Interview: Einstimmigkeit muss weg

Evelyn Regner, MEP
„Die Länder nehmen das Geld, ohne lange zu prüfen, ob es aus Geldwäsche, aus illegalen Machenschaften oder aus Hinterziehung gekommen ist. Das ist natürlich ein Wahnsinn, und genau das ist ein Steuersumpf.“
Fotos (C) Michael Mazohl

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  1. Seite 1 - Steuergerechtigkeit
  2. Seite 2 - Einstimmigkeit bei Steuerfragen
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Das Einstimmigkeitsprinzip bringt keine Steuergerechtigkeit für die Europäische Union und ihre BürgerInnen, meint die EU-Parlamentarierin Evelyn Regner (SPÖ) im Interview – und fordert eine Abkehr davon.
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chattenfinanzplätze, Briefkastenfirmen, Steuervermeidung – den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union entgehen so pro Jahr bis zu 1.000 Milliarden Euro. 835 Milliarden Euro alleine durch Steuerhinterziehung, sagt eine Studie der Universität London, die von der sozialdemokratischen S&D-Fraktion beauftragt wurde.

Etwa 150 Milliarden Euro pro Jahr werden von multinationalen Konzernen und Digitalkonzernen durch Konstruktionen zur Steuervermeidung aus der EU geschafft. Seit den LuxLeaks, Panama-Papers und den Bahama-Leaks ist Steuergerechtigkeit verstärkt in den öffentlichen Fokus gerückt.

Evelyn Regner war Mitglied im Ausschuss zu Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung (Pana-Untersuchungsausschuss) des EU-Parlaments. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, mit welchen Maßnahmen das EU-Parlament Steuergerechtigkeit schaffen will, woran diese zum Teil in der Umsetzung scheitern und was sie sich von einem neuen Kommissionspräsidenten erwartet.

Zur Person
Die 53-jährige Juristin Evelyn Regner aus Wien-Leopoldstadt ist seit 2009 Abgeordnete zum Europäischen Parlament, seit 2015 leitet sie dort die Delegation der SPÖ. Zuvor war sie Leiterin des ÖGB-Europabüros in Brüssel und der Stabsstelle EU und Internationales im ÖGB.

Arbeit&Wirtschaft: Frau Regner, Sie fordern Steuergerechtigkeit – was sind denn die größten Steuerungerechtigkeiten?

Evelyn Regner: Die größte Steuerungerechtigkeit ist, dass die großen, multinationalen Unternehmen systematisch ihre Steuern nicht zahlen oder sehr wenig zahlen – und die ganz normalen Menschen ihre Steuern aber schon. Das ist das ganz klassische Bild. Jeder soll seinen Teil für die Gesellschaft erbringen – das machen die Beschäftigten, das machen die Konsumenten, das machen vor allem auch die kleinen Unternehmen.

Die größte Steuerungerechtigkeit ist, dass die großen, multinationalen Unternehmen systematisch ihre Steuern nicht zahlen oder sehr wenig zahlen – die ganz normalen Menschen ihre Steuern aber schon.

Die großen Unternehmen machen das nicht. Das Geld fehlt ja dann. Für Pflege, für Gesundheit, für Bildung, für Ökologisierung der Wirtschaft, für Infrastruktur.

Sie verwenden oft den Begriff Steuersumpf, was ist denn damit gemeint?

Steuersumpf:

Das sind Orte, an denen das Geld geparkt wird. Die ganz Frechen sagen: konservativ veranlagt.

Das sind Orte, an denen das Geld geparkt wird. Die ganz Frechen sagen: konservativ veranlagt wird. Das sind Länder wie Panama. Panama ist ein bekanntes Beispiel, weil wir die „Panama Papers“ hatten. Es gibt andere auch: Singapur, aber auch innerhalb Europas, die Schweiz, Niederlande, Luxemburg, Irland, und es gibt noch mehr. In den Ländern gibt es kaum Regeln, ob und wie Steuern erbracht werden oder offengelegt wird, woher das Geld eigentlich kommt. Die Länder nehmen das Geld, ohne lange zu prüfen, ob es aus Geldwäsche, aus illegalen Machenschaften oder aus Hinterziehung gekommen ist. Das ist natürlich ein Wahnsinn, und genau das ist ein Steuersumpf.

Ich sage absichtlich Steuersumpf und nicht Steueroase, weil eine Oase ist etwas Feines. Ein Sumpf, das ist ein Morast, in dem das ganze Geld versickert, und man weiß nicht einmal, wer die eigentlichen Eigentümer sind. So einen Sumpf muss man trockenlegen.

Viel Geld wird auch legal dorthin transferiert, wie will die EU der Steuervermeidung gegensteuern?

Im Europäischen Parlament haben wir schon eine Reihe Maßnahmen beschlossen, die allerdings vom Rat – wie kann ich das sagen: – in ein Abstellkammerl gestellt wurden. Das ist natürlich eine Sauerei.

Um der Steuervermeidung entgegenzusteuern, braucht es mehr Offenlegung und öffentliche Kontrollen.

Der erste Schritt ist: Wir müssen wissen, in welchem Land die Gewinne erwirtschaftet wurden, und das Land für Land für Land – und wo nicht. Bei großen Unternehmen – egal, ob das jetzt Ikea ist oder ein digitaler Konzern – müssen wir wissen: Wieviele Beschäftigte sind es in Österreich, wieviele sind es in Schweden, wieviel wurde verkauft – die wichtigsten Kennzahlen eben, die sowieso über die Bilanzierung offengelegt werden müssen.

Diese Kennzahlen sollen in einer öffentlichen Konzernsteuererklärung offengelegt werden: Land für Land für Land – für jeden einsehbar. Damit gibt es eine öffentliche Kontrolle, im Übrigen auch für die Shareholder.

Wenn das soweit offenliegt, dann kann man anfangen zu besteuern – wenn gemeinsame Kriterien für die Körperschaftssteuer feststehen.

Also was genau überhaupt bemessen wird.

Ja. Land für Land für Land eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage. Quasi etwas, was ich vergleichen kann. Das ist der zweite Schritt, den haben wir ebenfalls im Europäischen Parlament beschlossen. Das Parlament macht seine Aufgaben.

Es scheitert in der Umsetzung am Einstimmigkeitsprinzip?

Genau, beim zweiten Teil. Beim ersten Teil – also Profite müssen dort versteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden – da ist es nicht die Einstimmigkeit. Das scheitert an den Finanzministern.
Die Einstimmigkeit, wie im Fall der Körperschaftssteuer, die muss weg, sonst kommen wir nie vom Fleck. Das hat man zuletzt bei der Finanztransaktionssteuer gesehen – man kommt nicht weiter, wenn alle dafür sein müssen.

Digitale Unternehmen räumen doppelt und dreifach ab: Einerseits durch Steuervermeidung und Steuerkonstrukte, andererseits weil sie Geld absaugen, das bisher in der normalen Wirtschaft war.

Der dritte große Schritt ist dann: Wir müssen schon auch schauen, wie es mit den Digitalunternehmen aussieht, im Verhältnis zu denen der Realwirtschaft. Die digitalen Unternehmen räumen doppelt und dreifach ab. Einerseits durch Steuervermeidung und Steuerkonstrukte, andererseits weil sie Geld absaugen, das bisher in der normalen Wirtschaft war. Das müssen wir auf gleiche Beine stellen – die sogenannte digitale Betriebsstätte.

„Wenn Google sagt: irgendwo, wo es keine Regeln gibt, wo es keinen Beschäftigten gibt, wo keine Produktion ist, wo einfach nichts ist, dort wird alles erwirtschaftet – das ist doch ein schlechter Scherz.“

 

Google sagt, ihre Wertschöpfung basiert auf einem Algorithmus, der auf den Bermudas versteuert wird…

Wir müssen Briefkastenkonstruktionen in den Griff bekommen.

Das ist keine Wertschöpfung. Wenn Google sagt: irgendwo, wo es keine Regeln gibt, wo es keinen Beschäftigten gibt, wo keine Produktion ist, wo einfach nichts ist, dort wird alles erwirtschaftet – das ist doch ein schlechter Scherz. Die nutzen eben ihren juristischen Spielraum, um ihr Geld in diesen Steuersümpfen verschwinden zu lassen. Dann müssen wir die Definitionen ändern, um solche Briefkastenkonstruktionen in den Griff zu bekommen.

Auf OECD-Ebene wird gerade ein globaler Mindeststeuersatz diskutiert.

Eine gute Idee!

Aber?

Es ist wie bei der Finanztransaktionssteuer. Das wäre auch das Allertollste, wenn es sie global gibt. Aber wenn man sagt, es soll erst einmal global kommen, dann kommt es nie. Das ist auch immer die Ausrede der Blockierer unter den Mitgliedsstaaten.

Die Europäische Union ist der wichtigste Wirtschaftsraum der Welt, wenn wir gemeinsam etwas beschließen, hat das Auswirkungen auf die ganze Welt.

Es ist schon wichtig, dass man auf der Ebene der G-20 die Dinge voranpusht, aber ich sage, das soll nicht davon abhalten, nationale Maßnahmen zu setzen, durch die Europäische Union Maßnahmen zu setzen, und global. Die Europäische Union ist der wichtigste Wirtschaftsraum der Welt, wenn wir gemeinsam etwas beschließen, hat das Auswirkungen auf die ganze Welt. Dann braucht man sich nicht abputzen und sagen: Alles erst global.

Wir haben innerhalb Europas einen dramatischen Steuerwettbewerb. Warum wird keine Mindestkörperschaftssteuer beschlossen?

Das verhindert wieder die Einstimmigkeit bei Steuerfragen. Im Prinzip sagen alle Staaten: Super Idee, sollten wir machen. Aber jeder Staat will es als letzter umsetzen.

Für Länder wie zum Beispiel Irland haben diese niedrigen Steuern schon fast etwas mit der nationalen Identität zu tun. Was für Österreich die Neutralität ist, sind für die irische Bevölkerung die niedrigen Steuern. Man darf das nicht unterschätzen, da gibt es oft sehr emotionale Gründe.

Wäre der Brexit eine Chance, an diesem Einstimmigkeitsmodell zu rütteln?

Nein, die Briten sollen bleiben, das wäre das Beste für Europa. Auch als Message gegen all die Rechten und ihre zerstörerischen Lügen.

Die Briten sollen bleiben, das wäre das Beste für Europa.

Was erwarten Sie sich vom neuen Kommissionspräsidenten?

Was erwarte ich mir? Ich hoffe zunächst einmal, dass die Wahlen so ausgehen, dass entgegen vieler Prognosen Freunde der Demokratie und des Rechtsstaats und auch die Freunde von einem Europa die Mehrheit bilden, in dem Menschen im Mittelpunkt stehen. Natürlich auch eine starke Sozialdemokratie, aber dass alle Kräfte stärker werden, die mehr echte Regeln für Konzerne festlegen. Das ist automatisch besser für die Menschen.

Es werden Grundrechte und Grundwerte der Europäischen Union in Frage gestellt.

Deshalb erwarte ich mir von dem neuen Kommissionspräsidenten – eine Präsidentin wird es wahrscheinlich nicht werden –, genau das anzugehen: den Rechtsstaat stärken. Das müssen wir. Es werden Grundrechte und Grundwerte der Europäischen Union in Frage gestellt. Das ist ganz wichtig, sonst kommen Länder wie Orbans Ungarn und holen sich die Rosinen, sprich das Geld. Sie treten das Recht mit Füßen, inklusive Pressefreiheit und Demokratie.

Wir brauchen faire Regeln für Konzerne.
Weiters erwarte ich mir – sowohl im Interesse der Einzelstaaten, als auch der EU als Ganzes – faire Regeln für Konzerne. Wirklich faire Regeln, es geht darum, dass wir in ein soziales Europa investieren – nicht, dass das Geld in die Verteidigungsindustrie hineingebuttert wird.

Das Worst-Case-Szenario für Europa wäre eine Troika für alle, mit Griechenland als Modell für alle. Wir wollen ein Europa, dass das lebt, was als soziale Säule im Raum steht: Mindestlöhne und soziale Standards heben.

Aber Standards werden eher gesenkt.

In Österreich, ja. In Europa haben wir Dinge durchgesetzt, die OK sind. Davon wünsche ich mir viel mehr. Das ist ein Armutszeugnis für Österreich, dass wir die Europäische Union brauchen, damit wir hier nicht unter diese Standards gehen. Das ist ein Aufruf für ein besseres Europa.

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Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erscheint ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

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