Reportage: Das Gegeneinander-Ausspielen muss aufhören

Inhalt

  1. Seite 1 - Für die Belegschaft aktiv – gegen alle Hindernisse
  2. Seite 2 - Konzerne behindern Solidarität
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Europäische Betriebsratsarbeit am Beispiel Opel Aspern. Seit 1982 werden in Aspern auf der grünen Wiese Motoren und Getriebe für Autos hergestellt. Der Startschuss für die Errichtung des Werks wurde noch unter Bruno Kreisky gegeben. Am 23. August 1979 wurde der entsprechende Vertrag mit General Motors unterzeichnet. Die Geschichte dieser Fabrik war somit von Anfang an eine internationale und steht somit stellvertretend für viele andere global agierende Konzerne.

Konzerne behindern Solidarität

Deshalb, so ist Reisecker überzeugt, werden Europäische Betriebsräte in ihrer Arbeit behindert. „Viele Konzerne kommen ihrer Informationspflicht nicht nach. Sie erschweren den BelegschaftsvertreterInnen auch die Kommunikation zwischen den Standorten.“ Wie machen sie das genau? „Die argumentieren immer mit den Kosten. So ist ihnen die Übersetzung oft zu teuer, weshalb sie diese einsparen wollen. Ohne Übersetzung kann es für die KollegInnen aber zu sehr hohen Sprachbarrieren kommen.“ Auch der Sinn physischer Treffen werde von den Unternehmen oft angezweifelt. „Natürlich gibt es Möglichkeiten, sich über Skype oder durch Videokonferenzen auszutauschen“, sagt Sophia Reisecker. „Aber die können ein echtes Treffen und den direkten Austausch eben nicht ersetzen.“

Europäische Gewerkschaftsverbände und Zusammenschlüsse fordern schon seit Längerem eine neue EU-Richtlinie zum Thema „Europäischer Betriebsrat“.

Europäische Gewerkschaftsverbände und Zusammenschlüsse fordern deshalb schon seit Längerem eine neue EU-Richtlinie zum Thema „Europäischer Betriebsrat“. So kämpft die globale Gewerkschaftsföderation „IndustriAll“ unter anderem für eine stärkere Durchsetzbarkeit der Rechte von Europäischen Betriebsräten sowie für schlagkräftigere Sanktionsmöglichkeiten gegen Unternehmen, welche diese Rechte brechen oder nicht ernst nehmen.

Auch die Hans-Böckler-Stiftung kritisiert in ihren Publikationen eine mangelnde Verbindlichkeit der bestehenden EU-Richtlinie. Genau wie Sophia Reisecker bemängelt die Stiftung in dem Artikel „Was Europa für Arbeitnehmer tun muss“: „Bei Entscheidungen der Unternehmensleitung werden die Europäischen Betriebsräte jedoch häufig zu spät informiert oder erhalten nicht alle nötigen Informationen.“ Neben „spürbaren Sanktionen“ fordert die Stiftung, dass sichergestellt werden müsse, „dass auch die europäischen Gewerkschaften mit den Unternehmensleitungen verhandeln können und nicht betriebliche Mitbestimmung gegen gewerkschaftliche Interessenvertretung ausgespielt wird“.

Die Europäische Kommission sieht derzeit keinen Bedarf an einer neuen Richtlinie.

Für Sophia Reisecker besteht das Problem darin, dass gerade multinationale Konzerne viele Sanktionen leicht abschütteln können. „Bei vielen Konzernen fallen zum Beispiel Geldstrafen nicht ins Gewicht. Man muss an anderen Stellen ansetzen, zum Beispiel dass für einen Konzern wichtige Projekte auf Eis gelegt werden, wenn sich dieser Konzern nicht an Regeln hält.“ Die Europäische Kommission sieht derzeit übrigens keinen Bedarf an einer neuen Richtlinie. „Vielleicht ändert sich das ja, wenn die neue Kommission kommt“, meint Reisecker, überzeugt klingt sie aber nicht.

Unterschiedliche gewerkschaftliche Kulturen

Renate Blauensteiner kennt diese Pro-blematik aus eigener Erfahrung. „Peugeot ist viel weniger an einer Zusammenarbeit mit dem Europäischen Betriebsrat interessiert, als dies bei General Motors der Fall war.“ Ein weiteres Hindernis seien die teils sehr unterschiedlichen gewerkschaftlichen Praktiken in den jeweiligen Ländern: „Peugeot hat seinen eigenen Europäischen Betriebsrat, bei dem die verschiedenen Opel-Standorte auch mitmachen. Aber Frankreich kennt keine Betriebsräte wie bei uns. Stattdessen sind in jedem Betrieb verschiedene Gewerkschaften mit durchaus unterschiedlichen politischen Ansätzen vertreten. Das reicht von eher unternehmerfreundlichen Gewerkschaften bis zu sehr radikalen Kräften. Im Unterschied zur Praxis bei General Motors gibt es bei Peugeot keine gemeinsamen Vorbesprechungen der BeschäftigtenvertreterInnen. Dort sitzen die UnternehmerInnen immer gleich dabei.“

(C) Michael Mazohl

Wichtig sei es, sich gemeinsam mit den internationalen KollegInnen neu aufzustellen. „Wir wollen den bestehenden Europäischen Betriebsrat bei Opel unbedingt erhalten, auch weil wir uns schon jahrzehntelang kennen und das Vertrauen einfach da ist.“ Gleichzeitig gelte es aber, auch im neuen Gesamtkonzern Pflöcke einzuschlagen. „Man muss schauen, dass die Produktion zwischen den verschiedenen Standorten so gut wie möglich aufgeteilt ist. Jedes Werk muss ausgelastet sein. Peugeot versucht, alle gegeneinander auszuspielen. Die fragen einfach in die Runde, welches Werk bereit ist, am billigsten zu produzieren. Der Rest ist denen egal. Da kann der Europäische Betriebsrat gegensteuern“, hält Blauensteiner fest.

Gerade weil international tätige Konzerne verbindliche gemeinsame Standards verhindern wollen, ist die internationale Zusammenarbeit nationaler Gewerkschaften essenziell.
Gerade weil international tätige Konzerne verbindliche gemeinsame Standards verhindern wollen, hält Sophia Reisecker die internationale Zusammenarbeit nationaler Gewerkschaften für essenziell. „In immer mehr Konzernen laufen die Prozesse grenzübergreifend. Auch Teams arbeiten teilweise grenzübergreifend.“ Wichtig sei die Zusammenarbeit zwischen betrieblichen, auch europäischen Mitbestimmungsstrukturen und den Gewerkschaften. „Ein Beispiel ist für mich Magenta, ein österreichisches Telekommunikationsunternehmen, welches zur Deutschen Telekom gehört. Dort gibt es eine Zusammenarbeit sowohl auf europäischer Betriebsratsebene als auch mit gewerkschaftlichen Interessenvertretungen, um zu untersuchen, wie wir im Unternehmen der Herausforderung der Digitalisierung begegnen können. Es ist wichtig, diese Prozesse im Sinne der Beschäftigten zu gestalten. Dabei muss man auch mit den unterschiedlichen gewerkschaftlichen Kulturen umgehen und eine gemeinsame Basis finden“, so die Gewerkschafterin.

Spaltungen überwinden

Technologischer Wandel ist auch in Aspern deutlich spürbar. In der riesigen Produktionshalle läuft fast alles automatisch. Motoren und Getriebeteile werden wie von Geisterhand von auf Schienen fahrenden Wagerln zu Robotern gefahren, deren Greifarme sodann zu Werke gehen. ArbeiterInnen sieht man auf den ersten Blick kaum. Und doch arbeiten hier noch weit über 1.000 Menschen, teilweise bei Innentemperaturen von weit über 30 Grad. „Was passiert denn, wenn die gut bezahlten Industriejobs wegfallen“, fragt sich Renate Blauensteiner. „Dann geht es doch auch mit dem Dienstleistungsbereich bergab. Eine Wirtschaft kann nicht nur mit Niedriglohnjobs funktionieren.“

Das Problem der nationalen Konkurrenz zwischen den Ländern beschäftigt Blauensteiner mit am meisten. „Wir können ja gegen Standortschließungen kaum etwas machen. Gegen niedrige Löhne in anderen Ländern kommen wir auch nicht an. Aber dieses dauernde Niederkonkurrieren ist ja keine Lösung. Die ArbeiterInnen müssen von ihren Produkten leben können.“ Auch über die Ungleichheit zwischen den Ländern müsse geredet werden: „Jedes Land muss die gleichen Chancen kriegen. Wir brauchen die gleichen Bedingungen untereinander. Dieses ewige Ausspielen muss beendet werden.“

(C) Michael Mazohl

Österreich ist keine Insel, die österreichische ArbeiterInnenbewegung kann es genauso wenig sein.

Eines ist klar. Österreich ist keine Insel, die österreichische ArbeiterInnenbewegung kann es genauso wenig sein. Internationale Prozesse, wirtschaftliche wie politische, haben auch bei Opel Aspern von Anfang an eine Rolle gespielt. Die Fabrik steht und fällt mit weltweiten Entwicklungen und Entscheidungen. In der europäischen Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit zeigen sich für lohnabhängige Menschen sowohl die Herausforderungen als auch die Chancen. Vor allem Letztere werden von den Unternehmen durchaus als Bedrohung gesehen. Ohne internationale Zusammenarbeit werden ArbeiterInnen und Angestellte zu Spielbällen der multinationalen Märkte.

Von
Christian Bunke

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/19.

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