Österreich: beobachtungswürdig

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  1. Seite 1 - EU und Türkei
  2. Seite 2 - Journalismus, Message Control und Social Media
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In der „Rangliste Pressefreiheit“ von „Reporter ohne Grenzen“ ist Österreich vom 11. auf den 16. Platz abgestürzt. Rubina Möhring, die Präsidentin der Organisation in Österreich, spricht im Interview über die Ursachen, Parallelen zu Ungarn und spart nicht mit Kritik an der österreichischen Medienlandschaft.

„Mit Inseraten kauft man als Gegengabe unkritische oder lobende Artikel über Politiker. Wie auch immer der politische Kurs einer Regierung ist, das ist in jedem Fall sehr gefährlich“, so Möhring.

 

Wie hat sich der Journalismus selbst in den vergangenen Jahren verändert?

Es hat sich schon einiges verändert. Ich meine, erstens haben die Redaktionen wirklich immer weniger Geld. Das macht sich insofern bemerkbar, weil weniger recherchiert werden kann. Weil zum Teil Aussendungen journalistisch so gut formuliert sind, dass man sie mehr oder minder so ins Blatt stellen kann, ohne Hinweis darauf, dass es sich tatsächlich um eine Aussendung der Wirtschaftskammer, eines Ministeriums oder eines Industrieunternehmens handelt.

Das ist das eine, dann haben wir zum Zweiten doch eine sehr starke ökonomische Medienkonzentration. Wir haben auf der einen Seite zum Beispiel die deutschen Medien in Österreich präsent, obwohl die „Funke Mediengruppe“ nun an René Benko verkauft hat. Wir haben im Privatbereich Sat1 und Prosieben, denen gehört Puls4 und ATV.

Die Medieneigentümer, seien es nun Konzerne oder Familienbetriebe, gehören mehrheitlich zu den Bürgerlichen oder Konservativen.

Was die politischen Standpunkte betrifft, spreche ich auf der anderen Seite von einer politischen Medienkonzentration: Styria besitzt die „Kleine Zeitung“ und „Die Presse“. Beide sind konservativ. Vorarlberg – der Eigentümer der zwei bestehenden Zeitungen ist konservativ. Die „Tiroler Tageszeitung“ ist auch konservativ, obwohl ein bisschen lockerer. Ähnlich ist es in Oberösterreich. Die Medieneigentümer, seien es nun Konzerne oder Familienbetriebe, gehören mehrheitlich zu den Bürgerlichen oder Konservativen.

Welchen Einfluss haben Social Media?

Social Media beeinflussen die Meinungsbildung und die politische Einflussnahme. Ich meine, Spitzenreiter ist hier in Österreich die FPÖ, die wirklich hochprofessionell FPÖ-Fernsehen auf YouTube macht.  unzensuriert“, „Wochenblick“, „alles roger“, die zum Teil auch gedruckt werden und Presseförderung bekommen – übrigens: Warum, weiß ich nicht.

Das verstärkt die zunehmende Blindheit in der Bevölkerung für politische Einflussnahme, denn eigentlich ist es ja die Aufgabe der Medien, aufzuklären. Auf solchen Seiten wird reine Propaganda gemacht, das hat inzwischen die ÖVP auch ein bisschen gelernt, und die SPÖ holt langsam auf.

Social Media beeinflußen also zum einen, ich will nicht sagen die Pressefreiheit, aber die Medienfreiheit und die Informationsfreiheit. Darum geht es ja, es geht im Wesentlichen um das eine: um die Informationsfreiheit, die stark beeinträchtigt wird.

Social Media beeinflußen also zum einen, ich will nicht sagen: die Pressefreiheit, aber die Medienfreiheit und die Informationsfreiheit.

Zum anderen haben wir hier diese Boulevardmedien, die nichts kosten. Ich sage immer: Was nichts kostet, ist nichts wert – aber die haben einen großen Wert für ihre Eigentümer, weil darin Politiker und auch die letzte Regierung gerne um enorme Summen inseriert haben. Das bringt den Eigentümern eine ganze Menge Geld, auch Faymann war ein großer Freund der Inserate in diesen Zeitungen.

Da geht es jetzt nicht nur um die vorherige Regierung, die das allerdings ziemlich exzessiv und einseitig betrieben hat. Mit Inseraten kauft man als Gegengabe unkritische oder lobende Artikel über Politiker. Wie auch immer der politische Kurs einer Regierung ist, das ist in jedem Fall sehr gefährlich.

Kennen Sie da andere internationale Beispiele für eine „Message Control“, ähnlich wie in Österreich?

Ich glaube, auch bei Trump ist es so ähnlich. Der Herr Kurz hat sich sehr an Trump orientiert – fast hätte man glauben können, Trump war sein großes Vorbild, auch bei dem Vorwurf der „Lügenpresse“ oder „das stimmt ja nicht“, sowohl von der FPÖ als auch von Kurz übrigens. Kurz hat ein Radiojournal vom ORF gemaßregelt, obwohl es richtig war, was da berichtet wurde, und eine solche Message ist eine ganz gefährliche Angelegenheit. Da wird das Thema des Tages vorgegeben durch die Regierung, das wurde unter den entsprechenden Ministerien aufgeteilt: Montag, Dienstag, Mittwoch war XYZ dran, um so die Information zu lenken. So konnte von anderen Dingen abgelenkt werden.

Dann gab es, wie wir ja wissen, von dem ehemaligen Innenminister den Ukas, dass bei der Weitergabe von Informationen aus dem Innenministerium unterschieden werden sollte zwischen sogenannten guten und sogenannten bösen Zeitungen oder Medien. Das ist eine Beeinflussung der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit.

Dann gab es, wie wir ja wissen, von dem ehemaligen Innenminister den Ukas, dass bei der Weitergabe von Informationen aus dem Innenministerium unterschieden werden sollte zwischen sogenannten guten und sogenannten bösen Zeitungen oder Medien. Das ist eine Beeinflussung der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit. Das ist Zensur, und Zensur hat mit Medienfreiheit nichts zu tun.

In der „Rangliste Pressefreiheit“ führen Norwegen, Finnland und Schweden. Was machen diese Länder besonders gut?

Die haben ganz einfach traditionell eine andere Einstellung zu Menschenrechten und damit auch zur Pressefreiheit. Das sind wesentlich liberalere Gesellschaften, obwohl es dort jetzt auch schon damit anfängt, dass die Nationalen stärker werden, wie man gerade in Schweden gesehen hat. Aber trotzdem ist die Medienwelt noch relativ in Ordnung. Sagen wir, die gehen sozusagen wetterbedingt mit kühlem Herzen daran. Diese Länder liegen seit Jahren voran, sie wechseln sich da immer ab.

So wie die Schlusslichter: Lange, lange Zeit waren das Nordkorea und Eritrea, die sich das geteilt und die sich abgewechselt haben. Diesmal ist das erste Mal Turkmenistan an der letzten Stelle.

In Deutschland gibt es die Einrichtung der Bundespressekonferenz – würde Österreich eine vergleichbare Einrichtung guttun?

Das würde ich doch meinen, dass das sehr gut und sehr hilfreich wäre, aber ich könnte mir auch vorstellen, dass österreichische Politiker davon nicht so beeindruckt wären. Es ist ja in Österreich so, dass hier die Politiker mehr Hofberichterstattung gewöhnt sind als in Deutschland, und das hängt natürlich mit der Geschichte des Landes zusammen.

Bis 1986 konnten die Österreicher für sich in Anspruch nehmen, dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus war; und so blieben nach 1945 zahlreiche Mitläufer in ihren Positionen in den Medien – damals waren das vor allem Radio und Printmedien. Da die Österreicher Opfer waren, mussten die in dieser Logik auch nicht entfernt werden und konnten weitermachen.

Wo liegt der Unterschied zu Deutschland?

In Deutschland war die Schuldfrage klar und damit die Bereitschaft, das System einer BBC beispielsweise zu übernehmen. Hier war das nicht klar, und deshalb hatten alte Nazis überhaupt keine Schwierigkeiten, in ihren Positionen zu bleiben.

Welche Probleme sehen Sie abseits der Historie?

Dazu kommt, dass der Arbeitsmarkt hier sehr klein ist und sich sicherlich manche Journalisten auch überlegen: Mache ich den Mund auf oder schlucke ich lieber einiges runter. Armin Wolf kann sich das leisten, er ist populär, er verdient nicht schlecht, und er ist nicht mehr abzusägen. Aber andere, und es gibt viele gute Leute im ORF, die können sich das nicht leisten oder es nicht wagen. Ich verstehe das auch. Man darf nicht sagen, nur weil jemand kein Held ist, der ist unter jeder Kritik. Das geht nicht so einfach.

Ich meine, was trotz politischen Drucks im ORF auf Sendung geht, also Druck von der ehemaligen Regierung im vergangenen Jahr, das ist schon sehr beachtlich, vor allem auch im Radio. Da sage ich: Hut ab.

Ich meine, was trotz politischen Drucks im ORF auf Sendung geht, also Druck von der ehemaligen Regierung im vergangenen Jahr, das ist schon sehr beachtlich, vor allem auch im Radio. Da sage ich: Hut ab.

Letzte Frage: Wenn Sie einen Wunsch hätten, welcher wäre das?

Dass es einen viel größeren Topf gäbe für die Medienförderung. Dass nicht nur die gefördert werden, die ohnedies Geld haben, sondern auch kleinere Medien, Schülerzeitungen oder Studentenzeitungen. Die haben keine großen Redaktionen, sondern sind im Aufbau und denen muss man helfen. Damit fördert man ja auch die Beschäftigung mit seriöser Information. Das hielte ich für sehr wichtig.

Und natürlich: Je größer ein Medium ist, umso weniger Förderung braucht es. Warum braucht das heute die „Kronen Zeitung“, warum braucht das ein Sender wie Puls4 – dessen Förderung kürzlich erhöht wurde. Dass auch Kommerzsender, deren Eigentümerkonzern im Ausland sitzt, staatliche Unterstützung brauchen, das verstehe ich nicht.

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Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erscheint ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

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