Reportage: Gemeinsam für die anderen

Inhalt

  1. Seite 1 - Rette uns, wer kann
  2. Seite 2 - Im Namen der KollegInnen
  3. Seite 3 - Ehramt sucht Nachwuchs
  4. Seite 4
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Sie engagieren sich bei der Feuerwehr, arbeiten als SanitäterInnen oder sind in der Nachbarschaftshilfe aktiv: die Ehrenamtlichen. Warum ist ehrenamtliche Arbeit für unsere Gesellschaft wichtig, und was bringt sie den HelferInnen selbst?


Martin Kurzweil vertritt als Betriebsrat bei Opel-Aspern die Interessen seiner KollegInnen – oft außerhalb der Arbeitszeit, denn Kurzweil ist für seine Betriebsratstätigkeit nicht freigestellt.

Im Namen der KollegInnen

Sich für andere einzusetzen ist auch Martin Kurzweil sehr wichtig. Er vertritt als Betriebsrat bei Opel-Aspern die Interessen seiner KollegInnen – und das oft außerhalb der Arbeitszeit, denn Kurzweil ist nicht freigestellt. Lange hat er nicht überlegen müssen, als er 2015 gefragt wurde. „Ich war schon vorher Teamsprecher und habe zwischen Meisterebene und Mitarbeitern kommuniziert.“ Kurzweil ist gelernter Kfz-Mechaniker und arbeitet seit 24 Jahren im Opel-Werk in Wien-Aspern. Dort werden Motoren und Getriebe hergestellt, er ist für die Produktion der Getriebewellen zuständig.

Wenn KollegInnen Fragen haben, können sie die an seinem Arbeitsplatz stellen. Kurzweil und einige andere BetriebsrätInnen arbeiten in der Halle verteilt. Für ausführlichere Gespräche bleibt er nach Dienstschluss länger. Zu besprechen gibt es bei Opel viel. Die geplante Fusion der französischen Autogruppe PSA mit dem italo-amerikanischen Konzern Fiat Chrysler könnte auch Auswirkungen auf Opel – Eigentümer ist Peugeot Citroën – haben. Erst Anfang 2019 wurde die Streichung von 400 der 1.200 Stellen beschlossen.

Es ist für mich als Arbeiter wichtig, dass ich frei reden kann, um meine KollegInnen zu vertreten.

Martin Kurzweil, Betriebsrat Opel-Aspern

Kurzweil beantwortet etwa Fragen zu Freistellungen und Ansprüchen im Falle einer Kündigung. „Wir erklären Optionen wie den Sozialplan. So nehmen wir Ängste.“ Schwierig sei, dass er viele Betroffene gut kenne und sich frage, was das für den Einzelnen bedeute. Er will erreichen, „dass so viele wie möglich ihren Arbeitsplatz behalten“. Vor bald 100 Jahren trat das Gesetz zur Errichtung von Betriebsräten in Kraft. Darauf angesprochen, betont Kurzweil, wie wichtig es ist, dass Rechte und Pflichten von BetriebsrätInnen gesetzlich geregelt sind. „Es ist für mich als Arbeiter wichtig, dass ich frei reden kann, um meine KollegInnen zu vertreten.“ Die Bedeutung der betrieblichen ArbeitnehmerInnenvertretung zeigt eine aktuelle OECD-Studie: Österreich wird mit einer KV-Abdeckung von mehr als 90 Prozent lobend erwähnt. Nicht nur Beschäftigte profitieren durch bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch Unternehmen durch höhere Produktivität sowie die Volkswirtschaft durch sozialen Frieden.

Gesellschaftlicher Kitt

Fairness im Betrieb und Hilfe im Krisenfall: Der Einsatz für andere, wie ihn Betriebsrat Martin Kurzweil oder Sanitäter Fabian Wallner betreiben, ist wichtig für das gesellschaftliche Zusammenleben. Auch viele kommunalpolitische Tätigkeiten werden teilweise ehrenamtlich ausgeübt. Außerdem kann freiwilliges Engagement zur Unterstützung von Menschen beitragen, die marginalisiert sind. Zum einen kommen Leistungen gesellschaftlich Benachteiligten zugute, etwa älteren oder geflüchteten Menschen. Gleichzeitig können diese mit ihrer Expertise anderen helfen. „Es trägt zur Resilienz einer Gesellschaft bei, wenn es die Bereitschaft gibt, sich wechselseitig zu unterstützen“, sagt More-Hollerweger.

Es trägt zur Resilienz einer Gesellschaft bei, wenn es die Bereitschaft gibt, sich wechselseitig zu unterstützen.

Eva More-Hollerweger, WU Wien

Auch der Nutzen, der sich für die HelferInnen ergibt, ist laut der Wissenschafterin ein gesellschaftlicher Mehrwert: Wenn sich Menschen mit ihren Interessen einbringen, sich freiwillig engagieren, sind sie in Gemeinschaften eingebunden. Sie fühlen sich gebraucht, erhalten sozialen Rückhalt. Viele können so den Alltag besser bewältigen. Ohne dieses Engagement wäre unsere Gesellschaft viel ärmer, etwa im sozialen, aber auch im kulturellen Bereich, so More-Hollerweger. So ist es fraglich, ob es die Jungschar geben könnte, wenn die Kirche alle BetreuerInnen anstellen müsste, und viele soziale Leistungen wären für Betroffene unerschwinglich. BetriebsrätInnen wiederum sorgen dafür, dass die demokratische Mitbestimmung im Betrieb mit Leben erfüllt wird.

145 Jahre Engagement

Ternitz, Niederösterreich: Die „Stadt der Feuerwehren“ mit etwa 14.600, zehn freiwilligen und einer Betriebsfeuerwehr mit insgesamt 550 Mitgliedern.

Zurück nach Ternitz. Die Stadt mit etwa 14.600 EinwohnerInnen wird auch die „Stadt der Feuerwehren“ genannt. Zehn freiwillige und eine Betriebsfeuerwehr mit insgesamt 550 Mitgliedern löschen Brände, helfen bei Autounfällen, Hochwasser und Sturmschäden. Sie richten aber auch Frühschoppen, Bälle und andere Feste aus und stärken so die Gemeinschaft. Ternitz hat die meisten freiwilligen Feuerwehren in ganz Niederösterreich. Warum? Das Stadtgebiet ist mit rund 65 km² flächenmäßig größer als Wiener Neustadt.

Wir haben im Jahr 120 bis 150 Einsätze.

Peter Reumüller, Einsatzleiter Freiwillige Feuerwehr Ternitz-Pottschach

Die Freiwillige Feuerwehr Ternitz-Pottschach liegt neben dem Arbeiter-Samariterbund wo Sanitäter Wallner tätig ist. Wer den Aufenthaltsraum im oberen Stockwerk betritt, merkt sofort, dass die Feuerwehr zu den ältesten im Stadtgebiet gehört: Helme aus der k. u. k. Monarchie schmücken die Wände, dazu kommen Mannschaftsfotos verschiedener Jahrgänge und alte Ausrüstungsgegenstände. Sie zeugen von der 145-jährigen Geschichte. Die Garage im Erdgeschoss beherbergt vier Einsatzfahrzeuge, Umkleide- und Waschräume sind daneben. Peter Reumüller ist Einsatzleiter und stellvertretender Kommandant. Er ist seit seinem 15. Lebensjahr dabei: „Wir haben im Jahr 120 bis 150 Einsätze.“ Im Ernstfall werden die Helfer über SMS, Piepser oder Sirenen verständigt. Wer von der Arbeit oder von zu Hause wegkommt, fährt ins Feuerwehrhaus, zieht sich um und fährt raus. Das muss schnell gehen: Vom Alarm bis zum Ausfahren dauert es meist nur 10 bis 15 Minuten. Je nach Art des Notfalls sind auch mehrere Feuerwehren vor Ort. „Bei einem Verkehrsunfall mit Personen wird automatisch eine zweite Feuerwehr alarmiert, bei einem Wohnungsbrand sind es drei“, erzählt Reumüller.

Der Vizekommandant hat einen Schlossereibetrieb, ist also etwas flexibler als andere. Eng zugehen kann es am Vormittag, wenn viele Freiwillige gerade arbeiten. Neben den freiwilligen Feuerwehren gibt es in Österreich nur in sechs Landeshauptstädten eine Berufsfeuerwehr, St. Pölten, Eisenstadt und Bregenz setzen auf freiwillige Kräfte. Finanziert werden die Feuerwehren überwiegend von den Gemeinden. Österreichweit engagieren sich etwa 360.000 Menschen im Katastrophenhilfs- und Rettungsdienst. „Im Fall einer Katastrophe gibt es mehr ausgebildete Helfer, als wenn nur auf bezahlte Dienstleistungen zurückgegriffen würde“, erklärt Expertin More-Hollerweger. Sie können im Notfall rasch Erste Hilfe leisten, was anderen ein Sicherheitsgefühl gibt.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

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