Politik der Entsolidarisierung

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Die Pläne der Regierung für ein "Arbeitslosengeld neu" lassen sich auf einen Punkt bringen: auf die Arbeitslosen zielen, die Beschäftigten treffen.

Gefahr von Altersarmut

Am Ende steht die große Gefahr von Altersarmut für all diejenigen, die in ihrem Erwerbsleben länger oder häufiger arbeitslos waren. Denn über die Mindestsicherung werden, im Gegensatz zur Notstandshilfe, keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung erworben. Das bedeutet für die Betroffenen zweierlei: später in Pension gehen zu können und dafür auch noch niedrigere Pensionen zu erhalten. Das arbeitsmarktpolitische Versprechen der Hartz-IV-Gesetzgebung wurde nicht eingelöst: die Beseitigung der Langzeitarbeitslosigkeit. Sie hat sich in Deutschland nur verfestigt. Rund 1,5 Millionen Arbeitsuchende haben auch im bereits längeren Wirtschaftsaufschwung in Deutschland keine Chance, aus der Grundsicherung herauszukommen. Kein Wunder, zeigen doch viele Forschungen, dass es nicht hoher existenzieller Druck ist, der Arbeitslose wieder in die Beschäftigung bringt. Vielmehr leistet dies ein ausreichendes Angebot an offenen Arbeitsplätzen, eine gute Unterstützung bei der Arbeitsuche und das Ausgleichen von Defiziten beim beruflichen Wissen und Können.

Doch damit nicht genug: Längere Versicherung in der Arbeitslosenversicherung soll zu längerem und höherem Arbeitslosengeld führen. Das bedeutet nichts anderes, als dass nicht nur die Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld von der Zahl der erworbenen Versicherungsmonate abhängt, sondern auch die Höhe des Arbeitslosengeldes. Das würde sich nur schwer mit dem Äquivalenzprinzip, einem Wesenskern der Sozialversicherung, vertragen und Menschen, die nur kurze Beschäftigung finden, systematisch benachteiligen. Das trifft neben den klassischen SaisonarbeitnehmerInnen in Bau und Tourismus mittlerweile auch LeiharbeitnehmerInnen und Beschäftigte in allen Branchen, BerufseinsteigerInnen und Menschen, die in der Erwachsenenbildung, der Wissenschaft oder im Kulturbereich arbeiten.

Härtere Sanktionen zu befürchten

Zudem sollen die Zumutbarkeitsbestimmungen vor allem beim Einkommens- und Berufsschutz verschärft werden. Schon jetzt muten die geltenden Zumutbarkeitsregeln ArbeitnehmerInnen zu, auf ein Fünftel ihres früheren Einkommens zu verzichten. Dies gilt allerdings nur, wenn sie innerhalb der ersten 100 Tage wieder einen Job finden. Gelingt ihnen das nicht, müssen sie sogar auf ein Viertel ihres früheren Einkommens verzichten. ArbeitnehmerInnen sollen also noch höhere Einkommensverluste bei einer Neubeschäftigung akzeptieren müssen, und zwar schon nach kurzer Arbeitslosigkeit. Dazu passt, dass die „Wirksamkeit“ der Sanktionen bei Verstößen erhöht werden soll. Noch härtere Sanktionen als den Verlust der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung für sechs bzw. acht Wochen sind also zu befürchten.
Neben diesen Eingriffen sollen auch noch ein paar „Kleinigkeiten“ mit erheblichen Auswirkungen für die Betroffenen eingeführt werden. Ist man arbeitslos, werden die Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld als Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung angerechnet.

In Zukunft sollen nur noch zwei Jahre berücksichtigt werden. Für einen Bauarbeiter mit drei bis vier Monaten saisonbedingter Arbeitslosigkeit würde das etwa bedeuten, dass nach drei bis vier Jahren Berufstätigkeit in dieser Branche jede Winterarbeitslosigkeit seine Pension verringert. Die zeitliche Beschränkung des geringfügigen Zuverdienstes zum Arbeitslosengeld und die Anrechnung von Krankenständen auf die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld runden das Bild eines gegen die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gerichteten Umbaus der Arbeitslosenversicherung nur noch ab.

Politik der Angst und Spaltung

Die für diese Reformen vorgebrachten Argumente – „wer mehr und länger einzahlt, soll auch mehr und länger die Leistung bekommen“ und „Durchschummeln darf es nicht mehr geben“ – haben einen klaren Zweck: Nachdem es mit der Entsolidarisierung zwischen den „Eigenen“ und den „Fremden“ bei den letzten Nationalratswahlen für die Regierungsparteien schon so gut gelaufen ist, soll weiter auf eine Politik der Angst und der gesellschaftlichen Spaltung gesetzt werden. Dieses Mal zielt die Entsolidarisierungspolitik auf die ArbeitnehmerInnen und ihre Vertretungen. Denn neben den zum Teil verheerenden Wirkungen der Hartz-IV-Reform vor mittlerweile mehr als zehn Jahren für die unmittelbar Betroffenen kann in Deutschland noch etwas anderes beobachtet werden: ein deutlicher Anstieg der Niedriglohnbeschäftigung mit so niedrigen Stundenlöhnen, dass letztlich sogar die konservativen Parteien aus wirtschaftlichen Überlegungen – es geht ja auch um den Binnenkonsum – einem gesetzlichen Mindestlohn zustimmen mussten. Dazu kommt eine Reallohnentwicklung, die hinter den erzielbaren und volkswirtschaftlich auch notwendigen Steigerungen zurückbleibt.

Ein System, das für die Betroffenen raschen und tiefen sozialen Abstieg bei Arbeitslosigkeit bereithält, diszipliniert ArbeitnehmerInnen, macht sie gefügig, lässt sie Lohn- und Arbeitsbedingungen akzeptieren, die sie sonst nicht hinnehmen würden. Das aber schwächt auch die Gewerkschaften. Mit Angst lässt sich eben trefflich Profit machen – zumindest kurzfristig. Und nichts anderes sagt ja auch die Industriellenvereinigung, vor gut einem Jahr gefragt, was sie denn von Hartz IV in Österreich halten würde: Das sei gut, denn in Deutschland seien dadurch die Lohnstückkosten gesunken.

Von
Gernot Mitter

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/18.

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