Vertrauen verbindet: Zwei Behinderten-vertrauenspersonen erzählen aus ihrem Alltag

Porträt von Behindertenvertrauensperson Ruth Feichtinger. Sie hat ihre Arme verschränkt und blickt in die Kamera.
Ruth Feichtinger ist Behindertenvertrauensperson und ist meist die erste Kontaktperson von Kolleg:innen mit Behinderungen. |© Markus Zahradnik
Ab fünf begünstigt behinderten Mitarbeiter:innen kann eine Behindertenvertrauensperson gewählt werden. Sie fördert inklusives Arbeiten im Betrieb – vor allem aber ist sie wichtige Ansprechperson für Menschen mit Behinderungen.
An einem bewölkten Vormittag im Februar empfangen mich Ruth Feichtinger und ihr Kollege Gregor Kratochwill-Pichler in ihrem Büro im Magistrat Linz. Die beiden Behindertenvertrauenspersonen haben einen übervollen Terminkalender, dennoch nehmen sie sich die Zeit für ein Gespräch. Seit dem Jahr 2022 sind die beiden für die Behindertenvertretung im Magistrat zuständig. Ein Betrieb braucht mindestens fünf begünstigt behinderte Beschäftigte, die dauerhaft angestellt sein müssen, um eine Behindertenvertrauensperson und eine:n Stellvertreter:in wählen zu können – eine Zahl, die das Magistrat Linz bei Weitem übertrifft: Rund 250 Menschen gehören hier dazu.

Von Arzttermin bis Pensionsantrag

Wer als Behindertenvertrauensperson kandidieren möchte, muss selbst der Gruppe der begünstigten Behinderten angehören und damit einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent haben. Außerdem müssen Kandidat:innen am Tag der Wahl und der Wahlausschreibung seit mindestens sechs Monaten beim Betrieb beschäftigt sein und das 18. Lebensjahr vollendet haben. Die Wahl orientiert sich dabei an der Betriebsrats-Wahlordnung. Der Aufgabenbereich gewählter Behindertenvertrauenspersonen? Gemeinsam mit dem:der Arbeitgeber:in und dem Betriebsrat werden die gesundheitlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen der begünstigt behinderten Mitarbeiter:innen eines Betriebes gewahrt. Zusätzlich sind Behindertenvertrauenspersonen Ansprechpartner:innen für diese Kolleg:innen.

Ruth Feichtinger und ihr Team sind als Behindertenvertretung im Magistrat Linz für 250 Kolleg:innen mit begünstigter Behinderung zuständig. | © Markus Zahradnik

Im Magistrat beispielsweise zählen die Themen Berufsunfähigkeit und Wiedereingliederung nach Langzeitkrankenständen zu den großen Aufgaben für die Behindertenvertrauenspersonen. Hier holen sich immer wieder Kolleg:innen Hilfe. „Bei der Wiedereingliederung müssen wir gemeinsam mit den betroffenen Personen und der zuständigen Fachabteilung sprechen, um herauszufinden, welche andere Arbeitsstelle für die Person infrage kommt und passen könnte“, erklärt Feichtinger. Bei Fällen von Berufsunfähigkeit ist man hingegen mit der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) im Austausch. Das ist oft eine Herausforderung, etwa dann, wenn ein Pensionsantrag abschlägig behandelt wird. „Hier verstehen wir unsere Rolle als über den Dienstort hinausgehend. Wir gehen mit Kolleg:innen zu Begutachtungen oder zu Arztterminen mit. Die Kolleg:innen sollen auch dort gut unterstützt werden“, so Feichtinger.

Bewusstsein schaffen

Wirkmächtig können Behindertenvertrauenspersonen in vielen Bereichen werden. Sie bieten nicht nur Unterstützung für Menschen mit Behinderungen und stellen deren gesetzliche Interessenvertretung dar, sondern schaffen darüber hinaus Bewusstsein und sensibilisieren für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen in den Betrieben.

„Ich bin an Krebs erkrankt und bin so in den Kreis der begünstigten Behinderten gekommen, da ich einen Antrag beim Sozialministeriumservice gestellt habe“, sagt Christoph Bures, Zentral-Behindertenvertrauensperson bei der UniCredit Bank Austria in Wien. Bures ist schon lange in der Bank aktiv, doch die Diagnose Krebs änderte nicht nur sein Leben, sondern auch sein Jobprofil stark. Im Jahr 2017 wurde er zur Behindertenvertrauensperson gewählt.

Verständnis und Tatsachen schaffen

Bures hat bei der UniCredit in den unterschiedlichsten Bereichen Erfahrung gesammelt und kennt viele Aufgabenstellungen aus eigener Praxis. In seinen ersten 15 Jahren war er Kund:innenberater, im Backoffice und im Bereich des Innovations- und Ideenmanagements tätig, ehe er danach in eine Führungsposition in der HR-Abteilung wechselte. Seit acht Jahren ist er nun Behindertenvertrauensperson und zusätzlich im Betriebsrat für betriebliches Gesundheitsmanagement und Arbeitnehmer:innenschutz verantwortlich. Bei der Bank Austria arbeiten beinahe gleich viele begünstigt behinderte Menschen wie beim Magistrat Linz.

Die Diagnose Krebs änderte nicht nur sein Leben, sondern auch sein Jobprofil: Christoph Bures ist seither Behindertenvertrauensperson bei der UniCredit Bank Austria. | © Markus Zahradnik

„Als Behindertenvertrauensperson mache ich ganz konkret Beratung für Wiedereingliederungsteilzeit und kümmere mich um die Begleitung der Menschen, wenn sie wieder in die Arbeit zurückgekehrt sind“, erklärt Bures. Häufige Anliegen von Kolleg:innen betreffen außerdem die Unterstützung bei Förderansuchen oder die Anerkennung von begünstigter Behinderung. Zusätzlich dient eine Behindertenvertrauensperson als Vermittlerin zwischen Menschen mit und ohne Behinderung und sorgt für inklusives Arbeiten. „Wir haben einen Kollegen, der aufgrund von multipler Sklerose im Homeoffice arbeitet. Hier geht es darum, den anderen Kolleg:innen im Team zu erklären, weshalb der Kollege von zu Hause aus arbeitet, dass es medizinische Gründe dafür gibt und er nicht bevorzugt wird“, meint Bures.

Im Headquarter der Bank Austria im zweiten Wiener Bezirk gibt es keine fix zugeteilten Arbeitsplätze. Auch hier gilt es, inklusives Arbeiten zu fördern und Bewusstsein zu schaffen – etwa wenn Kolleg:innen an Morbus Crohn, einer chronischen Entzündung des Magen-Darm-Trakts, erkrankt sind. „Auf Personen mit dieser Erkrankung muss Rücksicht genommen werden, damit sie die Möglichkeit haben, nahe einer Toilette einen Arbeitsplatz zu bekommen“, so Bures.

Inklusives Teamwork

Wie viele Behindertenvertreter:innen in Österreich tätig sind, lässt sich trotz ihrer Relevanz nicht genau sagen, denn das Sozialministeriumservice erhebt dazu keine Zahlen. Für die Behindertenvertrauenspersonen in der Bank und im Magistrat ist das allerdings nicht so wichtig. Was bei ihnen an erster Stelle steht, sind eine gute Zusammenarbeit und der laufende Austausch mit der jeweiligen Personalvertretung. „Der Austausch funktioniert bei uns ausgezeichnet. Wir treten regelmäßig gemeinsam auf“, meint Feichtinger und ist überzeugt davon, dass man Arbeitnehmer:innen mit oder ohne Behinderungen nur dann am besten vertreten kann, wenn die Ressourcen gemeinsam genutzt werden. Ähnlich gut klappt die Zusammenarbeit in der Bank. „Der Betriebsrat spricht Kolleg:innen mit Behinderungen aktiv an und verweist bei Fragen an uns“, so Bures. Mittlerweile ist es Mittag geworden im Magistrat, Feichtinger und ihr Kollege haben weitere Termine und müssen wieder los. Denn bei 250 Kolleg:innen geht ihnen die Arbeit nicht so schnell aus.

Drei Fragen zum Lehrgang für BVPs

an Claudia Orthofer, Beraterin des „Chancen Nutzen“-Büros im ÖGB

Der Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) bietet gemeinsam mit der Arbeiterkammer und dem Behindertenverband KOBV sowie mit finanzieller Unterstützung des Sozialministeriumservice einen Lehrgang zur Ausbildung von Behindertenvertrauenspersonen an. Claudia Orthofer berät Behindertenvertrauenspersonen und referiert beim Lehrgang.

1 / Was lernen (angehende) Behindertenvertrauenspersonen im Lehrgang?
Sie werden in vier Modulen geschult. Dabei erwerben sie grundlegendes Wissen über ihre Rolle und ihre Aufgaben und entwickeln ihre sozialen Kompetenzen weiter. Zudem vertiefen sie ihr Verständnis für sozialrechtliche und behindertenrelevante Gesetze und besuchen Seminare zu aktuellen Themen.

2 / Wie lange dauert der Lehrgang, und werden Teilnehmer:innen dafür freigestellt?
Die Module dauern zwei bis fünf Tage. Innerhalb einer Funktionsperiode hat eine Behindertenvertrauensperson Anspruch auf Bildungsfreistellung von bis zu drei Wochen. In Betrieben mit über 200 begünstigt behinderten Mitarbeiter:innen ist eine Freistellung bis zu einem Jahr möglich. Bei weniger als 20 Arbeitnehmer:innen im Betrieb besteht zwar Anspruch auf Freistellung zur Weiterbildung, jedoch ist der:die Arbeitgeber:in nicht verpflichtet, das Entgelt fortzuzahlen.

3 / Welche zusätzlichen Weiterbildungsangebote gibt es für BVPs?
Bereits zertifizierte BVPs können im Follow-up-Seminar ihr Wissen auffrischen. Relevant sind auch Veranstaltungen wie die jährliche gewerkschaftliche Inklusionstagung. Grundsätzlich steht Behindertenvertrauenspersonen das gesamte Bildungsangebot des VÖGB offen.

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Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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