Reportage: Pionierinnen des Wandels

Inhalt

  1. Seite 1 - Bedeutet klimafreundliches Leben Verzicht?
  2. Seite 2 - Autofreiheit
  3. Seite 3 - Leistbare Bio-Produkte
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Kaum eine Debatte kommt momentan ohne die falsche Vorstellung aus, klimafreundliches Leben sei mit Verzicht gleichzusetzen. Eine klimafreundliche Welt aber kann nicht nur die Erde aufatmen lassen, sondern auch die Menschen. Und sie kann ein Plus an Lebensqualität bringen. Drei Frauen erzählen von einer solchen Verbesserung.

Bio, punktgenau

Szenenwechsel in den 8. Wiener Gemeindebezirk. Auch in der bürgerlichen Josefstadt kann man ein Beispiel dafür finden, wie anderes Wirtschaften bessere Lebensqualität mit sich bringen kann. Margret Zimmermann sitzt in ihrem kleinen Verkaufsraum und blickt zurück. „Es hat mich erschüttert, wie viele Lebensmittel im Müll landen“, erinnert sie sich, wie der Weg begann, der sie zu diesem Geschäft brachte. „Auf der anderen Seite habe ich die wunderbaren Produkte österreichischer KleinbäuerInnen gekannt und geschätzt, die allerdings in Wien kaum irgendwo zu bekommen waren. Ich habe mir gedacht: Da muss man doch irgendetwas machen.“ Und genau so war es dann auch. Zimmermann, die aus der Sozialarbeit kommt, gründete essenswert.at, sozusagen die Synthese ihrer Beobachtungen. Sechs Jahre ist das nun her. Der Name ihres Unternehmens ist Programm und Ausdruck der Wertschätzung für Lebensmittel. So, wie auch die Wiener Tafel.

Sehr schnell, erinnert sich Zimmermann, hatte sie das knackige Konzept beisammen, das da lautet: „Die Kunden bestellen im Webshop, was sie haben wollen, die bäuerlichen Produzenten liefern ganz frisch, woraufhin die Leute ihren Einkauf hier abholen.“ Die KundInnen bekommen genau das, was sie wollen. Nichts bleibt übrig. Das Geschäft ist folglich nur einmal in der Woche geöffnet, nämlich am Freitag nach der Anlieferung. Es ist dann mit einer großen Vielfalt an Produkten gefüllt, leert sich daraufhin aber wieder, bis nur einige wenige haltbare Lebensmittel übrig bleiben.

Margret Zimmermann, die aus der Sozialarbeit kommt, gründete essenswert.at in der Wiener Josefstadt.

Ihre LieferantInnen sucht Zimmermann selbst aus, mittlerweile verfügt sie über eine „feine Sammlung an Produzenten“. Regional, bio, fair – das sind ihre Orientierungsmarken. Aus dem Primat der kurzen Wege folgt, dass die meisten der Produkte von essenswert.at aus Niederösterreich, Wien und dem Burgenland kommen. „Vielleicht noch ein Käse aus der Steiermark, aber dann ist es aus“, sagt Zimmermann. „So ist es auch einfacher, die Kontrolle zu behalten, alles bleibt überschaubar.“ 99 Prozent der Lebensmittel haben ein Bio-Zertifikat, alle sind palmölfrei. Die BäuerInnen bekommen für ihre Produkte, was sie verlangen. „Es wird nicht gehandelt oder gefeilscht.“

Menschliches Maß

Auf Preisdruck zu setzen widerspricht Zimmermann zutiefst. Sie sieht ihre Herangehensweise als Beitrag, um kleinteilig strukturierte Landwirtschaft zu erhalten: „Es sperren ständig Höfe zu, das Ergebnis ist, dass nur noch im großen Stil für die wenigen Supermarktkonzerne produziert wird.“ Und schließlich gehe es ja auch um Arbeitsplätze, nicht zu vergessen deren Ausgestaltung. Das menschliche Maß ist Zimmermann wichtig, sie setzt auf Familienbetriebe, in denen oft noch mehrere Generationen zusammenarbeiten. Sie sind flexibel und können auf veränderte Umweltbedingungen rascher reagieren.

Es sperren ständig Höfe zu, das Ergebnis ist, dass nur noch im großen Stil für die wenigen Supermarktkonzerne produziert wird.

Margret Zimmermann, Betreiberin essenswert.at

Auch der Erhalt des Artenreichtums bleibt im Blick: Auf so manchem Hof wird Saatgut selten gewordener Nutzpflanzen kultiviert, bewahrt man alte Sorten, züchtet vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen. Eine solche Diversifizierung hat darüber hinaus auch den Effekt, dass die Bauern und Bäuerinnen bei Weitem nicht so stark von Ernteausfällen betroffen sind, wie das bei industriell ausgerichteter Landwirtschaft der Fall ist. Heraus kommt Qualität, die sich auszahlt: für die KonsumentInnen im unvergleichlich besseren Geschmack, für die LandwirtInnen, weil sie von ihrer Arbeit leben können – und für die Umwelt, die weniger belastet wird.

Regional, bio, fair: Margret Zimmermann und ihre Kolleginnen mit frisch im Geschäft eingelangtem Gemüse.

„Wir bieten alles an, was es an Lebensmitteln in Österreich gibt“, sagt Zimmermann. Aber natürlich ist bei essenswert.at nicht jederzeit alles verfügbar. „Wenn man sich überlegt, wie Erdbeeren im Winter schmecken, fällt ein Verzicht aber leicht.“ Warte man auf die Reifezeit, werde man durch die Freude am Aroma belohnt. Saisonale Ernährung sei darüber hinaus gesünder. „Es gibt immer genug, man muss sich halt vielleicht beim Kochen ein bissl was überlegen: Was gibt’s und was mache ich damit?“ Das Argument, viele Menschen könnten die höheren Ausgaben für Bio-Lebensmittel nicht stemmen, lässt Zimmermann nicht gelten: „Es ist leistbar. Was man bei mir bekommt, ist im Schnitt etwas teurer als beim Supermarkt-Diskonter. Aber nicht alle Produkte sind teurer.“ Dazu kommt, dass bei den Supermarktpreisen so manche Kosten nicht berücksichtigt sind. Denn auf Dauer müssen alle SteuerzahlerInnen für die Schäden aufkommen, die von der konventionellen Landwirtschaft verursacht werden. Sie müssen diesen Preis halt nicht an der Supermarktkasse bezahlen. Zudem gibt es einen eklatanten Qualitätsunterschied: „Deshalb ist es ohnehin ein Vergleich von Äpfeln und Birnen“, hält Zimmermann fest. „Man muss sich entscheiden, wofür man Geld ausgibt, was einem etwas wert ist.“

(Bio) ist leistbar. Was man bei mir bekommt, ist im Schnitt etwas teurer als beim Supermarkt-Diskonter. Aber nicht alle Produkte sind teurer.

Margret Zimmermann, Betreiberin essenswert.at

Aktionen und Lockangebote der Supermärkte verführen zudem dazu, mehr zu kaufen, als gebraucht wird. Oder dazu, gar nicht genau zu überlegen, was man denn wirklich braucht. Die AK schätzt, dass 70 Prozent der Einkäufe in Österreich ungeplant geschehen. „Viel wird dann weggeworfen – und das hat ja auch etwas gekostet: nicht nur die Umwelt, sondern auch die KonsumentInnen“, so Zimmermann.

Die BäuerInnen bekommen für ihre Produkte, was sie verlangen. „Es wird nicht gehandelt oder gefeilscht.“

Laut dem im August veröffentlichten Bericht des UNO-Weltklimarats werden zwischen 25 und 30 Prozent aller weltweit produzierten Lebensmittel verschwendet oder weggeworfen. In Österreich allein fallen laut einer Bestandsaufnahme des Ökologie-Instituts im Jahr 760.000 Tonnen Nahrungsabfälle an. Deshalb kann man allein schon mit einer besseren Einkaufsplanung einen großen Beitrag leisten. Bei essenswert.at jedenfalls bleibt den KundInnen gar nichts anderes übrig, denn bis Dienstag muss bestellt werden. „Da braucht es ein bisschen Vorausschau“, sagt Zimmermann. „Man kann dann nicht am Donnerstag sagen, dass man ganz etwas anderes will.“ Sie beobachtet, dass das für viele Leute ein Problem darstellt. Die Umstellung fällt schwer. „Man muss sich darauf einlassen, bis sich ein Rhythmus einstellt.“

Zimmermann verschweigt nicht: Als kleines Geschäft zu überleben, der Marktmacht standzuhalten, ist nicht einfach. Schließlich weist Österreich europaweit die höchste Filialdichte an Supermärkten auf. Auch was die Marktkonzentration betrifft, liegt das Land im Spitzenfeld. „Da könnte die Politik schon lenkend eingreifen“, findet Zimmermann. Und zwar nicht nur, weil es diese Zustände nachhaltig orientierten Initiativen wie der ihren unnötig schwer machen.

„Viel wird dann weggeworfen – und das hat ja auch etwas gekostet: nicht nur die Umwelt, sondern auch die KonsumentInnen.“ – Margret Zimmermann

Wenn man sich noch einmal all diese Aspekte durch den Kopf gehen lässt, so wird deutlich: Der Weg zu einer ökologischen Welt ist komplex. Die Erzählung vom Verzicht jedenfalls greift viel zu kurz. Vielmehr lässt sich viel gewinnen. Selbst die Wiener Beispiele werfen nur Schlaglichter auf eine Welt, die nicht nur anders, sondern besser sein könnte. Das macht Mut, denn es gibt schlichtweg keine Alternative mehr zum Umbau unserer Gesellschaft hin zu Ökologisierung und einer nachhaltigen Lebensweise. Nur so nämlich lässt sich das Szenario einer Klimakatastrophe noch vermeiden.

Von
Michael Robausch und Sonja Fercher

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/19.

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aw@oegb.at

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