Vom guten Leben in der Stadt

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Der öffentliche Raum wird in der wachsenden Stadt rarer und umso begehrter. Er muss als Lebensraum bereits in der Planung mitgedacht werden.

Verschiedene Nutzungsansprüche

Die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit des öffentlichen Raums und von Freiräumen im Wohn- und Arbeitsumfeld sind für viele Bevölkerungsgruppen eine zentrale Größe für ihre Lebensqualität. Dazu zählen besonders Kinder, Jugendliche, Jungfamilien, ältere Personen mit kleinen Aktionsradien und sozial benachteiligte wie einkommensschwächere Menschen. Dies sind denn auch genau jene Gruppen, die jedenfalls in Wien stark wachsen. Eine dem Alltag angepasste Stadtgestaltung, die öffentlichen Raum als Rückzugs- und Lebensraum begreift und das Vorankommen zu Fuß und das konsumfreie Verweilen begünstigt, ist also für einen Großteil der Stadtbevölkerung wesentlich. Auswertungen zeigen zudem: Frauen gehen um rund ein Drittel mehr zu Fuß als Männer und SeniorInnen doppelt so viel wie Jugendliche.

Vor allem in den beengten Verhältnissen der dicht bebauten Stadt werden durch den begrenzten Platz Konfliktlinien deutlich. So haben Menschen unterschiedliche Mobilitätsanforderungen und fordern ihren Raum für Auto-, Rad- oder Fußverkehr ein. Auch zwischen Jung und Alt und damit verbundenen unterschiedlichen Bedürfnissen nach Bewegung und Aktivität oder Ruhe und Erholung entstehen Konfliktfelder.

Nutzung von Potenzialen

Das Recht auf Stadt ist auch ein Recht auf Zentrum. Oftmals finden in erster Linie Privilegierte (hohe Bildung, Einkommen, Kommunikationsstärke) und starke Lobbys Gehör. Dabei sollten gerade in der enger werdenden Stadt allgemeine vor individuelle Interessen gestellt und damit Zugänglichkeit und Nutzbarkeit des öffentlichen Raums für alle – insbesondere sozial Benachteiligte – gewährleistet werden. Möglichst mannigfaltige Nutzungsansprüche zu verbinden muss das Ziel sein. Die Umsetzung von Projekten mit dem Anspruch, den öffentlichen Raum wieder Menschen zurückzugeben, ist schwierig. (Medialer) Widerstand durch starke Lobbys schlägt den InitiatorInnen solcher Vorhaben entgegen. Der Weltuntergang wurde keinesfalls bei der Umgestaltung der Mariahilfer Straße zum ersten Mal heraufbeschworen, sondern schon bei der Umsetzung der Fußgängerzone in der Wiener Kärntner Straße Anfang der 1970er-Jahre und bei vielen anderen ähnlichen Projekten.

Aber es müssen nicht immer großdimensionierte (Prestige-)Projekte sein, auch im Kleinen kann lokal ein deutliches Mehr an Lebensqualität erreicht werden. So sind gerade im wachsenden Wien, wo in den dicht bebauten (Gründerzeit-)Gebieten zusätzlich eine überraschend hohe Zahl an Menschen unterkommt, neue Ansätze für den öffentlichen Raum gefragt, etwa mit der Schaffung qualitätsvoller Mikrofreiräume samt Sitzgelegenheiten und Begrünung. Oftmals können mit Durchwegungen, Öffnungen von Baublöcken und Rad- wie Fußwegstegen ganze Gebiete an Freiräume angeschlossen werden.

Auch die temporäre und nicht kommerzielle alternative Nutzung von Straßenzügen und Parkplätzen kann erheblich zur Steigerung der Lebensqualität, der Kommunikation und des Austausches im Grätzl beitragen. Beispiel sind die sogenannten Spielstraßen: Ausgewählte Straßenabschnitte werden regelmäßig für den Autoverkehr gesperrt und Kindern zum Spielen zur Verfügung gestellt.

Ein anderes Beispiel sind die Grätzloasen, also die temporäre Umgestaltung von Parkplätzen. Dass die Aktivierung von Flächen und die Schaffung neuer Räume in der Stadt durchaus möglich sind, zeigen auch Projekte wie die Wiental-Terrasse oder die Nutzbarmachung der Gürtelareale für Jugendliche. Zusätzlich kann die Mehrfachnutzung der Sport- und Spielflächen von Schulen und Kindergärten, Vereinssportanlagen, aber auch Bibliotheken oder Volkshochschulen neue Möglichkeiten bieten – bereits Öffentliches muss noch weiter geöffnet werden.

Das Öffentliche als Lebensraum

Der öffentliche Raum ist Lebensraum! In (wachsenden, dicht bebauten) Städten braucht es also Vorrang für jene Gruppen und ihre Bedürfnisse, die auf den öffentlichen Raum besonders angewiesen sind und ihn dringend brauchen. Das bedeutet mitunter eine Umverteilung und -gestaltung des bestehenden Raums. Öffentlicher Raum als Lebensraum muss bereits in der Planung mitgedacht werden. Der Mensch (als FußgängerIn) muss in den Mittelpunkt der Planung rücken. Der öffentliche Raum ist wertvolles Gut für alle und dient als tragfähige Basis für die künftige städtische Entwicklung und Sicherung urbaner Lebensqualität.

Kommerzielle und nicht-kommerzielle Nutzung im öffentlichen Raum
VCÖ „Verkehrssystem sanieren für die Zukunft
Bevölkerungsprognose für Wien

Von
Judith Wittrich
Abteilung Kommunalpolitik der AK Wien

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/17.

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