Interview: Regelrechter Kippeffekt

Inhalt

  1. Seite 1 - Die Wünsche der Beschäftigten
  2. Seite 2 - Das Thema Arbeitszeitverkürzung
  3. Seite 3 - Risiken des 12-Stunden-Tags
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Experimente in Betrieben zeigen: Kürzere Arbeitszeitmodelle funktioneren deutlich besser als lange. Auch mehr freie Tage bringen viel. XIMES-Geschäftsführer Johannes Gärtner über intelligente Arbeitszeitmodelle, österreichische Pausenkultur und familiäre Schichtpläne.

Neben positiven Effekten auf die Gesundheit ermöglicht die Arbeitszeitverkürzung Männern ja auch, sich mehr an der Kinderbetreuung zu beteiligen.

Meine Frau und ich hatten bei beiden Kindern einen Schichtplan, das kann ich nur empfehlen. Wir haben beide weniger gearbeitet als vorher und alles genau eingeteilt. So lässt sich auch vermeiden, dass man um drei Uhr in der Früh darüber diskutiert, wer jetzt aufsteht und sich um das weinende Kind kümmert. Ich empfehle das Männern auch schon deshalb, weil es dann Zeiten gibt, in denen sie nicht mehr das fünfte Rad am Wagen sind, in denen sie mit dem Kind zu zweit sind und damit eindeutig Bezugsperson.

Gibt es einen Trend zum Weglassen der Mittagspause?

Da habe ich leider wenig harte Daten. Meine persönliche Erfahrung ist, dass das kulturell sehr unterschiedlich gelebt wird. In Süddeutschland etwa sind Mittagspausen üblich, in Norddeutschland eher nicht. In Österreich haben wir eine relativ hohe Pausenkultur und gute Kantinen. Unsere Wirtshauskultur mit den Mittagsmenüs gibt es in vielen Ländern nicht. Unter gesundheitlichen und sozialen Gesichtspunkten ist das eine gute Institution. Aber es gibt auch zwischen den Organisationen große Unterschiede. In manchen Unternehmen gehört es einfach dazu, die Mittagspause durchzuarbeiten.

In manchen Unternehmen gehört es einfach dazu, die Mittagspause durchzuarbeiten.

Themenwechsel zum 12-Stunden-Tag: Bedeutet das nicht zusätzliche Risiken für alle, die mit gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen in Kontakt kommen?

Wir haben generell eine sehr kritische Sicht auf den 12-Stunden-Tag. Wir meinen zwar nicht, dass die Welt untergeht, wenn jemand einmal zwölf Stunden arbeitet, aber passiert das mehrere Tage hintereinander und womöglich sogar noch nachts, dann kann das sehr kritisch werden. Ich denke aber, dass Unternehmen auch wissen, dass 12-Stunden-Tage oft sehr lange und unproduktive Tage sind. Niemand kann zwölf Stunden lang genauso arbeiten wie acht Stunden.

Niemand kann zwölf Stunden lang genauso arbeiten wie acht Stunden.

Und was die gefährlichen Arbeitsstoffe betrifft: Das ist zwar nicht mein Spezialgebiet, aber zum 12-Stunden-Tag und den MAK-Werten (maximale Arbeitsplatz-Konzentration, Anm.) gibt es meines Wissens kaum Studien bzw. überhaupt noch keine gesicherten Ergebnisse. Das sollte man dringend nachholen und ansonsten äußerst vorsichtig vorgehen. Man weiß ja, dass diese Stoffe schädigen können, aber ob das bei zwölf Stunden etwas mehr ist oder ein Vielfaches, ist nicht klar.

Bei den Krankenanstalten gibt es Diskussionen über Ruhezeiten nach Bereitschaftsdiensten. Wie beurteilen Sie das?

Prinzipiell unterscheiden wir zwischen Arbeitsbereitschaft – da ist man vor Ort – und Rufbereitschaft, wo man bei Anruf nachts, aus dem Bett heraus, auf die Straße muss. Die Frage ist immer: Wie halte ich die Arbeitsbelastung möglichst gering? Bei Rufbereitschaft etwa weiß man, dass diese Beschäftigten, auch wenn sie die ganze Nacht durchschlafen konnten, schlechter schlafen. Wenn der Schlaf tatsächlich gestört wurde, dann sollte dieser so bald wie möglich nachgeholt werden können.

Die Frage ist immer: Wie halte ich die Arbeitsbelastung möglichst gering?

Im Alltag ist das oft eine Gratwanderung, etwa bei Ärzten, deren OP-Plan für den nächsten Tag dann völlig durcheinanderkommen würde. Da stellt sich dann die Frage, was die größere Belastung ist: dass sämtliche Termine über den Haufen geworfen werden oder der Schlafmangel? Aber die jetzt diskutierten fünf Stunden Ruhezeit erscheinen mir eindeutig zu kurz. Die Frage ist natürlich auch, wie oft das vorkommt. Vieles kann man durchaus schon einmal machen, aber wenn es laufend passiert, dann wird es ein Problem.

Welche Arbeitszeitregelungen gibt es bei XIMES?

Software-Entwicklung und Büro haben einen sehr großen Gleitzeitrahmen. Unsere BeraterInnen machen sich die Termine ja ohnehin mit den KundInnen aus. Generell gibt es nur wenige Termine, bei denen es mir ein Anliegen ist, dass jemand auch anwesend ist, zum Beispiel bei der Software-Besprechung. Ab und zu machen wir ein Bürofrühstück, wo wir möchten, dass alle zusammenkommen. Ansonsten versuchen wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so weit wie möglich entgegenzukommen, sowohl was das Arbeitsvolumen betrifft als auch den Ort. Ein Mitarbeiter, der mit einer Brasilianerin verheiratet ist, hat auch schon einmal einen Monat von Brasilien aus gearbeitet.

Von
Astrid Fadler

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/19.

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