Pandemiebekämpfung und Patente auf Impfstoffe: Nur eine globale Lösung beendet die Coronakrise

Globale Pandemiebekämpfung
Foto (C) Paul White / AP / picturedesk.com

Inhalt

  1. Seite 1 - Die Pandemie, die spaltet
  2. Seite 2 - Privatisierung der Gewinne
  3. Seite 3 - Globale Gemeingüter statt bloßer Wohltätigkeit
  4. Auf einer Seite lesen >
Nach zwei Jahren ist klar: Die COVID-19-Pandemie muss für alle auf dieser Welt enden – oder sie endet für niemanden. Die reichen Industrieländer und ihre Pharmakonzerne stehen in der Pflicht. Eine Analyse von Lisa Kreutzer, Lukas Oberndorfer und Oliver Prausmüller.
Max Adler, der Wiener Soziologe und Politiker, schrieb im Jahr 1926, dass erst mit einer Seuche ein fieberhaftes Interesse für die Volksgesundheit erwache: „Dann wird den Reichen in ihren glänzenden Quartieren bang, dass aus den Untergeschossen des Elends der Pesthauch zu ihnen hinüberschlagen könnte.“ Die Mächtigen müssen sich dann plötzlich um die Gesundheit der Armen kümmern, da sie sonst selbst gefährdet wären. Die Seuche im Jahr 2021 ist Covid-19, der Pesthauch ist jede Variante des Virus, die weltweit entsteht und in den Norden zurückfindet. Alpha, Delta, Omikron.

Dass der Impfstoff global verteilt werden müsste, um die Pandemie zu beenden, war früh klar. Deshalb versuchten es die reichen Staaten anfangs mit dem Wohltäter-Prinzip. Anstelle einer nachhaltigen Strategie, mit der man Impfstoffe global und günstig herstellen könnte.

Dass der Impfstoff global verteilt werden müsste, um die Pandemie zu beenden, war früh klar. Deshalb versuchten es die reichen Staaten anfangs mit dem Wohltäter-Prinzip. Anstelle einer nachhaltigen Strategie, mit der man Impfstoffe global und günstig herstellen könnte, sollte der Impfstoff-Bedarf der ärmeren Länder durch COVAX gedeckt werden. Eine Allianz, die auf eine Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Europäischen Kommission und Frankreichs zurückgeht. Sie sollte für Impfgerechtigkeit auf der ganzen Welt sorgen. Ab Februar 2021 lieferte COVAX erste Impfstoffdosen an Ghana und die Elfenbeinküste. Doch es ging zu langsam und die Spenden waren begrenzt. Die wohlhabenden Länder sicherten sich zuerst ihren eigenen Vorrat.

Die Pandemie, die spaltet

Die Kluft zwischen Ländern mit und ohne ausreichende Impfstoffe wurde derweil immer größer. In den europäischen Staaten und Nordamerika sind um die 70 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft. In Spanien haben gar 90 Prozent der impfbaren Personen bereits vollen Impfschutz. In Ländern mit niedrigem pro Kopf Einkommen, wie etwa dem Kongo, Sudan oder Jemen, haben weniger als zehn Prozent eine erste Impfung gegen COVID-19 erhalten. Die WHO gibt an, dass momentan sechsmal so viele Boostershots in reichen Ländern verabreicht werden, wie Erstimpfungen in armen Ländern. Nur rund ein Viertel des Gesundheitspersonals in Afrika ist bislang gegen COVID-19 geimpft.

Je weniger Menschen auf der Welt geimpft sind, desto mehr Infektionen gibt es. Je mehr Infektionen es gibt und je länger die Pandemie läuft, desto mehr Chancen bekommt das Virus für Mutationen. Sie zeigen dem System, das aus Impfstoffen und Patenten Profite ziehen will, seine Grenzen auf. Entsprechend laut muss für die Interessen dieses Systems lobbyiert werden. Große Pharmaverbände laufen seit Monaten gegen eine Freigabe von Patentrechten an COVID-19-Impfstoffen Sturm. Die Botschaft der ressourcenaufwendigen Lobbyarbeit ist deutlich: Kommt die Freigabe, würden Investoren künftig kein Geld mehr in die Seuchen-Bekämpfung stecken.

Die raschen Erfolge bei der Entwicklung der Impfstoffe war ohnehin nur dank Grundlagenforschung zur mRNA-Technologie möglich, die seit Jahrzehnten mit öffentlichen Mitteln an öffentlichen Universitäten erforscht wird.

Doch die raschen Erfolge bei der Entwicklung der Impfstoffe war ohnehin nur dank Grundlagenforschung zur mRNA-Technologie möglich, die seit Jahrzehnten mit öffentlichen Mitteln an öffentlichen Universitäten erforscht wird. Ihre Geschichte reicht zurück bis ins Jahr 1961, in dem es Forschern aus Frankreich und den USA erstmals gelang, mRNA nachzuweisen. Diesem Fundament verdanken private Firmen wie Biontech/Pfizer oder Moderna ihren Erfolg. Doch selbst der musste auf den letzten Metern der Impfstoffentwicklung mit staatlichen Mittel finanziert werden. Moderna bekam rund 955 Millionen Dollar Fördergelder und Pfizer 1,95 Milliarden Dollar. Die deutsche Bundesregierung förderte außerdem BioNTech, IDT Biologika und CureVac mit rund 750 Millionen Euro.


Privatisierung der Gewinne

Während die Entwicklungskosten mit öffentlichen Geldern gestemmt wurden, wurden die Gewinne privatisiert. Das Pharmaunternehmen Pfizer hob seine Umsatzprognose für den Impfstoff dieses Jahr auf 36 Milliarden Dollar. Im kommenden Jahr sollen es 29 Milliarden sein.  Der Hersteller Moderna rechnet im Jahr 2021 mit einem Umsatz von 15 bis 18 Milliarden Dollar.

Der Hersteller Moderna rechnet im Jahr 2021 mit einem Umsatz von 15 bis 18 Milliarden Dollar.

Aufgrund der enormen öffentlichen Vorleistungen und in Anbetracht der andauernden Pandemie, sagt die Gesundheitsforscherin Claudia Wild, dass es dringend notwendig sei, den Patentschutz der Pharmakonzerne auszusetzen. Wild hat ihre Habilitation in Sozialmedizin zum Thema „Ressourcenallokation im Gesundheitswesen“ verfasste.

Schon seit über einem Jahr fordern rund hundert Staaten, angeführt von Indien und Südafrika, in der Welthandelsorganisation den sogenannten „TRIPS-Waiver“. Damit sollen geistige Eigentumsrechte auf Covid-19-Impfstoffe, Testgeräte und Medikamente für die Dauer der Pandemie ausgesetzt werden. Ziel ist, die notwendigen Mengen kostengünstig und eigenständig herstellen zu können.

Doch selbst die aufkommende Omikron-Variante reichte zuletzt nicht aus, um die Blockade gegen den „TRIPS-Waivers” in der Welthandelsorganisation zu lösen. Seine Gegner – allen voran die EU – zeigen sich wenig beeindruckt. Doch sie sind mittlerweile mit unzähligen Aufrufen von kritischer Wissenschaft, Nichtregierungsorganisationen, der internationalen Gewerkschaftsbewegung und selbst des Europaparlaments zur Unterstützung der Patentfreigabe konfrontiert.

Es ist eine neue Technologie, man kann nicht einfach Leute einstellen, die wissen, wie man mRNA herstellt – diese Leute gibt es nicht.

Stéphane Bancel, Moderna CEO

Trotz zunehmenden Drucks der Öffentlichkeit lehnen die Geschäftsführer von Moderna und Pfizer es weiterhin ab, ihre mRNA-Technologie ärmeren Ländern zur Verfügung zu stellen. Das Verfahren zur Herstellung der Impfstoffe sei zu komplex, entsprechende Anlagen zu errichten zu aufwändig, fähiges Personal sei in den Ländern nicht zu rekrutieren. „Es ist eine neue Technologie, man kann nicht einfach Leute einstellen, die wissen, wie man mRNA herstellt – diese Leute gibt es nicht“, sagte Moderna CEO Stéphane Bancel, kurz nachdem die US-Regierung unter Joe Biden im Mai dieses Jahres bekannt gab, dass sie eine Freigabe der Patente unterstütze. Bancel meint: Selbst wenn Patente freigegeben würden, könnten die Impfstoffe nicht im globalen Süden hergestellt werden.

Im Juni gab die WHO bekannt, dass sie mit einem Konsortium aus südafrikanischen Impfstoffunternehmen und Universitäten ein Zentrum für mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 eingerichtet habe, das mit der Produktion starten könnte.

Diesem Argument haftet nicht nur ein kolonialer Beigeschmack an, sondern es ist auch falsch. Im Juni gab die WHO bekannt, dass sie mit einem Konsortium aus südafrikanischen Impfstoffunternehmen und Universitäten ein Zentrum für mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 eingerichtet habe, das mit der Produktion starten könnte. Die WHO und viele Wissenschaftlerinnen sind sich darin einig, dass die Vakzine auch in Ländern des Globalen Südens effizient und ressourcensparend hergestellt werden könnten.


Globale Gemeingüter statt bloßer Wohltätigkeit

Das Problem ist, dass sich alle privaten Unternehmen, die einen fertig entwickelten mRNA-Impfstoff haben, bisher weigern, ihr Wissen ärmeren Ländern zur Verfügung zu stellen. Deshalb fordert die WHO Unterstützung und Finanzierung eines Technologietransfers sowie den Aufbau von Produktionskapazitäten im globalen Süden. Nicht in Form von exklusivem Eigentum, sondern als Gemeingut. Wer an den Möglichkeiten einer Impfstoffproduktion unter öffentlicher Kontrolle zweifelt, könnte einen Blick nach Kuba wagen. Während die Anzahl der Infektionen mit dem Coronavirus in Deutschland und Österreich seit Ende Dezember rasant stiegen, flachte dort die Kurve nach hohen Ansteckungszahlen im Sommer, Anfang Dezember stark ab.

Hauptgrund ist der von dem öffentlichen Institut entwickelte Impfstoff Soberana, der nach aktuellem Stand eine Wirksamkeit von über 90 Prozent hat. Die Insel hat eine Durchimpfungsrate von 90 Prozent, die nicht zuletzt durch das hohe Vertrauen der Bevölkerung in die öffentlich hergestellten Impfstoffe möglich wurde. Damit soll nicht relativiert werden, dass es in Kubas Einheitslisten-System keine freien Wahlen und erst Recht nur wenig Vertrauen in die staatliche Gewährleistung der Meinungsfreiheit gibt – sondern ein Blick darauf geworfen werden, wie eine gemeinwohlorientierte Pharmaindustrie aussehen könnte.

Denn großen Teilen des globalen Nordens und Südens haben gemein, dass das Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie den Fortschritt der Impfkampagnen lähmt. In einem gemeinwohlorientierten Gesundheitssystem wiederum scheint die Skepsis gegenüber den Wirtschaftsinteressen großer Pharmakonzerne geringer.

Die anhaltende Blockade der Freigabe kritischer Gesundheitstechnologien in der Welthandelsorganisation zeige gerade, dass eine kleine Gruppe von reichen Ländern die „Interessen der Pharmakonzerne ausdrücklich vor die globale Gleichheit und Solidarität im globalen Gesundheitssektor“ stellt.

Dass dringend neue Wege in der globalen Gesundheitspolitik eingeschlagen werden müssen, machte zuletzt nochmals die Ökonomin Mariana Mazzucato deutlich. Sie ist Professorin für Economics of Innovation and Public Value am University College London und fordert, dass wichtige Gesundheitsinnovationen für alle verfügbar sein müssen. Die Bekämpfung der „schändlichen Ungleichheit“ bei Impfstoffen funktioniere unter der Kontrolle der Pharmakonzerne nicht und könne nicht bloß auf Wohltätigkeit beruhen. Die anhaltende Blockade der Freigabe kritischer Gesundheitstechnologien in der Welthandelsorganisation zeige gerade, dass eine kleine Gruppe von reichen Ländern die „Interessen der Pharmakonzerne ausdrücklich vor die globale Gleichheit und Solidarität im globalen Gesundheitssektor“ stellt. Ihr Appell lautet: „Gesundheitstechnologien dürfen nicht ausschließlich als private Eigentumsmonopole betrachtet werden, sondern müssen Teil des globalen Gemeinguts werden“.

Doch die globale Freigabe der Patente wird von Teilen der EU, wie etwa der Europäischen Kommission oder der deutschen und der österreichischen Bundesregierung, nach wie vor blockiert. In Österreich hat sich zwar Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Die Grünen) für eine Freigabe ausgesprochen, er konnte sich jedoch nicht gegen Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck durchsetzen, die insbesondere auf die Interessen des österreichischen Pharmaverbands Pharmig achtet.

In Österreich hat sich zwar Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Die Grünen) für eine Freigabe ausgesprochen, er konnte sich jedoch nicht gegen Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck durchsetzen, die insbesondere auf die Interessen des österreichischen Pharmaverbands Pharmig achtet.

Je länger die Pandemie andauert, mit jeder neuen Variante, mit jedem neuen Lockdown, desto offensichtlicher wird, dass Impfstoffpatente nicht nur aus moralischer, sondern auch aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive problematisch sind. Sie schaden der Pandemiebekämpfung. Denn „niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind“. Wer selbst nach zwei Jahren Pandemie unsolidarische Antworten vorzieht, wird keine finden.

Inhalt

  1. Seite 1 - Die Pandemie, die spaltet
  2. Seite 2 - Privatisierung der Gewinne
  3. Seite 3 - Globale Gemeingüter statt bloßer Wohltätigkeit
  4. Auf einer Seite lesen >

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.