Rückhalt in der Krise

Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl
Sonja Karner ist seit elf Jahren im Betriebsrat von Kika. Im Jahr 2017 erlebten sie und ihre KollegInnen einen großen Crash.

Inhalt

  1. Seite 1 - Betriebsratsarbeit in der Krise
  2. Seite 2 - Bestreben gegen den Personalabbau
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Wird ein Unternehmen umstrukturiert, fällt den BetriebsrätInnen eine besondere Rolle zu. Zwei von ihnen sprechen darüber, wie sie Krisen gemeistert haben.
Der 29. Dezember 2017 war für Sonja Karner ein „Tag des großen Krachs“. An diesem Tag erfuhr die Belegschaft von Kika/Leiner, wie schlecht es um ihr Unternehmen wirklich stand. „Großen Teilen der Belegschaft wurde kein Gehalt ausgezahlt“, erinnert sich die Kika-Betriebsratschefin. Zwei Arbeitstage später war das Geld zwar am Konto, bloß die Unsicherheit blieb. „Kika/Leiner-Mutter Steinhoff: Der Hut brennt“ oder „Kika/Leiner immer mehr unter Druck“ titelten Zeitungen.

Über das Unternehmen, dessen Mutterfirma Steinhoff in einen Bilanzskandal verwickelt war, gab es kaum Informationen. Mehrmals versuchten die BetriebsrätInnen, in Besprechungen mehr zu erfahren. „Es war frustrierend, mehr Versprechungen statt klarer Antworten zu bekommen“, betont Karner. Zwei Monate ging es scheinbar bergauf, doch dann wurden Waren verspätet geliefert – und die Belegschaft war wieder sehr verunsichert. Als im Juni 2018 der Kreditversicherer absprang, drohte die Insolvenz.

Verhandeln bis zur Zufriedenheit

Wie ein zufriedenstellender Sozialplan aussieht, lernten die Kika-BetriebsrätInnen, als sie im ersten Halbjahr 2018 die Schließung einer Kika-Filiale in Wolfsberg in Kärnten organisierten. Von dieser Erfahrung profitierten sie später. Im Juni 2018 kaufte die Signa-Gruppe des Tiroler Immobilieninvestors René Benko Kika/Leiner. „Wir erfuhren das zehn Minuten, bevor es in der Zeitung stand“, erzählt Karner. Schon bald war die Rede von Effizienzchecks und Personalabbau. Im Sommer 2018 wurde bekannt, dass vier Kika/Leiner-Filialen schließen müssen und in der Verwaltung gespart wird. Karner erzählt von Zeitdruck und einem Besprechungsmarathon.

Effizienzchecks und Personalabbau bei Kika/Leiner: Die Kommunikation mit den Beschäftigten blieb auf der Strecke.
Die Kommunikation mit den Beschäftigten blieb dadurch auf der Strecke – und das in dieser heiklen Phase, was viele KollegInnen verärgerte. Es brauchte einen Sozialplan wie jenen von Wolfsberg. „Die Firma wollte zuerst wegen der finanziellen Situation weniger anbieten, aber wir haben so lange verhandelt, bis wir zufrieden sein konnten“, betont Karner.

Der Sozialplan ist nach Punkten gestaffelt. Je nach Lebensalter, Dienstalter und familiärer Situation bekamen die von der Kündigung betroffenen MitarbeiterInnen mehr oder weniger Geld. Der zweite Sozialplan umfasste auch ein Zusatzbudget für MitarbeiterInnen in sozial besonderen Umständen sowie Unterstützung und Organisation von eigenen Job-Coachings und Bewerbungshilfen für die MitarbeiterInnen. Bei der Errichtung der beiden Sozialpläne unterstützte die Gewerkschaft bei den umfangreichen Berechnungen.

Insgesamt waren über 1.100 Kika/Leiner-MitarbeiterInnen, davon etwa 400 bei Kika, beim AMS vorgemerkt.
Insgesamt waren über 1.100 Kika/Leiner-MitarbeiterInnen, davon etwa 400 bei Kika, beim AMS vorgemerkt. Die Vorschläge kamen von der Firmenleitung, aber die BetriebsrätInnen hatten ein Einspruchsrecht. „Wir haben in vielen Fällen interveniert, um gute KollegInnen zu halten. Es wurden auch Stundenkürzungen akzeptiert“, erzählt Karner. Letztlich wurden 700 Kika/Leiner-Beschäftigte abgebaut, etwa 300 bei Kika. Kürzlich wurde bekannt, dass die Geschäftsleitung die Möbelhäuser innerhalb von drei Jahren sanieren will. 50 zusätzliche KüchenfachberaterInnen und 140 Lehrlinge sollen künftig aufgenommen werden.

Fürs Betriebsklima

Die Kündigungen wirkten sich aufs Betriebsklima aus.
Karner ist seit elf Jahren Kika-Betriebsratsvorsitzende, seit 2013 ist sie Kika-Zentralbetriebsrätin und in dieser Position freigestellt. Sie arbeitet seit 1995 bei Kika, begonnen hat sie als Beraterin in der Vorhangabteilung, später war sie im Bereich Wohnzimmer und Küche tätig. Betriebsrätin ist sie auch deshalb geworden, weil sie sich in einem Streit um unbezahlte Arbeitsstunden allein gelassen fühlte und anderen diese Erfahrung ersparen wollte. Es gehe auch darum, sich für andere starkzumachen. Die Kündigungen wirkten sich aufs Betriebsklima aus. Einige betroffene KollegInnen fühlten sich von anderen ausgegrenzt. „Vielleicht hatten einige der anderen MitarbeiterInnen Angst, selbst gekündigt zu werden. Wir haben ihnen klargemacht, dass alle weiterhin vollwertige Teammitglieder sind.“

Warten auf den Auftrag

Szenenwechsel nach Wien-Liesing. Dort produziert ein Werk von Rheinmetall MAN Military Vehicles, kurz RMMV, Militär-Lkw. Nachdem ein Großauftrag von über 7.500 Fahrzeugen für die britische Armee abgewickelt war, geriet das Werk mit 750 MitarbeiterInnen im Jahr 2013 in die Krise. Kurzarbeit brachte nur vorübergehend Entlastung. Um den Wiener Standort zu halten, leiteten die Eigentümer einen kräftigen Personalabbau von 306 Jobs ein. Betriebsratschef Michael Walczyk, der vor fast 40 Jahren in der Fertigung begonnen hatte, suchte händeringend Lösungen, um möglichst viele KollegInnen zu halten. Immerhin stand ein Großauftrag von mehr als 2.500 Militär-Lkw für die australische Armee im Raum. Zwei Regierungswechsel in Australien verzögerten aber den endgültigen Vertragsabschluss.

Mit offenen Karten

Oberste Priorität hatte ein Sozialplan samt Arbeitsstiftung. In diesem Prozess saßen Walczyk und sein Team regelmäßig mit der Werksleitung, Vorstand, Vertretern von Arbeitsmarktservice (AMS), Wirtschaftskammer und Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (waff) an einem Tisch. Walczyk empfand die Gespräche auf Augenhöhe. „Es war unsere einzige Chance, mit offenen Karten zu spielen.“

Es war unsere einzige Chance, mit offenen Karten zu spielen.

Mitten in den Verhandlungen trat ein Betriebsratskollege aus Protest gegen den Jobabbau für drei Tage in Hungerstreik, was Walczyk bis heute für kontraproduktiv hält. „Wir waren in den Schlagzeilen, was Rüstungsbetriebe sich ohnehin nicht wünschen. Und wer vergibt einen langfristigen Auftrag an ein Unternehmen, das offensichtlich in der Krise steckt? Wir haben ihm abgeraten, aber er tat es dennoch.“

Die Verhandlungen zu Sozialplan und Arbeitsstiftung waren langwierig. Walczyk war eine ausgeglichene Beschäftigungsstruktur wichtig. Es durften nicht zu viele altgediente KollegInnen mit reichem Erfahrungsschatz gehen und nicht zu viele Junge mit Innovationskraft. Dazu kam, dass manche Führungskraft bereit war, Kürzungen unwidersprochen hinzunehmen, auch aus Angst, selbst den Job zu verlieren. In solchen Fällen fragte der Betriebsrat nach, wie zukünftige Abläufe mit so wenigen KollegInnen bewältigt werden sollten.

„Stehe ich auf der Liste? Muss ich gehen?“, fragten viele.
„Stehe ich auf der Liste? Muss ich gehen?“, fragten viele. Was viele KollegInnen ihrem Betriebsrat anfangs nicht glaubten, war, dass Walczyk die Namen der betroffenen KollegInnen selbst lange nicht wusste. Um möglichst unvoreingenommen verhandeln zu können, standen auf seiner Liste nur Eckdaten wie Geburtsjahr, Eintrittsdatum, Funktion und Spezialkenntnisse. Er hatte mehr als nur eine schlaflose Nacht, erinnert er sich. „In der Nacht, bevor die KollegInnen informiert werden sollten, haben wir beinhart für einzelne Personen gekämpft“, so Walczyk.

Sozialplan

Mit dem Sozialplan zeigte er sich zufrieden, weil er den Eintritt in die Arbeitsstiftung und Bildungskarenzen ermöglichte und den KollegInnen so Perspektiven eröffnete. Einige hatten die Chance, bei Werken der Rheinmetall in Deutschland unterzukommen. Insgesamt wurden 200 Jobs abgebaut, darunter nur „10 tatsächliche Kündigungen“.

Der Großteil der MitarbeiterInnen kam in der Arbeitsstiftung unter. Auch heute noch, sechs Jahre später, wird klar, wie belastend die Situation für den heute 60-Jährigen war. Er musste langjährige Kollegen ebenso verabschieden wie jüngere, mit deren Vätern er gearbeitet hatte. „Das war grauslich, es hieß nur: Augen zu und durch.“

Über den Berg war das Werk erst, als 2015 endlich der australische Großauftrag fixiert war. Rund 70 KollegInnen, die sich in der Arbeitsstiftung weiterqualifiziert hatten, arbeiten heute wieder im Unternehmen. Im September 2018 wurde bekannt, dass das australische Militär weitere 1.000 Lkw in Auftrag gibt. Nach 20 Jahren als Betriebsratsvorsitzender ist Walczyk nun Stellvertreter und wird nicht mehr kandidieren. Es brauche neue Leute mit neuen Ideen. Sein größter Erfolg? „Dass wir überlebt haben und besser dastehen als vorher.“

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tinyurl.com/y6o35vcx

Von
Sandra Knopp und Udo Seelhofer
Freie JournalistInnen

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/19.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

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