Drei Handwerker in blauen Overalls hämmern und klopfen am Eingang der Vivenotgasse 29, einer Parallelstraße der Meidlinger Hauptstraße in Wien. Ein Brett fehlt noch über der Tür, dann ist der Eingang fertig, zumindest von außen. Drinnen riecht es nach Holzstaub und frischer Farbe. Gläser mit Aufstrichen stehen bereits in der Kühlung. Im Regal nebenan liegen die Schwedenbomben.

Am Freitag eröffnet in Wien-Meidling Österreichs erster Mitmach-Supermarkt: MILA. Er ist als Genossenschaft organisiert, gehört also seinen Mitgliedern selbst. Wer hier einkaufen will, zahlt einmalig 180 Euro für einen Anteil – oder, wenn das zu viel ist, 20 Euro – und verpflichtet sich, drei Stunden pro Monat im Betrieb mitzuarbeiten: an der Kassa, beim Einschlichten der Lebensmittel oder in der Verwaltung. Wer das aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Betreuungspflichten nicht kann, wird befreit. Die Idee hinter MILA ist, gute, leistbare Lebensmittel anzubieten, möglichst biologisch, regional und fair produziert. Doch auch konventionelle Produkte haben ihren Platz, wie die besagten Schwedenbomben. Auf den Einkaufspreis der Produkte wird ein fixer Aufschlag von dreißig Prozent gerechnet, anders als in klassischen Supermärkten, wo Margen stark variieren. Mit diesem Aufschlag finanziert MILA die Miete, Energie und fünf Teilzeitstellen.
Für mehr Transparenz
Die Idee stammt aus New York, von der „Park Slope Food Coop“, die in den 1970er-Jahren gegründet wurde. Sie gilt als Pionierin einer internationalen Bewegung, die Konsum, Verantwortung und Gemeinschaft neu denkt. Auch in New York gehört der Supermarkt seinen Mitgliedern, und nur wer regelmäßig mithilft, darf einkaufen — ein Modell, das heute mehr als 17.000 Menschen involviert.

Die „Park Slope Food Coop“ steht zudem für Transparenz: Preise, Herkunft, Arbeitszeit – alles wird offengelegt. Dieses Prinzip hat weltweit Nachahmer:innen inspiriert. In Europa gilt die Pariser Initiative „La Louve“ als Vorbild, an deren Erfolg sich auch das MILA-Team in Wien orientiert. „Wir haben dort mehrere Tage lang mitgearbeitet und allen über die Schulter geschaut“, sagt Brigitte Reisenberger, Mitglied von MILA und aktuell für die Medienarbeit zuständig. „Alles war so organisiert, dass man ohne Französischkenntnisse mitmachen konnte. Das hat uns beeindruckt“, erzählt sie. Im französischen Markt wurde vieles mit Piktogrammen bebildert. Diesem Beispiel will auch MILA folgen.

2019 begann eine kleine Gruppe rund um David Jelinek, Julianna Fehlinger und Brigitte Reisenberger die Idee nach Wien zu holen: zunächst als Mini-Markt in Ottakring, mit 50 Quadratmetern und rund 300 Mitgliedern. Fünf Jahre später öffnet nun der MILA-Supermarkt in Meidling mit 350 Quadratmetern auf zwei Etagen, einer Gemeinschaftsküche und über 2.500 Produkten. Mehr als tausend Mitglieder sind inzwischen dabei. Dass der Standort im 12. Wiener Gemeindebezirk liegt, ist kein Zufall. „Wir wollten einen Ort, der gut erreichbar ist, aber nicht mitten in der Innenstadt“, sagt Reisenberger. „Meidling ist vielfältig, hier leben Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Das passt zu uns.“
Supermarkt für alle
Damit der Supermarkt für alle zugänglich ist, gibt es eine barrierefreie Toilette, einen Lift für den oberen Stock, höhenverstellbare Kassen und zweimal pro Woche eine „stille Stunde“ mit gedämpftem Licht und leiseren Kassensignalen. Wer Hilfe braucht, bekommt einen Buddy zur Seite gestellt. Zur Eröffnung startet außerdem ein „Solitopf“, der Mitgliedern mit geringem Einkommen Lebensmittelguthaben ermöglicht. Spenden werden gesammelt und diskret auf die Mitgliedskarten von jenen geladen, die Unterstützung brauchen. „Damit alle mitmachen können, unabhängig vom Geldbörserl“, sagt Brigitte Reisenberger.

Eines der ersten Mitglieder war Michael Kozeluh. Er machte mit, kurz nachdem er in Pension ging: „Ich wollte etwas Sinnvolles tun, und die Idee hat mich sofort gepackt“. Seit der ersten Testphase in Ottakring war er überall im Einsatz: beim Verkauf, beim Einräumen, nun auf der Baustelle. Am meisten beeindruckt ihn das Obst- und Gemüseangebot. „Die Qualität ist nicht vergleichbar mit dem, was man bei den großen Ketten bekommt – und das zu einem Preis, den man sich leisten kann.“
Gegen die Inflation
Mit diesem kritischen Blick auf herkömmliche Supermärkte und die Teuerung ist Kozeluh nicht allein: Für viele Menschen ist der Preis des Wocheneinkaufs in Österreich ein Thema. Laut Preismonitor der AK kostete ein Warenkorb mit den 40 billigsten Lebens- und Reinigungsmitteln im 2021 noch 51 Euro, vier Jahre später sind es über 80 Euro. Also um 60 Prozent mehr. Besonders Lebensmittel wie Kaffee, Milch und Nudeln erfuhren einen starken Preisanstieg.

„Bei frischem Gemüse, Eiern oder unverpackten Grundprodukten sind wir bis zu vierzig Prozent günstiger als klassische Supermärkte“, sagt Brigitte Reisenberger, „bei Fleisch eher gleich oder teurer, weil wir Produzent:innen fair bezahlen.“ Der Preisvergleich wird mit direkt vergleichbaren Markenprodukten angestellt. Mit den Diskontpreisen von Eigenmarken der großen Supermarktketten können die Produkte bei MILA nicht mithalten. Rabatte, Werbeaktionen oder Dauerbeschallung gibt es im Meidlinger Markt nicht. Die Kühlregale haben Türen, um Energie zu sparen. Rund neunzig Prozent des Produktsortiments sind biologisch. Mitglieder können auch Produktwünsche einreichen. „Wenn jemand Manner Schnitten will, dann gibt’s die auch“, sagt Reisenberger und lacht. MILA will kein elitärer Bioladen sein, sondern ein Ort, an dem sich viele Lebensrealitäten wiederfinden.
Wahnsinn‼️ 😮 Die #Teuerung trifft immer mehr Menschen. Ein Einkaufskorb mit 40 billigsten Lebensmitteln kostet jetzt um 60 Prozent mehr als noch vor vier Jahren 👛 🫰! Den billigsten Kaffee (1 kg) beispielsweise gab es 2021 um rund 4 €, jetzt um rund 10 € 💶. Was noch teurer wurde und was #AKfordert ⬇️
— @Arbeiterkammer (@arbeiterkammer.at) 3. Oktober 2025 um 09:28
Community-Projekt
Das war auch einer der Gründe, warum Ida List Mitglied geworden ist. Sie studiert an der Wiener Universität für Bodenkultur „Climate Change and Societal Transformation“. „Ich finde das Konzept richtig cool: das gemeinsame Arbeiten, die fairen Preise. Und man versteht, wie ein Supermarkt funktioniert“, sagt sie. Sie ist Teil der Community-Arbeitsgruppe, die den Raum neben der Einkaufsfläche verantwortet. Dort sollen bald für Mitglieder und Außenstehende Filmabende, Yoga- und Deutschkurse stattfinden. Was sie an MILA am meisten fasziniert, ist die Stimmung: „Hier brennen alle für das Projekt. Man merkt, dass alle das Gleiche wollen: gute Lebensmittel und ein besseres Miteinander.“

Am 10. Oktober ist Eröffnungstag. Dann werden die Regale mit dem Vollsortiment gefüllt sein – von Brot, über Käse bis hin zu Windeln. Draußen in der Vivenotgasse leuchtet schon das türkisfarbene Logo im Herbstlicht. Drinnen soll es bald so zugehen, wie in jedem anderen Supermarkt. Nur dass man hier auch auf Menschen trifft, mit denen man vielleicht schon einmal ein Regal aufgebaut, das Gemüse eingeschlichtet oder die Kassa-Schicht geteilt hat.