Ökosoziale Steuerreform: Tarnen und Täuschen

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Nationalrat. Symbolbild für die KV-Verhandlungen
Die Mehrheit der Österreicher:innen glaubt nicht an die Wirkung der Anti-Teuerungsmaßnahmen der Regierung. | ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com
Der Nationalrat hat die ökosoziale Steuerreform verabschiedet. Der CO2-Bepreisung stehen Klimabonus und Reformen an der Lohn- und Einkommensteuer entgegen, doch wirtschaftlich Benachteiligte dürfte das Paket trotzdem hart treffen.
Während die Regierungsparteien kaum Worte für ihre Begeisterung fanden, schossen die Oppositionsparteien scharf gegen die ökosoziale Steuerreform. Die hat der Nationalrat jetzt verabschiedet. Das Paket hat einen Umfang von 18 Milliarden Euro und wird zumindest von ÖVP und Grünen als größte Steuerreform der Zweiten Republik bezeichnet. Doch manch:e Expert:in ist sich da nicht ganz so sicher.

Die ökosoziale Steuerreform entstand noch unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Nach der Beratung im Finanzausschuss wurde das Gesamtpaket in drei Gesetze aufgeteilt. Das erste regelt die Senkung der zweiten und dritten Tarifstufe, die Erhöhung des Sozialversicherungsbonus und des Pensionist:innenabsetzbetrags für Geringverdiener:innen. Die Reduzierung des Beitragssatzes in der Krankenversicherung für selbstständig Erwerbstätige mit niedrigen und mittleren Einkommen steht im zweiten Gesetz. Die neue CO2-Bepreisung wird mit einem dritten Gesetz verabschiedet.

Eine Übersicht über die Punkte der ökosozialen Steuerreform:

  • Stufenweise Senkung der Lohnsteuer: Ab Juli 2022 wird durch die ökosoziale Steuerreform die zweite Einkommensstufe von 35 auf 30 Prozent abgesenkt. Ab Juli 2023 wird die dritte Einkommensstufe von 42 auf 40 Prozent abgesenkt.
  • Senkung der Krankenversicherungsbeiträge: Ab Juli 2022 wird der Krankenversicherungsbeitrag für Einkommen bis 2.600 Euro brutto um 1,7 Prozent reduziert.
  • Anhebung des Familienbonus: Ab Juli 2022 wird der Familienbonus dank der ökosozialen Steuerreform in Österreich von 1.500 Euro auf 2.000 Euro angehoben. Der Kindermehrbetrag wird auf 450 Euro erhöht.
  • Einführung eines Mitarbeiter:innenbeteiligungsmodells: Am Gewinn eines Unternehmens können Mitarbeiter:innen steuerfrei mit bis zu 3.000 Euro pro Jahr beteiligt werden.

Die ökologischen Aspekte der Steuerreform im Überblick:

  • CO2-Preise: Ab dem Jahr 2022 müssen Unternehmen 30 Euro pro Tonne ausgestoßenem CO2 bezahlen. Der Preis steigt bis ins Jahr 2025 auf 55 Euro.
  • Einführung eines „regionalen Klimabonus“: Der Klimabonus wird der ökosozialen Steuerreform zufolge in vier Stufen gestaffelt sein und 100 Euro, 133 Euro, 167 Euro und 200 Euro betragen.

Maßnahmen der ökosozialen Steuerreform für die Wirtschaft:

  • Senkung der Körperschaftsteuer von 25 auf 23 Prozent bis ins Jahr 2024.
  • Investitionsfreibetrag inklusive Ökologisierungskomponente.
  • Entlastung für besonders CO2-intensive Unternehmen – das sogenannte Carbon Leakage.
  • Durch die Steuerreform kommt eine Befreiung von der Eigenstromsteuer.
  • Anhebung des Gewinnfreibetrags von 13 auf 15 Prozent.
  • Außerdem bringt die ökosoziale Steuerreform in Österreich eine Erhöhung des Grenzwerts für geringwertige Wirtschaftsgüter von 800 auf 1.000 Euro.

Die standortbezogenen Maßnahmen der Steuerreform im Überblick:

  • Förderung des Ausstiegs aus Öl und Gas mit 180 Millionen Euro.
  • Steuerliche Förderung von Sanierung und Heizkesseltausch durch die Steuerreform.
  • Heizkesseltausch für finanziell Benachteiligte.
  • Förderung der thermischen Sanierung für mehrgeschossige Häuser.

Wer wird von Österreichs ökosozialer Steuerreform 2022 entlastet?

Auf den ersten Blick werden von der ökosozialen Steuerreform tatsächlich Menschen mit kleinerem Einkommen entlastet. Das ist auch die Behauptung, die August Wöginger (ÖVP) im Nationalrat verteidigt. Allein: Dafür taugen die Änderungen nur bedingt. Im Gegenteil. Die wichtigste Maßnahme der Steuerreform – die Senkung der Einkommensteuer – geht an wirtschaftlich Benachteiligten völlig vorbei.

Denn in Österreich bezahlen rund 2,7 Millionen Menschen – also etwa 42 Prozent der Beschäftigten – gar keine Einkommensteuer. Dafür verdienen sie zu wenig. Davon sind vor allem Teilzeitbeschäftigte betroffen, und das sind vor allem Frauen. Aus dem gleichen Grund verpufft bei diesen Menschen auch die Erhöhung des Familienbonus. Dabei handelt es sich nämlich um eine Steuergutschrift, für die Einkommensteuer gezahlt werden muss.

Von der ökosozialen Steuerreform werden im Umkehrschluss eher Besserverdiener:innen entlastet. Das trifft auf die Einkommensteuer genauso zu wie auf den Familienbonus. Vor allem verschärft aber die erneute Senkung der Körperschaftsteuer diesen Eindruck. Vor nicht einmal vierzig Jahren lag der Satz noch bei 55 Prozent. Mit dieser Steuerreform wird er auf 23 Prozent abgesenkt.

Wie Unternehmen von der ökosozialen Steuerreform 2022 profitieren

Von dieser Steuersenkung profitieren vor allem Unternehmen, deren zu versteuerndes Einkommen über eine Million Euro beträgt. Das sind zwar nur 1,9 Prozent aller Unternehmen, die bekommen aber drei Viertel der rund 774 Millionen Euro, die dieser Nachlass die Österreicher:innen kosten wird. Darauf weist auch Kai-Jan Krainer (SPÖ) im Nationalrat hin. Die ÖVP mache Politik für Millionär:innen und nicht für die Millionen Österreicher:innen.

Wie ungleich die ökosoziale Steuerreform die verschiedenen Einkommen mit der Senkung der Einkommensteuer wirklich entlastet, hat das Momentum Institut ausgerechnet. Wer 2.100 Euro pro Monat verdient und damit zum mittleren Einkommen gehört, spart im Jahr 137 Euro. Wer allerdings 6.000 Euro verdient, der bekommt 1.230 Euro von der Finanz zurück. In Zeiten der multiplen Krise, die den Sozialstaat belasten, eigentlich ein Unding.

Hilft die CO2-Steuer dabei, den Klimawandel zu bekämpfen?

Ein weiterer zentraler Punkt der ökosozialen Steuerreform ist der CO2-Preis. In Österreich orientiert er sich an Deutschland, also 30 Euro pro Tonne ab Juli 2022 und dann eine schrittweise Erhöhung bis auf 55 Euro im Jahr 2025. Dieser Preis ist zu niedrig. Bei der Debatte in Deutschland betonte Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, dass erst ab 100 Euro pro Tonne eine sogenannte „Lenkungswirkung“ eintreten würde. Ein Preis, der weder in Deutschland noch in Österreich auch nur langfristig angestrebt ist.

Durch den CO2-Preis erhöhen sich die Preise an der Tankstelle bis ins Jahr 2025 um 14,1 bis 16,2 Cent pro Liter. Bei Heizöl steigt der Preis um 17,8 Cent und bei Gas um 1,3 Cent. Als Ausgleich für die Bürger:innen gibt es den Klimabonus. Er dient als Rückverteilung dieser Einnahmen. Wer in ländlichen Regionen schlecht an den öffentlichen Nahverkehr angebunden ist, erhält bis zu 200 Euro pro Jahr. Vermieter:innen wird außerdem durch Zuschüsse und Steuererleichterungen der Umstieg auf klimaneutrale Heizsysteme finanziell schmackhaft gemacht. Mieter:innen, die für den CO2-Preis letztlich aufkommen, haben darauf allerdings keinen Einfluss.

So verstärkt die ökosoziale Steuerreform 2022 in Österreich die Ungleichbehandlung zwischen Frau und Mann

Die ökosoziale Steuerreform begünstigt vor allem Männer. Sie profitieren mehr als doppelt so stark von den Entlastungen wie Frauen, wie das Momentum Institut berechnet hat. Während Männer im Schnitt 576 Euro pro Jahr weniger zahlen, sind es bei Frauen nur 240 Euro. Kein einziger zentraler Aspekt der Reform nimmt auf die Hintergründe Rücksicht.

Weil nur 35 Prozent aller Selbstständigen Frauen sind, profitieren sie weniger von der Körperschaftsteuer. Dabei ist noch nicht mit eingerechnet, ob die größeren Firmen – die überproportional von der KÖSt-Senkung profitieren – nicht verstärkt im Besitz von Männern sind. Auch der Familienbonus der Steuerreform kann nur in Anspruch genommen werden, wenn der Elternteil über 1.700 Euro pro Monat verdient.

Wie reagieren Expert:innen auf die ökosoziale Steuerreform?

Die Reaktion der Expert:innen auf die ökosoziale Steuerreform fällt entsprechend eindeutig aus. So polterte Greenpeace: „Es ist ein Armutszeugnis, dass es Österreich nicht gelingt, ein deutlich klimafreundlicheres Modell vorzulegen als etwa das konservative Deutschland.“

Lediglich von der Gesamtwirtschaft ist Gutes zu hören. So freut sich Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer (WKO), dass seine Forderungen aufgegriffen worden seien. Auch von der Industriellenvereinigung gab es Lob in Richtung schwarz-grüne Regierung für die ökosoziale Steuerreform in Österreich und die „notwendigen Schritte in Richtung Entlastung“. Im Nationalrat zitierte Hubert Fuchs (FPÖ) die WKO jedoch dahingehend, dass die Entlastung kaum mehr bringen würde, als der bürokratische Mehraufwand dahinter kosten würde.

Die Kritik an der unsozialen Wirkung ging an den ÖVP-Abgeordneten nicht spurlos vorbei. Dass vor allem Unternehmen profitieren würden, hätte mit der Standortsicherung zu tun, behauptete beispielsweise Wöginger. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) verstieg sich gar zu der Aussage, er wisse von vielen deutschen Unternehmen, die sich wegen der KÖSt-Senkung überlegen würden, ihren Firmensitz nach Österreich zu verlegen. Würde es denn stimmen, wäre es angesichts einer Steuerlücke von 15 Milliarden Euro jährlich ein Grund zum Jubeln.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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