Reportage: Das Gegeneinander-Ausspielen muss aufhören

(C) Michael Mazohl

Inhalt

  1. Seite 1 - Für die Belegschaft aktiv – gegen alle Hindernisse
  2. Seite 2 - Konzerne behindern Solidarität
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Europäische Betriebsratsarbeit am Beispiel Opel Aspern. Seit 1982 werden in Aspern auf der grünen Wiese Motoren und Getriebe für Autos hergestellt. Der Startschuss für die Errichtung des Werks wurde noch unter Bruno Kreisky gegeben. Am 23. August 1979 wurde der entsprechende Vertrag mit General Motors unterzeichnet. Die Geschichte dieser Fabrik war somit von Anfang an eine internationale und steht somit stellvertretend für viele andere global agierende Konzerne.
In Aspern werden Getriebe und Motoren für Opel-Fahrzeuge gebaut. Opel beziehungsweise Vauxhall, wie man die Marke in Großbritannien nennt, hat europaweit Standorte und Zulieferbetriebe. Der Konzern selbst ist aber nur ein Teil einer weitaus größeren Maschinerie. Gehörte er bis 2017 zum US-Riesen General Motors, ist er seit 2017 Teil von PSA, besser bekannt als Peugeot. Der Verkauf an PSA war Ausdruck einer schweren Krise bei General Motors. In den letzten Jahren gab es immer wieder Stellenabbau und Werksschließungen, in vielen Ländern wurde gestreikt und protestiert. Auch Peugeot setzte einen harten Sparkurs durch. 400 Stellen werden allein in Aspern abgebaut.

Der Dieselskandal hat der Automobilindustrie einen bleibenden Imageschaden verpasst, auf die immer drängender werdende Klimakrise versuchen die Konzerne mit der Einführung von Elektroautos zu reagieren.

Hinzu kommt, dass sich die Automobilindustrie insgesamt in unsicherem Fahrwasser befindet. In jedem Land und bei fast jedem Autobauer drohen Fabriksschließungen. Der Dieselskandal hat der Branche einen bleibenden Imageschaden verpasst, auf die immer drängender werdende Klimakrise versuchen die Konzerne mit der Einführung von Elektroautos zu reagieren.

Für die Belegschaft aktiv – gegen alle Hindernisse

Zu den Hochzeiten hatte Opel Aspern 100 Lehrlinge. Jetzt sind es nur mehr fünf.
Eine, die täglich mit all diesen Schwierigkeiten konfrontiert wird, ist Renate Blauensteiner. Sie ist Vorsitzende des Arbeiterbetriebsrats bei Opel Aspern, dessen Mitglied sie seit über 30 Jahren ist. Fragt man sie nach sichtbaren Veränderungen im Betrieb, lautet eine Antwort: „Zu den Hochzeiten hatten wir hier 100 Lehrlinge. Jetzt sind es nur mehr fünf. Und auch die gibt es nur aufgrund massiven Drucks durch den Betriebsrat.“ Über den geplanten Stellenabbau sagt sie: „Bei den meisten abgebauten Stellen handelt es sich um KollegInnen, die freiwillig gehen. Es gibt einen Sozialplan. Aber es wird durchaus auch zu einigen Kündigungen kommen.“

Ein multinationaler Konzern braucht eine internationale Sichtweise.
Blauensteiner kennt hier jede Produktionsstraße. Leichtfüßig und ohne hinzuschauen, umgeht sie jedes Hindernis in der Fabrik. An der Wand der Produktionshalle hängen Bilder und Collagen, die auf vergangene Meilensteine des Unternehmens verweisen – und auf bessere Zeiten. Renate Blauensteiner weiß, dass der Blick auf die eigene Fabrik nicht ausreicht. Ein multinationaler Konzern braucht eine internationale Sichtweise: „Es gibt für uns viele Fragen und Herausforderungen. Der Konzern versucht auf viele verschiedene Arten die verschiedenen Standorte gegeneinander auszuspielen. Und natürlich schaut jeder instinktiv erst einmal auf sich selbst. Aber die Belegschaften müssen untereinander Solidarität aufbauen. Man muss eine gemeinsame Basis finden.“

Renate Blauensteiner ist als Betriebsrätin nicht nur in der Werkshalle für ihre KollegInnen unterwegs. Auch international setzt sie sich für deren Interessen ein.

Ein Instrument, mit dem dies probiert wird, ist der Europäische Betriebsrat. Er soll Belegschaftsvertretungen aller Standorte aus allen Ländern eines multinationalen Konzerns an einen Tisch bringen. „Bei Opel haben wir seit 1996 einen Europäischen Betriebsrat. Ich bin seit 2009 dabei“, sagt Renate Blauensteiner.

Der Europäische Betriebsrat soll Belegschaftsvertretungen aller Standorte aus allen Ländern eines multinationalen Konzerns an einen Tisch bringen.

Europäische Betriebsräte haben inzwischen eine lange Geschichte hinter sich. 1983 wurde erstmals eine informelle Struktur gegründet, um ArbeitnehmervertreterInnen aus unterschiedlichen Ländern zusammenzubringen. Es war der Konzernbetriebsrat des französischen Unternehmens Saint-Gobain, der eine entsprechende Initiative in Gang setzte.

Seit 1995 gibt es eine EU-Richtlinie, die in Unternehmen mit mindestens 1.000 MitarbeiterInnen die Gründung eines Europäischen Betriebsrates erlaubt, wenn von den Beschäftigten mindestens 150 in zwei Ländern tätig sind.
Seit 1995 gibt es eine EU-Richtlinie, die in Unternehmen mit mindestens 1.000 MitarbeiterInnen die Gründung eines Europäischen Betriebsrates erlaubt, wenn von den Beschäftigten mindestens 150 in zwei Ländern tätig sind. 1996 trat eine weitere EU-Richtlinie in Kraft, wonach die Unternehmensleitung multinationaler Konzerne die Belegschaftsvertretungen zu allen grenzüberschreitenden Fragen unterrichten und anhören muss. Laut der gewerkschaftsnahen deutschen Hans-Böckler-Stiftung gibt es im Jahr 2019 1.146 aktive Europäische Betriebsräte, die geschätzt 17 Millionen ArbeitnehmerInnen vertreten.

„Unsere europäischen Betriebsratssitzungen finden meistens bei Opel in Rüsselsheim statt“, sagt Renate Blauensteiner. „Über die Jahrzehnte sind da zwischen manchen von uns echte Freundschaften entstanden.“

Internationale Bekanntschaften

Ein großer Vorteil dieser internationalen Verbindungen sei die Herstellung von Informationsflüssen zwischen den Betriebskörperschaften. „Wir besprechen uns immer zuerst gemeinsam, bevor wir in Verhandlungen mit der Unternehmensführung gehen. Und wir haben einen gemeinsamen Newsletter, mit dem wir Infos an alle verteilen können. Es fällt dem Unternehmen jetzt viel schwerer, uns anzulügen. Wenn die bei uns in Wien behaupten, die Einführung einer neuen Arbeitsmethode sei überhaupt kein Problem, auch an den anderen Standorten werde das schon längst so gemacht, können wir jetzt kurz bei den KollegInnen dort nachfragen, ob das stimmt oder ob man versucht, uns hinters Licht zu führen“, erzählt die Betriebsrätin.

(C) Michael Mazohl

Renate Blauensteiner kann auch von europaweiten Aktionen berichten, die auf Ebene des Europäischen Betriebsrats organisiert wurden. „Als es 2008/09 um Werksschließungen ging, haben wir einen gemeinsamen Aktionstag organisiert, um den betroffenen Standorten zu helfen. Wir sind alle gemeinsam nach Antwerpen gefahren, um dafür zu sorgen, dass die von Kündigung und Arbeitsplatzabbau betroffenen KollegInnen wenigstens eine gute Abfindung bekommen.“ 2.500 Jobs gingen 2010 in Antwerpen als Teil der damals von Opel und General Motors betriebenen Umstrukturierung verloren. „Auch hier in Wien haben wir damals Flugblattaktionen gemacht“, so Blauensteiner.

Selbst bescheidene Solidarisierungsversuche auf internationaler Ebene werden von den Konzernspitzen skeptisch beäugt.

Selbst bescheidene Solidarisierungsversuche auf internationaler Ebene werden von den Konzernspitzen skeptisch beäugt. Sophia Reisecker, die bei der Gewerkschaft GPA-djp für die Bereiche Europa, Konzerne und internationale Beziehungen verantwortlich ist, kann ein Lied davon singen. Grundsätzlich hält sie aber fest: „Die Europäischen Betriebsräte sind ein Erfolgskonzept. Sie sind weltweit einzigartig und geben Betriebsräten die Möglichkeit, sich zu vernetzen, Perspektiven zu entwickeln und sich auf lokale Veränderungen einzustellen.“

Konzerne behindern Solidarität

Deshalb, so ist Reisecker überzeugt, werden Europäische Betriebsräte in ihrer Arbeit behindert. „Viele Konzerne kommen ihrer Informationspflicht nicht nach. Sie erschweren den BelegschaftsvertreterInnen auch die Kommunikation zwischen den Standorten.“ Wie machen sie das genau? „Die argumentieren immer mit den Kosten. So ist ihnen die Übersetzung oft zu teuer, weshalb sie diese einsparen wollen. Ohne Übersetzung kann es für die KollegInnen aber zu sehr hohen Sprachbarrieren kommen.“ Auch der Sinn physischer Treffen werde von den Unternehmen oft angezweifelt. „Natürlich gibt es Möglichkeiten, sich über Skype oder durch Videokonferenzen auszutauschen“, sagt Sophia Reisecker. „Aber die können ein echtes Treffen und den direkten Austausch eben nicht ersetzen.“

Europäische Gewerkschaftsverbände und Zusammenschlüsse fordern schon seit Längerem eine neue EU-Richtlinie zum Thema „Europäischer Betriebsrat“.

Europäische Gewerkschaftsverbände und Zusammenschlüsse fordern deshalb schon seit Längerem eine neue EU-Richtlinie zum Thema „Europäischer Betriebsrat“. So kämpft die globale Gewerkschaftsföderation „IndustriAll“ unter anderem für eine stärkere Durchsetzbarkeit der Rechte von Europäischen Betriebsräten sowie für schlagkräftigere Sanktionsmöglichkeiten gegen Unternehmen, welche diese Rechte brechen oder nicht ernst nehmen.

Auch die Hans-Böckler-Stiftung kritisiert in ihren Publikationen eine mangelnde Verbindlichkeit der bestehenden EU-Richtlinie. Genau wie Sophia Reisecker bemängelt die Stiftung in dem Artikel „Was Europa für Arbeitnehmer tun muss“: „Bei Entscheidungen der Unternehmensleitung werden die Europäischen Betriebsräte jedoch häufig zu spät informiert oder erhalten nicht alle nötigen Informationen.“ Neben „spürbaren Sanktionen“ fordert die Stiftung, dass sichergestellt werden müsse, „dass auch die europäischen Gewerkschaften mit den Unternehmensleitungen verhandeln können und nicht betriebliche Mitbestimmung gegen gewerkschaftliche Interessenvertretung ausgespielt wird“.

Die Europäische Kommission sieht derzeit keinen Bedarf an einer neuen Richtlinie.

Für Sophia Reisecker besteht das Problem darin, dass gerade multinationale Konzerne viele Sanktionen leicht abschütteln können. „Bei vielen Konzernen fallen zum Beispiel Geldstrafen nicht ins Gewicht. Man muss an anderen Stellen ansetzen, zum Beispiel dass für einen Konzern wichtige Projekte auf Eis gelegt werden, wenn sich dieser Konzern nicht an Regeln hält.“ Die Europäische Kommission sieht derzeit übrigens keinen Bedarf an einer neuen Richtlinie. „Vielleicht ändert sich das ja, wenn die neue Kommission kommt“, meint Reisecker, überzeugt klingt sie aber nicht.

Unterschiedliche gewerkschaftliche Kulturen

Renate Blauensteiner kennt diese Pro-blematik aus eigener Erfahrung. „Peugeot ist viel weniger an einer Zusammenarbeit mit dem Europäischen Betriebsrat interessiert, als dies bei General Motors der Fall war.“ Ein weiteres Hindernis seien die teils sehr unterschiedlichen gewerkschaftlichen Praktiken in den jeweiligen Ländern: „Peugeot hat seinen eigenen Europäischen Betriebsrat, bei dem die verschiedenen Opel-Standorte auch mitmachen. Aber Frankreich kennt keine Betriebsräte wie bei uns. Stattdessen sind in jedem Betrieb verschiedene Gewerkschaften mit durchaus unterschiedlichen politischen Ansätzen vertreten. Das reicht von eher unternehmerfreundlichen Gewerkschaften bis zu sehr radikalen Kräften. Im Unterschied zur Praxis bei General Motors gibt es bei Peugeot keine gemeinsamen Vorbesprechungen der BeschäftigtenvertreterInnen. Dort sitzen die UnternehmerInnen immer gleich dabei.“

(C) Michael Mazohl

Wichtig sei es, sich gemeinsam mit den internationalen KollegInnen neu aufzustellen. „Wir wollen den bestehenden Europäischen Betriebsrat bei Opel unbedingt erhalten, auch weil wir uns schon jahrzehntelang kennen und das Vertrauen einfach da ist.“ Gleichzeitig gelte es aber, auch im neuen Gesamtkonzern Pflöcke einzuschlagen. „Man muss schauen, dass die Produktion zwischen den verschiedenen Standorten so gut wie möglich aufgeteilt ist. Jedes Werk muss ausgelastet sein. Peugeot versucht, alle gegeneinander auszuspielen. Die fragen einfach in die Runde, welches Werk bereit ist, am billigsten zu produzieren. Der Rest ist denen egal. Da kann der Europäische Betriebsrat gegensteuern“, hält Blauensteiner fest.

Gerade weil international tätige Konzerne verbindliche gemeinsame Standards verhindern wollen, ist die internationale Zusammenarbeit nationaler Gewerkschaften essenziell.
Gerade weil international tätige Konzerne verbindliche gemeinsame Standards verhindern wollen, hält Sophia Reisecker die internationale Zusammenarbeit nationaler Gewerkschaften für essenziell. „In immer mehr Konzernen laufen die Prozesse grenzübergreifend. Auch Teams arbeiten teilweise grenzübergreifend.“ Wichtig sei die Zusammenarbeit zwischen betrieblichen, auch europäischen Mitbestimmungsstrukturen und den Gewerkschaften. „Ein Beispiel ist für mich Magenta, ein österreichisches Telekommunikationsunternehmen, welches zur Deutschen Telekom gehört. Dort gibt es eine Zusammenarbeit sowohl auf europäischer Betriebsratsebene als auch mit gewerkschaftlichen Interessenvertretungen, um zu untersuchen, wie wir im Unternehmen der Herausforderung der Digitalisierung begegnen können. Es ist wichtig, diese Prozesse im Sinne der Beschäftigten zu gestalten. Dabei muss man auch mit den unterschiedlichen gewerkschaftlichen Kulturen umgehen und eine gemeinsame Basis finden“, so die Gewerkschafterin.

Spaltungen überwinden

Technologischer Wandel ist auch in Aspern deutlich spürbar. In der riesigen Produktionshalle läuft fast alles automatisch. Motoren und Getriebeteile werden wie von Geisterhand von auf Schienen fahrenden Wagerln zu Robotern gefahren, deren Greifarme sodann zu Werke gehen. ArbeiterInnen sieht man auf den ersten Blick kaum. Und doch arbeiten hier noch weit über 1.000 Menschen, teilweise bei Innentemperaturen von weit über 30 Grad. „Was passiert denn, wenn die gut bezahlten Industriejobs wegfallen“, fragt sich Renate Blauensteiner. „Dann geht es doch auch mit dem Dienstleistungsbereich bergab. Eine Wirtschaft kann nicht nur mit Niedriglohnjobs funktionieren.“

Das Problem der nationalen Konkurrenz zwischen den Ländern beschäftigt Blauensteiner mit am meisten. „Wir können ja gegen Standortschließungen kaum etwas machen. Gegen niedrige Löhne in anderen Ländern kommen wir auch nicht an. Aber dieses dauernde Niederkonkurrieren ist ja keine Lösung. Die ArbeiterInnen müssen von ihren Produkten leben können.“ Auch über die Ungleichheit zwischen den Ländern müsse geredet werden: „Jedes Land muss die gleichen Chancen kriegen. Wir brauchen die gleichen Bedingungen untereinander. Dieses ewige Ausspielen muss beendet werden.“

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Österreich ist keine Insel, die österreichische ArbeiterInnenbewegung kann es genauso wenig sein.

Eines ist klar. Österreich ist keine Insel, die österreichische ArbeiterInnenbewegung kann es genauso wenig sein. Internationale Prozesse, wirtschaftliche wie politische, haben auch bei Opel Aspern von Anfang an eine Rolle gespielt. Die Fabrik steht und fällt mit weltweiten Entwicklungen und Entscheidungen. In der europäischen Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit zeigen sich für lohnabhängige Menschen sowohl die Herausforderungen als auch die Chancen. Vor allem Letztere werden von den Unternehmen durchaus als Bedrohung gesehen. Ohne internationale Zusammenarbeit werden ArbeiterInnen und Angestellte zu Spielbällen der multinationalen Märkte.

Von
Christian Bunke

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/19.

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