Reportage: Arbeitsmarktpolitik: Chancen fördern?

Inhalt

  1. Seite 1 - Unter Druck
  2. Seite 2 - Abwertende Bilder
  3. Seite 3 - Verlorene Chance
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Druck und Forderungen: Damit sind Arbeitsuchende vonseiten der Behörden seit einiger Zeit immer wieder konfrontiert. ExpertInnen und Betroffene sprechen darüber, was sich in der Arbeitsmarktpolitik verbessern muss und wie die Arbeiterkammer Betroffenen hilft.

Abwertende Bilder

In der öffentlichen Debatte rund um die Sozialhilfe neu kamen arbeitslose Menschen nicht gut weg. Mitglieder der gescheiterten Regierung sprachen von sozia-ler Hängematte, Durchschummlern und Langschläfern. AK-Experte Mitter ist empört, dass Spitzenrepräsentanten der Ex-Regierung arbeitslose Menschen als „Spätaufsteher“ und „Durchschummler“ bezeichnet haben. Ihm ist es sehr wichtig, abwertenden Bildern wie diesen deutlich entgegenzutreten. „Dagegen kämpfen wir seit 20 bis 30 Jahren.“

Auch Judith Pühringer, Geschäftsführerin von arbeit plus, dem österreichweiten Netzwerk Sozialer Unternehmen, ärgert sich über solche Darstellungen, die der Realität von Arbeitsuchenden diametral entgegenstehen. „Wir erleben, dass Menschen sich mit ihren Kompetenzen einbringen möchten, aber nicht alle schaffen das zu den Bedingungen des Arbeitsmarktes.“ Das Geburtsdatum kann ebenso zum Ausschlussgrund werden wie fehlende Qualifikationen. Deshalb brauche es passgenaue Angebote. Doch stattdessen gab es im Zuge der AMS-Kürzungen Einschnitte bei den rund 200 sozialen Unternehmen, die 30.000 Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.

Zu Hause zu sitzen, sich nicht mehr gebraucht zu fühlen war oft sehr bedrückend.

Werner Liebig

Auch Werner Liebig hat es sich alles andere als bequem gemacht. 21 Jahre lebte er in Venezuela, war in der Hotellerie tätig und kehrte aufgrund der Krise dort in die Heimat zurück. Dass es in seinem Alter nicht einfach sein würde, einen Job zu finden, war dem 62-Jährigen bewusst. Bei Hunderten Bewerbungen gab es trotz einiger Vorstellungsgespräche nur Absagen. „Zu Hause zu sitzen, sich nicht mehr gebraucht zu fühlen war oft sehr bedrückend.“ Dazu kamen finanzielle Einschränkungen. „Ein spontaner Kaffee war oft nicht drin.“ Seine Frau machte ihm Mut. Liebig besuchte AMS-Veranstaltungen und erfuhr von einem Hotel im 1. Bezirk in Wien, das älteren Arbeitsuchenden eine Chance gibt. Liebig bewarb sich. „Ich arbeite seit sechs Monaten dort und bin Ansprechpartner für unsere spanischsprachigen Gäste“, erzählt er stolz.

Potenziale ausschöpfen

In der Abteilung Arbeitsmarkt und Inte-grationspolitik der AK Wien, der Gernot Mitter vorsteht, geht es auch darum, wie die Integration von geflüchteten Menschen in den Arbeitsmarkt gelingen kann und wie der Zugang von Drittstaatsangehörigen auf den österreichischen Arbeitsmarkt geregelt werden sollte. Für Mitter ist klar, dass Zugewanderte möglichst rasch und gut integriert werden müssen – auch um zu verhindern, dass der Lohndruck für alle Beschäftigten zunimmt. Es gilt Menschen entsprechend ihrer Qualifikation im Arbeitsmarkt zu verankern, dafür braucht es adäquate Sprachkenntnisse und die Nostrifikation von Ausbildungen. Im Hinblick auf den Fachkräftemangel empfiehlt Mitter, Potenziale im Land auszuschöpfen. So sei der Anteil an Teilzeitjobs bei Frauen hoch, es brauche einen vernünftigen Umgang mit älteren ArbeitnehmerInnen und die Integration von Asylberechtigten in den Arbeitsmarkt. Das erfordere Investitionen in Aus- und Weiterbildung. Doch stattdessen würde mit einer Liberalisierung der Rot-Weiß-Rot-Karte und dem Zuzug von NiedrigverdienerInnen der Lohndruck erhöht. Maßnahmen zur Eingliederung von älteren Langzeitarbeitslosen, wie die von der SPÖ/ÖVP-Koalition beschlossene „Aktion 20.000“, wurden mit 31. Dezember 2017 ausgesetzt.

(C) Michael Mazohl
Noch sinken aufgrund der guten Konjunktur die Arbeitslosenzahlen. Bereits 2020 erwartet Wifo-Chef Christoph Badelt einen leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Der Bedarf an Mitteln für aktive Arbeitsmarktpolitik wird wieder steigen.

Die richtige Entscheidung

Durch diese Jobinitiative sollten 20.000 staatlich geförderte und kollektivvertraglich bezahlte neue Jobs für langzeitbeschäftigungslose Menschen über fünfzig geschaffen werden, etwa bei Gemeinden, NGOs und sozialen Unternehmen. Der Bund übernahm Lohn- und Nebenkosten für maximal zwei Jahre. Die Aktion 20.000 startete im Juli 2017 in jedem Bundesland in elf Modellregionen. Im Sommer 2017 hört Jutta Konvicka in den Medien von der Aktion 20.000 und bewirbt sich über das AMS bei der Armutskonferenz, einem Netzwerk sozialer Hilfsorganisationen. Gleichzeitig bewirbt sie sich beim sozialen Unternehmen „die Caterei“ im Büro und beginnt ein Arbeitstraining. „Ich wollte noch keinen Vertrag unterschreiben, der nur auf neun Monate befristet ist, solange meine andere Bewerbung noch läuft.“ Hätte sie den Vertrag unterschrieben, wäre sie nicht für die Aktion 20.000 infrage gekommen. Als sie von der Jobzusage bei der Armutskonferenz erfuhr, musste sie sich erst setzen. „Das war so super!“

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

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