

Private Haushalte / kleine Gewerbebetriebe
zahlen:
5,6 Cent/kWh für das Stromnetz

2,6 Cent/kWh für die Ökostromförderung

Industriebetriebe
zahlen
1,2 Cent/kWh für das Stromnetz

0,5 Cent/kWh für die Ökostromförderung

Die AK fordert daher eine Neugestaltung des Fördersystems für Ökostrom. Einerseits müsse bei neuen Anlagen der Schwerpunkt im Bereich Wind und Photovoltaik gesetzt werden. Sie seien nach den Jahren der Förderung, in denen die Investitionen abgeschrieben werden könnten, wirtschaftlich rentabel zu führen, vor allem auch daher, da sie keine Rohstoffe benötigen würden. Anders sieht es mit Biomasse aus: Viele Anlagen würden sich nach der 13-jährigen Förderzeit nicht tragen, daher würden immer weiter Anschlussförderungen vom Gesetzgeber beschlossen – das habe auch zuletzt die ÖVP wieder forciert. Damit sei diese Technologie und die derzeitige Form der Förderung langfristig jedoch zu überdenken. Ihr Vorteil liege in der steuerbaren Verfügbarkeit, zum Abdecken von Spitzen sei sie daher weiter vorstellbar. Sie sei aber insgesamt sehr teuer.

Es braucht mehr Anreize für Energieanbieter, Strom zum richtigen Zeitpunkt zu produzieren und einzuspeisen – nämlich dann, wenn er benötigt wird.
Umgestaltet sehen möchte die AK zudem die Förderungszahlungen. Es sei einerseits sozial nicht verträglich, dass die Hauptlast von privaten Haushalten und kleinen Betrieben getragen werde. Hier wären Förderungszahlungen aus dem öffentlichen Budget fairer, so Thoman. Der Energieexperte fordert aber auch mehr Anreize für Energieanbieter, Strom zum richtigen Zeitpunkt zu produzieren und einzuspeisen – nämlich dann, wenn er benötigt wird (dazu würden etwa, siehe oben, Schwachwindanlagen beitragen).

„Derzeit sagt man den BetreiberInnen, du bekommst für eine Kilowattstunde einen bestimmten Preis, unabhängig davon, wann du einspeist.“ Dadurch hätten die AnlagenbetreiberInnen allerdings eben keinerlei Anreiz, „sich zu orientieren, wie hoch ist der Verbrauch, wie ist die Auslastung der Netze“. Das führe dazu, dass oft bei geringer Nachfrage viel und bei hoher Nachfrage zu wenig Strom verfügbar sei. Ein zielgerichteteres Fördersystem würde daher Marktprämien vorsehen. Die BetreiberInnen würden dabei den Marktpreis erhalten sowie pro Kilowattstunde einen geförderten Aufschlag. „Damit hätten sie einen Anreiz, sich am Markt zu orientieren, bekommen aber trotzdem mehr Geld, sodass sie gegenüber anderen Technologien wettbewerbsfähig sind.“

Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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