Kehrt der Arbeitskampf zurück?

Ein blauer Kuchenboden, der für Europa steht. Darauf sind Fähnchen mit Streikparolen zu sehen. Symbolbild für die europäischen Streiks.
© Markus Zahradnik

Inhalt

  1. Seite 1 - Deutschland: „Es gibt eine große Solidarität“
  2. Seite 2 - Frankreich: „Wir verteidigen unsere Idee einer modernen Gesellschaft“
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Egal ob Transport-, Gesundheitswesen oder Bildung: In den vergangenen Jahren haben viele Beschäftigte alles gegeben, um die Wirtschaft durch die Krisen zu bringen. Nun schwappt eine Streikwelle über Europa. Wir haben bei Gewerkschaften aus Deutschland und Frankreich nachgefragt: Was ist da los bei euch? Ein Interview mit Martin Burkert und Pierre Coutaz.
Frankreich sieht sich mit der größten Protestbewegung seit 50 Jahren konfrontiert, in Deutschland kam es im März zu einem „Super-Warnstreik“. Geht es in Deutschland in erster Linie um faire Lohnerhöhungen, sehen sich vor allem Frankreichs Beschäftigte mit viel größeren Problemen konfrontiert. Was alle Proteste und Streiks aber eint: Vielen Menschen reicht’s – sie wollen anders arbeiten und leben. Ein Interview mit Martin Burkert, Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, und Pierre Coutaz, internationaler Sekretär der Confédération Générale du Travail.

Martin Burkert war von 2005 bis 2020 für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands Mitglied des Bundestags. Seit 2022 ist er Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. | © Miriam Mone

Arbeit&Wirtschaft: Deutschland ist kein streikfreudiges Land, doch im März kam es zu einem „Super-Warnstreik“. Warum gingen so viele Menschen auf die Straße?

Martin Burkert: Wir gehören zu den Ländern, die im internationalen Vergleich weniger Streiktage haben. Hierzulande gehen wir sehr verantwortungsbewusst mit dem scharfen Schwert „Streik“ um. In der Pandemie sind alle Züge gefahren, seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine wurden eine Million Vertriebene nicht nur befördert, sondern auch betreut. Das Neun-Euro-Ticket hat Beschäftigte im öffentlichen Verkehr überfordert. In der letzten Tarifrunde in der Pandemie haben wir mit 1,5 Prozent Lohnplus unseren Beitrag geleistet. Nun droht die Gefahr, dass wir in der Tarifentwicklung abgekoppelt werden. Eine Fahrzeugreinigungskraft beginnt mit 2.100 Euro brutto, Buslenker:innen mit 2.200, Kundenbetreuer:innen mit 2.500 Euro brutto. Solche Beträge sind gerade in Ballungszentren bei der gegenwärtigen Inflation, den Mieten und den Lebenshaltungskosten zu niedrig. Es ist ein historischer Moment, um deutlich zu machen, dass Mobilität systemrelevant ist.

Gibt es abseits der Inflation weitere Forderungen, die Sie aktuell durchsetzen wollen?

Wir haben schon viele Modelle, etwa mehr Urlaubstage gegen einen leicht geringeren Lohn. Die Diskussion rund um eine 4-Tage-Woche gibt es auch, die Arbeitgeber:innenverbände lehnen das ab. Der Hauptgrund ist die arbeitsplatzsichernde geringe Lohnsteigerung in der Pandemie in Kombination mit über elf Prozent Inflation. Die Entlastungspakete, die wir haben, reichen nicht aus. Bei uns wollen die Leute aber jetzt Geld sehen – das ist unsere Hauptforderung. Es geht uns vor allem um die kleinen und mittleren Lohngruppen. Darum wollen wir 650 Euro bzw. 12 Prozent mehr im Monat. Es gibt eine große Solidarität und Überzeugung, dass wir das tun müssen.

Der Staat hat aufgrund der Corona- und Energiekrise viel Geld an die Unternehmen ausgeschüttet. Macht das die Beschäftigten nicht nachdenklich?

Investitionen in die Infrastruktur sind Zukunftsinvestitionen. Macht der Finanzminister die Schatulle auf? Es ist notwendig. Altkanzler Schmidt sagte einmal: „Wir können uns nur eines leisten: Bundesbahn oder Bundeswehr.“ Aber jetzt gibt es 45 Milliarden Euro zusätzlich für die Schieneninfrastruktur bis 2027. Das ist auch notwendig. Der Zustand der 36.000 Schienenkilometer lässt sich nicht mehr kaschieren.

Streikt der öffentliche Verkehr, fällt das allen auf. Nehmen Sie sich auch als Speerspitze wahr?

Es gibt Branchen, die einen großen Einfluss auf das öffentliche Leben haben: ÖPNV, Bahn, Fluglots:innen. Aber man stelle sich einmal vor, die Lohnbuchhalter:innen würden streiken. Dann gibt es kein Geld am Konto. Was ich damit sagen will: Es gibt viele Berufsgruppen, die einen großen Einfluss auf unser Leben haben. Entscheidend ist, dass man verantwortungsvoll mit dem Streikrecht umgeht. Wenn wir streiken, dann steht alles. Das weiß man und Streik ist bei uns auch das letzte Mittel.

Sehen Sie den Streik auch als generellen Kampf um Rechte von Arbeitnehmer:innen?

Wir sehen es in Großbritannien: Dort wird das Streikrecht von bestimmten politischen Kräften stark bedroht, und ich orte hier auch schon derartige Tendenzen. Das wäre massiv Demokratie-gefährdend.

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Über den/die Autor:in

Georg Sohler

Freier Journalist im Bereich (Sport-)Journalismus, (Corporate) Blogging, Editing, PR

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