Warum brauchen wir Selbstverwaltung in der Politik?

Ein Hausarzt misst den Puls eines Patienten. Symbolbild für Selbstverwaltung.
Gute Gesundheitsversorgung geht nur durch eine selbstverwaltete Sozialversicherung, meint die ehemalige Sozialministerin Lore Hostasch. | © Adobestock/Drazen
„Selbstverwaltung muss vom Staat unabhängig sein“: Lore Hostasch, ehemalige Sozialministerin, beantwortet in der Rubrik „Die große Frage“, warum die Selbstverwaltung wichtiger denn je ist.
Ein Staat ohne Sozialpolitik verdient diesen Namen nicht. Die Sozialpolitik muss sicherstellen, dass man nicht alleine dasteht, wenn man krank ist, einen Unfall hat, keine geeignete Arbeit findet oder wegen Alter oder Krankheit nicht für sich sorgen kann.

Das ist Grundlage jeder demokratischen und gerechten Gesellschaft. Ebenso ist die Möglichkeit der effizienten Interessenvertretung für jede Berufsgruppe eine Selbstverständlichkeit.

„Selbstverwaltung“ in der Sozialversicherung und in der Interessenvertretung heißt, dass wichtige Teile der Aufgaben in diesen Bereichen nicht von staatlichen Organen erledigt werden, sondern von den Vertreter:innen der Versicherten, der Beitragszahler:innen, oder der jeweiligen Berufsgruppe. Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer sind solche gewählten Vertretungen. Selbstverwaltung muss vom Staat unabhängig sein und ist daher näher bei den Menschen und ihren Bedürfnissen als die staatliche Verwaltung. Sie fördert eine solidarische Verbindung der verschiedenen Interessen.

Einfach erklärt: Die Selbstverwaltung
In Systemen der Selbstverwaltung werden Verwaltungsaufgaben des Staates an Organisationen übertragen, die dann durch Delegierte oder Versichertenvertreter:innen ihre Finanzmittel eigenständig verwalten – und damit selbst über die Verwendung der von den Mitgliedern eingehobenen Beiträge entscheiden. Der Staat verfügt dabei über kein Weisungsrecht, er hat nur Aufsichtsrechte. In der Praxis sind Gemeinden ebenso selbstverwaltet wie Hochschulen, Vereine oder öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Auch die gesetzlichen Interessenvertretungen wie Arbeiterkammern und Wirtschaftskammern sowie die freien Berufe zählen dazu.

Alle fünf Jahre entscheiden alle unselbstständig Beschäftigten bei den Arbeiterkammerwahlen über die Zusammensetzung der sozialen Selbstverwaltung. Sie wählen die Kammerrät:innen, die in die Gremien der Sozialversicherung entsandt werden. Diese Delegierten ziehen in die Führungsetagen der Sozialversicherungsträger ein. Sie bestimmen dann, wofür die eingehobenen Beiträge zur Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung ausgegeben werden. Kammerrät:innen haben detailreiche Einblicke in die Problemlagen der Arbeitnehmer:innen. Aus diesem Wissen heraus können sie als Versichertenvertreter:innen im Rahmen der Gesetze optimal gestalten, wie die einbezahlten Beiträge in der Sozialversicherung verwendet werden.

Warum die Selbstverwaltung in Gefahr ist

Für die Vertreter:innen der Arbeitnehmer:innen in der sozialen Selbstverwaltung wird es aufgrund gesetzlicher Änderungen immer schwieriger, Verbesserungen im Leistungsrecht für Beschäftigte durchzusetzen. Der Grund? In allen Entscheidungsgremien der Sozialversicherung können die Arbeitgebervertreter:innen jede Entscheidung blockieren. Und das, obwohl die Arbeitgeber:innen bei der Gesundheitskasse gar nicht versichert, also auch nicht betroffen sind.

Die Abhilfe? Arbeitnehmervertreter:innen müssten wieder die Mehrheit in den Gremien ihrer Sozialversicherung bekommen, um die Interessen der Beitragszahler:innen vertreten zu können. Die Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem wachse. Die Menschen haben keine Anlaufstelle mehr, und vielen fehle die Information, was ihnen eigentlich zustehe.

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Über den/die Autor:in

Lore Hostasch

Lore Hostasch war Vizepräsidentin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und Präsidentin der Bundesarbeitskammer und Arbeiterkammer Wien. Von 1997 bis 2000 bekleidete sie das Amt der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales

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