Spannungsfeld Krankenhaus + Podcast

Inhalt

  1. Seite 1 - Spannungsfeld Psychiatrie
  2. Seite 2 - Konflikte auf der Covid-Station
  3. Seite 3 - Personalnot in der Pflege
  4. Seite 4 - Präventivarbeit
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Wo Menschen in Krisensituationen aufeinandertreffen, kann die Lage rasch eskalieren. Das ist auch im Bereich Pflege so. Womit sind hier Patient:innen und Pflegekräfte konfrontiert? Arbeit&Wirtschaft sprach dazu mit dem Experten Harald Stefan.

Gewalt gegen Pflegekräfte

Wie können solche schwierigen Situationen aussehen? Welche Art von Verletzungen gibt es auf der Seite der Pflegekräfte?

Das können Schläge sein, das kann An-den-Haaren-Reißen sein, Kratzer, ein blauer Fleck, schwere Wunden, ein Knochenbruch, ein Kieferbruch – da ist die Palette eigentlich sehr breit. Die Menschen haben Angst, sie fühlen sich in die Enge getrieben, und sie werden alles versuchen, um aus dieser Situation herauszukommen, auch mit körperlicher Gewalt. Da ist es wichtig, dass man entsprechend vorbereitet ist und dass man im Team auftritt und nicht alleine.

Übertretungen gibt es überall dort,
wo viel Stress ist und wo Krisen aufeinandertreffen.

Harald Stefan, Leiter des Bereichs Pflege
der psychiatrischen Abteilung des Klinikums Landstraße

Es gibt ja nicht nur die Psychiatrie, sondern auch ganz viele andere Abteilungen in einem Krankenhaus und Pflegeeinrichtungen. Gibt es dort auch solche Übergriffe durch Patient:innen?

Das ist mit einem klaren Ja zu beantworten. 2006 haben wir dazu erste Datenerhebungen gemacht. Der Fokus unserer Trainings war am Beginn immer sehr stark auf der Psychiatrie, weil es dort offenkundig ist. Wir haben dann aber mehr und mehr Mitarbeiter:innen von den Geriatrien und auch von Notfallbereichen in unseren Seminaren sitzen gehabt, und die haben uns Dinge berichtet, die viel schlimmer waren als unsere Erfahrungen in der Psychiatrie. In der Erstversorgung oder im Notfallbereich kommen oftmals Menschen in absoluten Krisen. Aber es kommen auch Menschen, die sind intoxikiert, die haben viel Alkohol getrunken oder Drogen konsumiert, und da ist das Kontrollzentrum vollkommen ausgeschaltet. Diese Menschen haben nicht das Gefühl, es wird ihnen jetzt geholfen, sondern sie sind in einer Krisensituation und wehren sich. Da kommt es auch zu schweren Körperverletzungen wie Knochenbrüchen, Kieferbrüchen, aber auch Stichverletzungen.

Inwieweit spielen hier auch Phänomene wie Fremdenfeindlichkeit mit hinein?

Ich denke, dass das auf beiden Seiten mit hineinspielt. Und gerade in der Pflege arbeitet eine sehr große Anzahl an Menschen, die aus anderen Ländern und anderen Kulturkreisen kommt. Wir sind sehr froh, dass wir so einen großen Mix haben, das erleichtert in manchen Bereichen auch den Zugang zu Patient:innen, wenn ich die gleiche Sprache spreche, aber es erschwert auch manchmal. Das führt in verbalen Auseinandersetzungen zu Kränkungen, die sind sehr emotional. Da muss man wirklich gut lernen, damit umzugehen. Ich muss emotional auf den Balkon gehen, dass ich dann wirklich sachlich bleiben kann.

Sprachbarriere birgt Konfliktpotenzial

Wie sehr befördern andere Erstsprachen sowohl aufseiten der Patient:innen als auch der Pflegekräfte Missverständnisse und Grenzüberschreitungen?

Gerade die Sprache und Verständlichkeit ist ein wesentlicher Punkt, auch in der Prävention. Man muss sich vorstellen: Ich bin in einer Krise, ich komme in ein Krankenhaus, weil ich ein Problem habe. Und jetzt kann ich mich dann in dieser Situation nicht richtig ausdrücken und verwende vielleicht Wörter, die nicht so gut verständlich sind. Dann probiere ich das ein zweites Mal, ein drittes Mal, und wenn ich nicht verstanden werde, dann werde ich laut. Ich möchte meinen Worten Nachdruck geben. Diese Lautstärke wird dann auf der anderen Seite verstanden als Aggression. Das macht natürlich riesige Probleme, weil wir nicht draufkommen, was wirklich das Bedürfnis dahinter ist, die Sorge ums Kind oder die Sorge um sich selbst, weil man einen Druck auf der Brust spürt.

Darum sind die Sprachkenntnisse ein ganz wesentlicher Punkt. Da muss man auch schauen, inwieweit die Organisation unterstützend sein kann, dass man vielleicht auch fremdsprachiges Personal hat. In den letzten Jahren wurde beim Wiener Gesundheitsverbund das Videodolmetschen eingeführt, das zu immensen Erleichterungen geführt hat. Da kommt man drauf, diese Vehemenz an Aggression, die da war, hat man ganz leicht beseitigen können, da standen Missverständnisse dahinter.

Harald Stefan, Leiter der Psychiatrie des Klinikums Landstraße, im Interview.
© Markus Zahradnik

Sie sprechen nun über den Spitalsalltag. Es gibt aber auch den Alltag in Pflegeeinrichtungen, wo ältere Leute, die sehr gut Deutsch sprechen, teilweise von Menschen gepflegt werden, die zugewandert sind und die nicht alle perfekt Deutsch sprechen. Kommt es da auch zu Konfliktsituationen?

Auch ältere Menschen können sich dann natürlich nicht angenommen fühlen oder haben in Erinnerung, dass sie vielleicht irgendwann einmal nicht gut behandelt worden sind, und können durchaus dann auch ausländerfeindlich auftreten. Diese Erfahrung machen wir immer wieder. Da ist dann natürlich auch wichtig, dass man schaut, wie man sich im Team abwechseln kann, dass man auch dementsprechend die Menschen betreut und dass es keine Konfliktsituationen gibt, nur das ist nicht immer vermeidbar, denn wenn ich einen Nachtdienst habe oder einen Sonntags- oder Samstagsdienst und ich nur eine gewisse Anzahl an Mitarbeiter:innen habe, dann muss es da eine gewisse Akzeptanz geben. Da ist es wichtig, dass man einerseits den Bewohner:innen gegenüber in die Erklärung geht und dass die das annehmen und dass man auch die Mitarbeiter:innen gut schult, dass sie mit diesen Situationen umgehen können.

In welchen Bereichen der Pflege sind solche Übertretungen besonders häufig oder ergeben sich aus dem Setting heraus?

Übertretungen gibt es überall dort, wo viel Stress ist und wo Krisen aufeinandertreffen. Von den Zahlen her wissen wir ganz klar, dass es zu verbalen und körperlichen Übergriffen einerseits in der Psychiatrie, in den Erstversorgungs- und Notfallbereichen und in den geriatrischen Bereichen kommt, aber auch in Kinderbereichen. In den Kinderambulanzen sind es nicht die Kinder, die aggressiv sind, sondern da sehen wir die Übergriffe eher von den Eltern. Auch wieder verständlich: Die Eltern machen sich Sorgen, es ist Angst dahinter, es ist ein Bedürfnis dahinter, und wenn ich mir Sorgen mache, werde ich versuchen, meine Interessen und Bedürfnisse durchzubekommen. Es gibt natürlich auch Übergriffe in Intermediärbereichen und Intensivstationen, dort, wo es Durchgangssyndrome bei Patient:innen gibt, zum Beispiel nach einer Operation, wo die Leute aus der Narkose aufwachen, nicht wissen, wo sie sind, und es dann ein sehr wehrhaftes Verhalten gibt.

Worüber medial immer wieder berichtet wird, sind Konflikte auf COVID-Stationen. Da wird von unpassendem Verhalten, teils aber auch von Angriffen auf das Pflegepersonal berichtet, sowohl von dort Gepflegten als auch von Angehörigen. Was können Sie dazu erzählen?

Wir sind jetzt seit zwei Jahren in einer Pandemiesituation. Das Nervenkostüm von uns allen ist sehr dünn geworden. Wir können nicht so leben, wie wir es gewohnt gewesen sind. Das war ein ganz massiver Einschnitt in unsere Freiheitsgewohnheiten. Und wir dürfen nicht vergessen, im Krankenhaus arbeiten Menschen jetzt seit zwei Jahren in einer Hochanspannung, das heißt, Dienstpläne halten nicht, man wird immer wieder zu Hause angerufen in der Freizeit, um einen Dienst zu machen, weil jemand ausgefallen ist, und es gibt für Pflegepersonen und generell fürs Gesundheitspersonal keine Kurzarbeit, kein Homeoffice. Die sind seit zwei Jahren tagtäglich an ihre Arbeitsstelle gefahren, um dort zu arbeiten und Menschen zu versorgen, denen es wirklich sehr schlecht geht.

COVID führt zu Problemen mit der Atmung, und wenn ein Mensch Luft- und Atemprobleme hat, sehen Sie die Angst in seinen Augen. Da ist Überlebensangst vorhanden. Das muss man aushalten. Die Mitarbeiter:innen auf COVID-Stationen müssen außerdem in der vollen Schutzmontur arbeiten. Und sie leisten schwere körperliche Arbeit. Dass es da natürlich zu Sensibilitäten kommt vonseiten der Betreuungspersonen, wenn etwas nicht so läuft, wie es vielleicht laufen soll, oder wenn Dinge nicht angenommen werden, wie sie angenommen werden sollen, weil sie notwendig sind, dann kann ich mir vorstellen, dass es da zu großer Verzweiflung kommt.

Patient:innen und Angehörige sind wiederum in einer Situation, die neu für sie ist. Und Sie müssen sich vorstellen, das sind Angehörige, die nicht wissen, wie oft sie ihren Partner, ihre Mutter, ihren Vater, ihr Kind noch sehen. Da sind alle hypernervös und sensibel, und da kommt es zu verbalen Übergriffen. Es ist aber nicht nur das Pflegepersonal, das hier betroffen ist. Sie müssen nur einmal reden mit den Portieren, mit den Eingangsbereichen, mit den Triage-Bereichen, wo fünf, zehn Personen auftreten, die jetzt zu ihren Verwandten wollen und teilweise Morddrohungen aussprechen. Es ist aus meiner Sicht eine höchst sensible Situation.

Das sind Angehörige, die nicht wissen, wie oft sie ihren Partner, ihre Mutter, ihren Vater, ihr Kind noch sehen. Da sind alle hypernervös und sensibel, und da kommt es zu verbalen Übergriffen.

Harald Stefan, Leiter des Bereichs Pflege
der psychiatrischen Abteilung des Klinikums Landstraße

Unverständnis von meiner Seite gibt es, wenn es heißt, das ist alles nicht so schlimm. Die, die das sagen, sehen eben nicht, was sich da teilweise in den Spitälern abspielt und wie COVID-Patient:innen um ihr Leben kämpfen. Da hat sich auch die Situation auf den Intensivstationen fürs Personal verändert, weil früher sind Patient:innen auf die Intensivstationen gekommen zum Beispiel nach einer Operation, nach einem Unfall, da hat es Erfolgsaussichten gegeben, die wurden dort wiederhergestellt, sodass sie auf eine normale Station transferiert werden konnten. Diese Erfolgsnachrichten und -aussichten sind in der Zeit von COVID massiv minimiert worden. Es gibt mehr Sterbende dort als früher. Und das zermürbt.

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Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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