Österreich: beobachtungswürdig

Rubina Möhring ist Präsidentin von „Reporter ohne Grenzen Österreich“.
Fotos (C) Michael Mazohl

Inhalt

  1. Seite 1 - EU und Türkei
  2. Seite 2 - Journalismus, Message Control und Social Media
  3. Auf einer Seite lesen >
In der „Rangliste Pressefreiheit“ von „Reporter ohne Grenzen“ ist Österreich vom 11. auf den 16. Platz abgestürzt. Rubina Möhring, die Präsidentin der Organisation in Österreich, spricht im Interview über die Ursachen, Parallelen zu Ungarn und spart nicht mit Kritik an der österreichischen Medienlandschaft.
Reporter ohne Grenzen ist in Österreich ein selbstständiger Verein und wird nicht aus Paris, der internationalen Zentrale der Organisation, finanziert. Die Organisation ist für ihre Arbeit in Österreich auch auf Spenden angewiesen:

Spenden
Die Grenzen der Pressefreiheit hat Rubina Möhring selbst erfahren. Schwarz-Blau I war eine Zäsur in der Karriere der Journalistin. Die damalige ZiB-Redakteurin stellte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in einem Interview eine unerwünschte Frage – ob Österreich Sonderbeauftragte für Restitutionsfragen bestellen würde. Der Kanzler reagierte unwirsch, das Interview platzte. Einige Wochen später wurde Rubina Möhring in die Wissenschaftsredaktion des ORF versetzt.

Für die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ ein Glücksfall: „Nach meinem Wechsel wurde ich gefragt, ob ich ‚Reporter ohne Grenzen‘ übernehmen wolle, und ich habe ja gesagt. Vorher war es ein bisschen ein schlafender Verein, ich habe sehr viel Energie reingesteckt und hab das hier aufgebaut“, so Möhring.

Zur Person
Die 69-jährige Journalistin und Moderatorin Rubina Möhring startete ihre Karriere bei der Tageszeitung „Die Presse“, wechselte in die Innenpolitikredaktion der ZiB im ORF. Bis 2010 war sie als Redaktionsleiterin bei ORF 3sat verantwortlich für die Bereiche Kultur und Wissenschaft, darunter für die täglichen 3sat-Magazine „kulturzeit und „nano. Seit 1999 ist sie als Universitätslektorin an den Universitäten Innsbruck und Wien tätig sowie an der Donauuniversität Krems als Patin des zweijährigen Postgraduate-„Rubina-Möhring-Lehrgangs Qualitätsjournalismus“. Rubina Möhring führt auf derstandard.at den Blog „Press Freedom Watchdog“: https://derstandard.at/r1303950726068/Press-Freedom-Watchdog

Arbeit&Wirtschaft: Wie arbeitet „Reporter ohne Grenzen“?

Rubina Möhring: Wir machen als „Reporter ohne Grenzen“ Aussendungen zur Pressefreiheit, Meinungs- und Informationsfreiheit, aber auch zu Angriffen auf Journalisten mit Material, das wir aus Paris bekommen. Wir machen eigenständige Aussendungen zu Österreich. Wir veranstalten Podiumsdiskussionen, vor allem an Universitäten, weil ich der Meinung bin: Das Thema Pressefreiheit muss die jungen Leute einfach erreichen.

Ich habe auch den Plan, in die Schulen zu gehen, auch zu Volksschülern, um ihnen Medienunterricht zu geben: Wie können sie erkennen, was rechts und was links ist, um einfach differenzieren zu können. Damit muss man heute auch schon in der Volksschule beginnen. Das kann man dort spielerisch vermittelt, damit Volksschüler einfach wissen, wie sie mit Informationen auch aus dem Internet umgehen können und sollen. Damit sie nicht irgendwelchen Seiten wie „unzensuriert.at“ und sonstigen auf den Leim gehen.

Wir veranstalten Podiumsdiskussionen, vor allem an Universitäten, weil ich der Meinung bin: Das Thema Pressefreiheit muss die jungen Leute einfach erreichen.

Im Mai vergangenen Jahres haben wir eine Benefizveranstaltung für Frauen von inhaftierten Journalisten im Volkstheater veranstaltet, das war eine tolle Sache. Ich habe so eine Veranstaltung wieder vor, aber das bedarf natürlich viel Vorbereitung und viel Energie.

Und ganz wichtig: Wir vergeben in Österreich seit 2001 einmal im Jahr den „Press Freedom Award – A Signal for Europe“. Das ist ein Preis für Journalistinnen und Journalisten in Mittel- und Südosteuropa und in den Nachbarstaaten der Europäischen Union.

Was ist für Ihre Organisation ein Erfolg?

In diesem Jahr verbuche ich als Erfolg: Wir geben als „Reporter ohne Grenzen“ das weltweite Ranking der Pressefreiheit heraus (Anmerkung: die „Rangliste Pressefreiheit), in dem Österreich vom 11. auf den 16. Platz runtergesackt ist. Mit der Bewertung selbst habe ich nichts zu tun, darin bin ich nicht involviert, das macht „Reporter ohne Grenzen International“ mit Sitz in Paris.

Ich habe noch nie so viel Zulauf bei einer Pressekonferenz gehabt und offenbar hat das aufgerüttelt. Da bin ich sehr stolz darauf, das hat ein bisschen an den festen Mauern der Regierung und der Message Control gerüttelt, würde ich einmal sagen.

Was müsste passieren, damit Österreich wieder weiter vorne landet?

Österreich ist ja schon einmal runtergerutscht, nämlich unter Schwarz-Blau I. Da war es ganz ähnlich, da ist Österreich auch auf dem 16. Platz gelandet. Nachdem diese Regierung sich aufgelöst hatte, ist Österreich wieder nach oben gerutscht – und zwar war der Grund damals die neue Liberalisierung des ORF, dass also wieder ohne Einfluss der Regierung berichtet werden konnte: vor allem in der Innenpolitik, speziell in der „Zeit im Bild“. Das hat sehr viel ausgemacht, und dadurch hat sich Österreich wieder erholt und ist auf Platz 11 gekommen.

Platz 11 ist im weißen Bereich des Rankings, das bedeutet: unbedenkliche Demokratie. Jetzt ist es auf Platz 16 im gelben Bereich, wo es heißt: Österreich ist immer noch eine vernünftige oder akzeptable Demokratie, aber beobachtungswürdig. Das ist schon bedenklich.

Platz 11 ist im weißen Bereich des Rankings, das bedeutet: unbedenkliche Demokratie. Jetzt ist es auf Platz 16 im gelben Bereich, wo es heißt: Österreich ist immer noch eine vernünftige oder akzeptable Demokratie, aber beobachtungswürdig. Das ist schon bedenklich.

Gibt es Parallelen zu Ungarn?

Ich habe auch mit einer ungarischen Kollegin gesprochen, die hier unterrichtet. Sie war Leiterin der Medienbehörde in Budapest, wurde von Orbán abgesetzt und ist dann mit ihrem Mann und ihren Kindern hierhergezogen. Sie hat gesagt, das ist erschreckend. Diese Parallelität, die sie sieht, zwischen Ungarn damals und Österreich heute. Sie hofft, dass die Österreicher aufwachen und es nicht genauso weitergeht.

Sie meint, die Ungarn haben auch gesagt: Ist ja nicht so schlimm und geht schon wieder vorbei. Nichts ging vorbei, und jetzt hat Ungarn eine vereinheitlichte Medienszene, die eigentlich demokratiepolitisch untragbar ist, nicht nur eigentlich untragbar, sondern wirklich untragbar.

Wie schätzen Sie die Situation in der Türkei ein?

Die Situation ist erschreckend. Ich bin mir jetzt gar nicht sicher, wie viele Journalisten genau – es waren 132  noch vor ein paar Wochen – im Gefängnis sitzen. Es könnte sein, dass jetzt noch ein paar Journalisten dazugekommen sind, weil wieder Prozesse waren.

Das ist ganz ähnlich wie in Ungarn, Erdogan ist ein Autokrat, nur ist die Türkei wesentlich größer. Da war es so, dass Erdogan nach dem sogenannten Putsch oder Putschversuch begonnen hat, Medien zu schließen.

Dann kamen die Journalistenprozesse …

Wo die Journalisten nie eine Chance hatten, freigesprochen zu werden! Das ging so: Eine Erdogan-treue Zeitung oder ein Medium schrieb oder berichtete, dass der und der Journalist das und das behauptet hätte – was nicht stimmte. Das nahm aber der Staatsanwalt zum Anlass, eine Klage gegen diesen Journalisten zu erheben. Der Journalist wurde dann in Gewahrsam genommen, dann in Untersuchungshaft. So läuft das ab.

Hier in Österreich fängt jetzt auch schon ein Immobilienmakler an, sich in der Medienszene einzukaufen. Dieses Geschäftemachen mit Medien ist eine sehr fragwürdige Angelegenheit.

Inzwischen ist es auch so, dass den Anwälten vorgeworfen wird, sie seien Terroristen und unterstützten Terroristen. Das ist der allgemeine Vorwurf an die Journalisten. Das sind einfach Unterstellungen, schlicht und ergreifend Unterstellungen. Dann hat Erdogan begonnen, dass eben kritische Medien aufgekauft wurden, von mit ihm befreundeten Oligarchen. Das haben wir in Russland auch so gehabt, in Ungarn und hier in Österreich fängt jetzt auch schon ein Immobilienmakler an, sich in der Medienszene einzukaufen. Dieses Geschäftemachen mit Medien ist eine sehr fragwürdige Angelegenheit.

Ist es der EU egal, was in Ungarn passiert?

Es ist der EU nicht egal, sie ist nur ratlos, würde ich sagen. Sie weiß nicht, was sie tun soll. Ich habe mit EU-Kommissarin Viviane Redding gesprochen, und sie hat gesagt: Auch sie wurde in Ungarn unglaublich angegriffen. Die EU hat offensichtlich keine richtige Handhabe. Ich meine, die EU hat es 2001 hier bei uns in Österreich mit dem Weisenrat versucht. Das ist schiefgegangen, obwohl es einfach darum ging, Österreich anzuhalten, die Menschenrechte zu bewahren.

Als Berlusconi in Italien an die Macht kam, hat die EU schon nicht mehr gewagt, dasselbe zu tun. Italien ist größer, Italien war Gründungsmitglied. Die EU hat gesehen, wie das in Österreich, salopp gesagt, in die Hosen gegangen ist, und wagte nichts mehr. Ähnlich ist es jetzt mit Ungarn.

Ungarn und die Türkei sind sozusagen die negativen Paradebeispiele. In welchen Ländern ist es noch zu so dramatischen Verschlechterungen gekommen?

In Polen, da ist es ganz ähnlich, da werden auch Richter abgesetzt. Kürzlich habe ich eine polnische Journalistin bei einer Konferenz getroffen, und sie sagte, sie seien völlig abgeschnitten vom Rest der Welt und hätten auch keine Kontakte mehr.

In der Slowakei war der Mord an Ján Kuciak natürlich ganz schlimm. Dort ist jetzt eine neue Präsidentin gewählt worden, was gut ist. Das zeigt: Die Zivilgesellschaft ist lebendig – aber trotzdem ist dort ein junger Journalist ermordet worden, weil er investigativen Journalismus betrieben hat.

Dasselbe gilt für Malta. Dort ist Daphne Galizia ermordet worden, weil auch sie investigativ recherchiert und herausgefunden hatte, dass die Regierung nicht ganz saubere Methoden anwendet, um Geld ins Land zu bekommen. Auf Malta war es die inselinterne Mafia, und in der Slowakei war es die italienische Mafia, die da involviert war. Und Pressburg ist nicht weit weg von hier.

Inhalt

  1. Seite 1 - EU und Türkei
  2. Seite 2 - Journalismus, Message Control und Social Media
  3. Auf einer Seite lesen >

Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erscheint ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.