Marathonrunde und Streikdrohung: Abschluss im Sozialbereich

Personal aus der Pflege unterhält sich mit einem Patienten. Symbolbild für die KV-verhandlungen im Sozialbereich während der Herbstlohnrunde 2023.
© Adobe Stock/Rawpixel.com
Nach zwei Verhandlungen während der Herbstlohnrunde im Sozialbereich kam es zu keiner Annäherung zwischen den Sozialpartnern. Jetzt gibt es einen vorsorglichen Streikbeschluss.

Iufgrund der schwierigen KV-Verhandlungen im Sozialbereich gibt es regelmäßig Neuigkeiten zum Thema. Wir pflegen die News einerseits in unserem Ticker zur Herbstlohnrunde ein und andererseits versuchen wir auch, diesen Beitrag aktuell zu halten.

Update vom 28. November 2023:

Die dritte Verhandlungsrunde für die 130.000 Beschäftigten im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich (Sozialwirtschaft Österreich) endet nach 16 Stunden mit einem Kollektivvertragsabschluss. Die Löhne und Gehälter sowie  Zulagen und Zuschläge werden um 9,2 Prozent erhöht. Das gilt sowohl für die IST-Einkommen als auch Mindesteinkommen. Der neue Mindestlohn beträgt somit 2.067,40 Euro. Eva Scherz, Verhandlerin für die Gewerkschaft GPA, zeigt sich erfreut: „Mit dem vorliegenden Abschluss werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziell entlastet. Eine Sozialarbeiterin mit 10 Dienstjahren verdient nun monatlich bei Vollzeit beispielsweise über 300 Euro mehr. Die Gehaltserhöhungen nehmen vielen Beschäftigten, die sich ihr Leben nur noch schwer leisten können, Sorgen und federn die Teuerung ab.“ Michaela Guglberger, Verhandlerin für die Gewerkschaft vida, ist mit dem Ergebnis zufrieden: „Dieser Abschluss war nur durch unseren Zusammenhalt machbar. Wir bedanken uns bei allen, die an den Betriebsversammlungen teilgenommen und so den Druck verstärkt haben.“

Neben dem monetären Abschluss hat die Sozialwirtschaft wichtige Verbesserungen im Rahmenrecht erreicht:

  • Die Bezahlung während der Nachtbereitschaft wird angehoben.
  • Der Zuschlag für Einspringen wird um 15 Prozent erhöht und kommt öfter zur Anwendung.
  • Die Regelung für den Anspruch auf Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulage (SEG-Zulage) wird verbessert.
  • Die Anerkennung ausländischer Ausbildungen wird verbessert.
  • Bestimmte Vordienstzeiten werden verbessert angerechnet.
  • Die Zuschläge auf Mehrarbeitsstunden kommen bereits ab 8 Mehrstunden (bisher 16) zu tragen (Reduktion der „Pufferstunden“).
  • Beschäftigte in der Frühförderung werden in Verwendungsgruppe 8 eingereiht, wodurch viele mehr Gehalt erhalten.

Update vom 20. November 2023:

Nach zwei gescheiterten Verhandlungsrunden gibt es jetzt im Sozialbereich einen vorsorglichen Streikbeschluss. Die Gewerkschaften GPA und vida haben vor der dritten Verhandlungsrunde am Montag, 27. November, entsprechende Kampfmaßnahmen beschlossen. In dem Beschluss heißt es:

„Die Regierung, die Bevölkerung und die Arbeitgeber können sich immer auf die Beschäftigten im Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich verlassen. Leider wird dies nicht ausreichend gewürdigt. So ist noch immer eine richtige Pflegereform ausständig, der Pflegezuschuss/Entlastungswoche wurde verpfuscht. Das Kilometergeld wurde nicht erhöht. Die Teuerung war in den vergangenen 12 Monaten so hoch wie noch nie. Die Energie- und Preiskrise haben direkt an die Corona-Krise angeschlossen, die viele Arbeitnehmer:innen der Branche stark belastet hat.“

Zu den zentralen Forderungen gehren weiterhin ein fairer Lohnabschluss, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine Absicherung und Ausweitung des Pflegezuschusses. In der letzten Verhandlungsrunde wurde das Angebot seitens der Arbeitgeber nicht aufgebessert.

Update vom 20. Oktober 2023:

Zumindest die erste KV-Verhandlung in der Herbstlohnrunde im Sozialbereich musste ergebnislos abgebrochen werden. Während die Seite der Beschäftigten 15 Prozent mehr Lohn fordert, um die Inflation auszugleichen und die Branche attraktiver zu machen, boten die Arbeitgeber:innen lediglich 8,8 Prozent. „Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind mit einer enormen Teuerung konfrontiert. Bei einer Teilzeitrate von 70 Prozent können sich die Beschäftigten ihre Miete, ihren Wocheneinkauf und ihre Heizkosten mit ihrem Einkommen bald nicht mehr leisten. Viele bekommen keine Vollzeitstelle und bei 70 Prozent Frauen haben die meisten Betreuungspflichten, die sie in Vollzeit nicht bewältigen könnten. Das Angebot von 8,8 Prozent ist deutlich zu wenig, besonders wenn man bedenkt, dass in der Branche massiv weniger als im Schnitt verdient wird. Wir bleiben bei unserer Forderung von +15 Prozent, mindestens aber 400 Euro mehr“, sagt Eva Scherz, Verhandlerin der Gewerkschaft GPA.

Die nächsten Verhandlungsrunden im Sozialbereich sind:

  • Mittwoch, 15. November 2023
  • Montag, 27. November 2023

Ursprüngliche Geschichte: 04. Oktober 2023:

Das Problem des Personalmangels im Sozialbereich gibt es nicht, weil zu wenige Menschen dort einen Beruf ergreifen. Sondern, weil viele ihn sehr schnell wieder hinschmeißen. „Viele Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger bleiben keine fünf Jahre im Gesundheits- und Sozialbereich und das, obwohl sie ihre Tätigkeit als sehr sinnstiftend und wertvoll beschreiben“, analysiert Michaela Guglberger. Sie ist in der Herbstlohnrunde 2023 Verhandlerin der Gewerkschaft vida. Ihr Ziel ist es daher, die Arbeitsbedingungen deutlich zu verbessern.

Forderungen im Sozialbereich

Die Gewerkschaften GPA und vida haben angesichts der mangelhaften Arbeitsbedingungen zwei zentrale Forderungen. Zum einen geht es um eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 15 Prozent, mindestens aber 400 Euro. Das soll primär Berufe mit einem geringen Einstiegsgehalt attraktiver machen. „In der Branche verdienen die Beschäftigten immer noch 22 Prozent weniger als der Schnitt. Da muss sich etwas tun, wenn die Branche attraktiver werden soll“, betont Eva Scherz. Sie ist Verhandlerin der GPA. Dazu sollen die Arbeitgeber:innen die Entlohnung fürs Einspringen und das Kilometergeld erhöhen.

Portrait von Eva Scherz. Sie ist Verhandlungsleiterin der GPA für den Bereich der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ). Gespräch über das Gesundheitsbudget.
Eva Scherz führt für die GPA die Verhandlungen im Sozialbereich. Dort müssen die Arbeitsbedingungen attraktiver werden. | © Markus Zahradnik

Zum anderen gilt es, auch nicht monetäre Aspekte zu verbessern. So wollen Scherz und Guglberger in der Herbstlohnrunde auch eine Verkürzung der Arbeitszeit und mehr Urlaub für die Beschäftigten erreichen.  „Wir müssen die Arbeitsbedingungen verbessern, sonst können wir dem Personalnotstand nicht gegensteuern“, mahnt Guglberger. Der Kollektivvertrag in der Sozialwirtschaft gilt für rund 130.000 Beschäftigte. 70 Prozent davon sind Frauen. Mit 70 Prozent ist die Teilzeitquote außerdem enorm hoch. Das liegt ­– neben strukturellen Problemen – auch an der enormen physischen und psychischen Belastung in diesem Berufszweig.

Gespräche seien „durchaus konstruktiv“

Vonseiten der Arbeitgeber:innne kommt bei diesen Punkten kein allgemeiner Widerspruch. Walter Marschitz ist Geschäftsführer der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) und betont, dass die Gespräche „durchaus konstruktiv“ gewesen seien. „Wir werden in den nächsten zwei Wochen die Forderungen der Gewerkschaften entsprechend bewerten und danach in die konkreten Verhandlungen einsteigen.“

Verständnis für die Forderungen ist aufseiten der SWÖ da. „Die derzeitige Inflation von 8,8 Prozent abzugelten ist eine Sache zu der wir uns als Arbeitgeber grundsätzlich bekennen“, betont Marschitz. Ergänzt aber auch: „Die geforderte Erhöhung um 15 Prozentpunkte ist etwas, was sicher nicht realisierbar ist.“ Der Verhandlungsspielraum sei Aufgrund der Teuerung eben eng.

GPA und vida sehen das anders. Gerade werde der neue Finanzausgleich verhandelt und auch die Steuereinnahmen würden sprudeln. „Das Geld ist da. Die Arbeitgeber müssen nur mutig sein und es einfordern.“ Etwas, das in der Herbstlohnrunde geschieht. Es geht dabei auch um eine Anerkennung der Leistungen. „Die Gesellschaft konnte sich in den vergangenen Jahren immer auf die Beschäftigten im Sozialbereich verlassen. Jetzt ist es Zeit, dass diese Leistungen honoriert werden“, so Scherz.

KV-Verhandlungen im Sozialbereich

Die Kollektivvertragsverhandlungen in der aktuellen Herbstlohnrunde werden zeigen, wie weit sich beide Parteien annähern können. Letztlich geht es Sozialbereich – etwa in der Pflege – aber auch darum, die Branche zukunftssicher zu machen. Und das geht nur mit ausreichend Beschäftigten. Die ersten Verhandlungen in der Metallindustrie legen nahe, dass es ein heißer Herbst werden könnte.

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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