Natalie Harsdorf sitzt in einem kleinen, spartanischen Büro im Bundesamtsgebäude in der Wiener Radetzkystraße, und äußerlich deutet wenig darauf hin, dass hier die Frau residiert, die der Schrecken der Mächtigen, der großen Konzerne und der Wirtschaftsbosse ist. Nach längerem Gezerre wurde die heute 40-Jährige 2023 auch formal Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) – jahrelang war versucht worden, sie zu verhindern. Harsdorf ist Juristin und Kartellrechtsexpertin, sie ist international ausgebildet, stellt Preistreibern nach, zerschlägt Monopole und ist die Anwältin der Konsument:innen. Einflussreiche Feind:innen hat sie wohl genug.
Arbeit&Wirtschaft: Die Inflation bleibt hoch, die Preise für Lebensmittel und Energie belasten die Bürger:innen. Ein Fall für die Bundeswettbewerbsbehörde?
Natalie Harsdorf: Wettbewerb wirkt sich mittel- und langfristig positiv für die Verbraucher:innen aus. Wenn ich gezwungen bin, mich um Kund:innen zu bemühen, dann versuche ich, den Preis möglichst niedrig zu halten. Bin ich aber Monopolist:in, dann setze ich ihn so hoch an, dass das Produkt gerade noch gekauft wird. Wettbewerb führt also zu niedrigeren Preisen auf Märkten, aber Wettbewerb ist natürlich nicht etwas, was man auf Kopfdruck einschalten kann. Man muss dafür sorgen, dass es einen attraktiven Standort gibt, sodass viele Unternehmen hier überhaupt tätig werden können und auch neue in den Markt eintreten. Was nun etwa die Lebensmittelmärkte betrifft, sieht man in Österreich, dass die Marktkonzentration auf verschiedenen Ebenen Auswirkungen hat – nicht nur, was den Handel betrifft.
Wo noch?
Es beginnt schon bei der Frage, wer Lebensmittel produziert. Einige Konzerne haben hier sehr viel Marktmacht.
Nestlé, Unilever und die ganz großen Global Player?
Ja, hier hat man in einigen Segmenten eine hohe Konzentration, bei Fertigsuppen etwa ist sie extrem, oder auch bei Knabbergebäck. All das hat Auswirkungen, weil selbst die Handelsunternehmen, die bei uns groß sind, im Vergleich zu den Global Playern nicht besonders marktmächtig sind. Wir haben in Österreich im Handel wiederum eine sehr hohe Marktkonzentration, und das wirkt sich negativ auf den Wettbewerb aus. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat schon in den 2010er-Jahren umfangreiche Ermittlungen wegen Preisabsprachen, Kartellbildung usw. durchgeführt, es gab Hausdurchsuchungen, die Verurteilungen und hohe Geldbußen zur Folge hatten. Es wurden 70 Millionen Euro an Strafen verhängt. Es ist aber auch die Aufgabe der BWB, strukturelle Probleme aufzuzeigen und die Politik dazu zu bewegen, Rahmenbedingungen zu verbessern. Deswegen haben wir schon vor einiger Zeit die sehr unterschiedlichen Einkaufspreise für den Handel im europäischen Binnenmarkt thematisiert.
Ein Klassiker: österreichische Manner Schnitten, die in Deutschland billiger sind als bei uns!
Wir haben festgestellt, dass kleinere Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union benachteiligt werden. Die Produzent:innen setzen die Preise nicht für den Binnenmarkt, sondern separat für die Mitgliedsstaaten fest.
Sie sprechen vom sogenannten Österreich-Aufschlag.
Bloß, dass es kein Österreich-Aufschlag ist, es trifft alle kleineren EU-Mitgliedsstaaten. In manchen hat man noch höhere Preise als in Österreich.
Ich muss am Abend
in meiner Freizeit keine Krimis schauen –
das habe ich während der Arbeitszeit.
Natalie Harsdorf, Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde
Es ist doch völlig verrückt, dass man einen europäischen Binnenmarkt hat, aber als Händler nicht in Deutschland einkaufen darf.
Für die meisten Preisunterschiede gibt es kein vernünftiges ökonomisches Argument. Wir haben das schon 2023 an die EU-Kommission herangetragen.
Man würde annehmen, damit rennt man dort offene Türen ein.
Es betrifft aber eben einzelne Mitgliedsstaaten überhaupt nicht. Jetzt gibt es eine Allianz der kleineren Mitgliedsstaaten, die wächst. Deshalb braucht so etwas, wie fast alle europäischen Angelegenheiten, ein wenig Zeit.
Was kann man sonst noch tun?
Wir haben Vorschläge gemacht, die meisten gehen in Richtung Transparenz. Wir bekommen von Konsument:innen das Feedback, dass die meisten das Gefühl haben, sie durchschauen das Preisgefüge nicht. Wenn ich ein Fernseher kaufe, dann studiere ich vielleicht Preise, Qualität, die verschiedenen Marken. Das macht ja niemand mit 50 Produkten beim Wocheneinkauf.
Selbst wenn man könnte, würde man mit seiner Zeit vielleicht Besseres anfangen.
Es gibt so viele Aktionen, die Preisvergleiche noch schwieriger machen. Viele Menschen würden sich einfache Preisvergleichsmöglichkeiten wünschen. Die bestehenden Vergleichsportale müssen eine verbesserte Möglichkeit erhalten, zu den Daten des Handels zu kommen.
Dann gebe ich um 8 Uhr morgens ein, was ich einkaufen will, und das Portal sagt mir, wo das heute am billigsten ist?
Beispielsweise, ja. Bis jetzt hat man das nicht umgesetzt.
Wer nicht so Internet-affin ist, hat dann schon verloren, wer gut beim Preisvergleich im Netz ist, gewinnt.
Das ist hundertprozentig richtig, und das gilt nicht nur für Lebensmittel, sondern etwa auch im Energiebereich. Konsument:innen, die die Preisvergleichsmöglichkeiten nutzen, finden die günstigsten Tarife und zahlen viel weniger, und die anderen bleiben in teuren Verträgen gefangen. Wir sehen immer wieder, dass gerade Haushalte, die ein besonders enges Budget haben, nicht wechseln. Da muss man leider sagen: Man kommt am Internet nicht vorbei. Wir sehen auf dem Energiemarkt sehr große Preisunterschiede. Die Differenz zwischen dem günstigsten und dem teuersten Tarif ist enorm. Das zeigt auch, dass der Wettbewerb nicht funktioniert, denn wo es echten Wettbewerb gibt, da gleichen sich die Preise an. Und deshalb ist es so wichtig, dass Konsument:innen auf ihr Börserl aufpassen, dass sie Preise vergleichen und Anbieter auch wechseln. Sehen sie auf der E-Control-Website nach, wir haben eine viel zu niedrige Wechselrate!

Wie niedrig?
Nur 4 Prozent der Kund:innen wechseln. Im ersten Halbjahr 2025 waren es noch weniger – das ist extrem niedrig. Wir liegen weit hinter anderen EU-Staaten. Niemand muss aus Sicherheitsgründen bei seinem Landesenergieversorger bleiben. Ich glaube, dass die Konsument:innen eine viel zu vertrauensvolle Haltung haben, so in dem Sinn: „Wird schon passen …“ Damit zahlt man leider wirklich drauf.
Der Wettbewerb bei der Energie funktioniert also auch nicht richtig?
Es gibt keinen bundesweiten Wettbewerb. Die Unternehmen versuchen oft nicht einmal, neue Kund:innen außerhalb ihres Netzgebietes zu gewinnen. Es gibt ein strukturelles Problem. Diese Unternehmen sind sehr stark untereinander verbunden, das heißt, sie haben Beteiligungen untereinander. Das kann manchmal schon sinnvoll sein, etwa wenn man sich an gemeinsamen Investitionen beteiligt, bei Infrastrukturprojekten. Aber das Ergebnis prägt die Kultur des Marktes. Es mindert den Wettbewerbsgedanken. Diese Beteiligungen müssen reduziert werden.
Die Bundesländer haben daran kein großes Interesse. Die Gewinne der Landesenergieversorger fließen ins Budget.
Aber wenn Österreich im gegenwärtigen schwierigen ökonomischen Umfeld wettbewerbsfähig sein und noch wettbewerbsfähiger werden will, dann müssen wir bei solchen Schlüsselmärkten etwas machen. Sie haben Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette, von den Kosten für die Unternehmen bis zur Kaufkraft der Konsument:innen. Da muss man schmerzhafte Schritte setzen.
Was genau heißt schmerzhaft?
Auch die Reduktion der Beteiligung ist schmerzhaft. Das ist finanziell nicht so leicht aufzulösen, hier müssen Entflechtungen vorgenommen werden. Aber die Energiekosten und damit der Wettbewerb sind ein Schlüssel für unsere Wettbewerbsfähigkeit.
Man hat oft gesagt, die Strompreise würden wegen des Merit-Order-Prinzips hinaufgetrieben, bei dem das teuerste Kraftwerk den Preis bestimmt, in der Regel ist das ein Gaskraftwerk. Nun wurden im Vorjahr 94 Prozent des österreichischen Stromverbrauchs durch Erneuerbare gedeckt.
Das Problem mit der Preisbildung auf dem Strommarkt muss man auf europäischer Ebene lösen.
Man kann nicht sagen: Wir steigen aus diesem Preismechanismus aus?
Bei einem so integrierten Strommarkt, wie ihn Österreich mit seinen Nachbarn hat, wird das nicht gehen, nach allem, was mir die Expert:innen dazu sagen.
Es gibt eine Romantik oder Ideologie des Wettbewerbes: Hat man nur transparente Märkte, dann werden die Produkte besser, die Güter billiger, und am Ende retten wir sogar die Welt mit Ökokonsum. Überfordert das nicht die Konsument:innen?
Es ist eine Illusion, dass man nur mit den Instrumenten des Wettbewerbsrechts einen Staat oder Markt schafft, der perfekt funktioniert. Dafür brauche ich auch andere Instrumente, vom Sozialstaat über den Arbeitnehmer:innenschutz bis hin zu Kollektivverträgen. Mit Wettbewerbsrecht schaffe ich auch keine sauberen Flüsse. Aber Wettbewerbsrecht kann einen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten. Günstige Preise schaffen Fairness und Gerechtigkeit.
Wenn es einen Verdacht auf Kartellbildung oder Ähnliches gibt – was machen Sie da? Wie arbeitet Ihre Behörde?
Wir können mit Hinweisgeber:innen arbeiten. Unternehmen können sich bei uns melden und als Kronzeug:innen straffrei bleiben. Wir tragen Puzzlesteine zusammen. Und wenn sich ein Verdacht erhärtet, dann machen wir ihn beweisfest fürs Gericht. Es ist investigative Arbeit. Wir haben Zeug:innen, wir sichern mit Hausdurchsuchungen Beweismittel. Ich muss am Abend in meiner Freizeit keine Krimis schauen – das habe ich während der Arbeitszeit.
Gemeinsam gegen Kartelle – über Grenzen hinweg!
Das #Bundeskartellamt und die #Bundeswettbewerbsbehörde kooperierten bereits vor 15 Jahren zum ersten Mal.
Heute treffen sich übrigens alle Spitzen der europäischen #Wettbewerbsbehörden im Rahmen des Director General Meetings.
— Bundeswettbewerbsbehörde (@bwboesterreich.bsky.social) 26. November 2025 um 11:37
Sie sitzen dann hier hinter Ihrem Computer und beauftragen eine Hausdurchsuchung?
Ich als Generaldirektorin beantrage einen Durchsuchungsbefehl, ja – und ein Gericht prüft das. Das ist sehr wichtig: Ein unabhängiges Gericht ordnet das dann an. Erhärtet sich der Verdacht und kommt es zu einer Verurteilung, zahlen die Unternehmen eine Buße. Die fließt ins Budget und entlastet die Steuerzahler:innen, dient also am Ende dem Gemeinwohl.
Sie steigen mächtigen Leuten auf die Zehen, die Druck ausüben können. Ich nehme an, Sie haben viele mächtige Feind:innen …
Als Leiterin der BWB gehe ich gegen starke ökonomische Interessen vor. Naturgemäß hat man laufend Konflikte. Es wird auch versucht, mit PR- und Pressekampagnen die Behörde in ein schiefes Licht zu bringen. Wir haben weder das Geld noch andere Ressourcen, um dem etwas entgegenzusetzen. Unsere Reaktion darauf sind große Transparenz und eine Arbeit auf höchstem Niveau. Es braucht starke Schultern und auch Rückgrat, aber das ist mein Job als Behördenleiterin.