Nachhaltiges Einkaufen: Politik und Handel sind gefordert

Illustratives Foto nachhaltiger Konsum
Foto (C) Adobe Stock
Der neue Sustainable Commerce Report des österreichischen Handelsverbandes untersucht die Einstellungen zu nachhaltigem Einkaufen bei Konsument:innen und Unternehmen. Dabei zeigt sich: Nicht in allen Handelssparten wird Nachhaltigkeit großgeschrieben.
Vielleicht waren auch Sie Teilnehmer:in des Sustainable Commerce Report. Im August befragte die Beratungsorganisation Ernst&Young im Auftrag des österreichischen Handelsverbandes 1.014 in Österreich lebende Menschen im Alter zwischen 18 und 69 Jahren nach ihren Kaufkriterien und persönlichen Einstellungen zur Nachhaltigkeit beim Einkaufen. Durchaus interessante Ergebnisse können aus dieser Befragung herausgelesen werden. So geben beispielsweise besonders ältere Personen an, beim täglichen Einkauf von Lebensmitteln (über 80 Prozent) und beim Shopping von Kleidung (über 70 Prozent) auf Qualität und Nachhaltigkeit zu setzen. Quer durch alle Altersgruppen waren Mülltrennung, Vermeidung von Lebensmittelverschwendung und Tierwohl ein Anliegen, das die Shoppinggewohnheiten mitbestimmt.

„Um nachhaltigen Konsum aus der Nische zu holen, ist es sehr wichtig, nachhaltige Einstellungen und Konsumpraktiken nach soziodemographischen Merkmalen zu analysieren und diese Unterschiede werden hier recht anschaulich aufgeschlüsselt“, sagt die Konsumforscherin und Referentin für nachhaltigen Konsum, Johanna Bürger, von der AK-Wien.

Es fällt auf, dass zwar nach der Wichtigkeit von fairen Arbeits- und Produktionsbedingungen bei den heimischen Bauern und in produzierenden Drittländern gefragt wird, nicht aber nach fairen Arbeits- und Produktionsbedingungen auf allen Stufen der Lebensmittelproduktion.“

Johanna Bürger, Konsumforscherin der AK-Wien

Wohl weniger wichtig scheinen den Menschen in Österreich fairer Handel und faire Arbeitsbedingungen zu sein. Hier stimmte nur die Hälfte aller Befragten zu, dass solche Kriterien für sie ausschlaggebend beim Gang ins Geschäft seien. „Bei dieser Frage fällt auf, dass zwar nach der Wichtigkeit von fairen Arbeits- und Produktionsbedingungen bei den heimischen Bauern und in produzierenden Drittländern gefragt wird, nicht aber nach fairen Arbeits- und Produktionsbedingungen auf allen Stufen der Lebensmittelproduktion generell beziehungsweise auch in Österreich“, so Bürger. „Aus unserer Sicht müssen alle Stufen der Produktion betrachtet und bewertet werden. In Deutschland beispielsweise haben große Corona-Cluster bei Schlachthofmitarbeiter:innen die dortigen unbefriedigenden Arbeitsbedingungen aufgezeigt.“

Was Menschen von nachhaltigen Produkten halten, verrät der Bericht ebenfalls. Höhere Preise und der Verzicht auf Komfort waren hierbei die am meist genannten Kriterien. Jedoch können sich zwei Drittel der Befragten ein Nachhaltigkeits-Bonusprogramm vorstellen. Also eine Form der Belohnung für nachhaltiges Einkaufen in Form von Gutscheinen oder Rabatten auf Produkte und Dienstleistungen.

Greenwashing bei Unternehmen

Neben Konsument:innen wurden für den Report auch Unternehmen und deren Einstellung zur Nachhaltigkeit untersucht. Hier gibt es zum Teil überraschende Erkenntnisse. So werden der Lebensmittelhandel, Gartencenter und der Buchhandel als die nachhaltigsten Unternehmenssparten eingeschätzt. Sicher nicht ganz falsch. Doch manches möchte der Handel wohl lieber den Stakeholdern überlassen, wie beispielsweise die Verantwortung für Nachhaltigkeit. Besonders die Produzenten/Lieferanten (64 Prozent) und die Politik (53 Prozent) sehen Geschäfte hier als Hauptverantwortliche. 45 Prozent des Handels sehen sich selbst in der Verantwortung, das nachhaltige Einkaufen den Konsument:innen zu ermöglichen. „Das ist eine Studie, die den Unternehmen primär helfen soll, Marketing rund um das Thema Nachhaltigkeit zu betreiben. Genau das ist aber das Hauptproblem, das ich sehe: Es wird im Nachhaltigkeitsbereich nicht gemacht, was nötig ist, sondern was sich gut anhört – aber nur mit schönen Bildern werden wir nicht aus der Klima- und Umweltkrise kommen“, sagt Martin Wildenberg von GLOBAL 2000. Wildenberg ist Experte für nachhaltigen Konsum und Biodiversität.

Es wird im Nachhaltigkeitsbereich nicht gemacht, was nötig ist, sondern was sich gut anhört – aber nur mit schönen Bildern werden wir nicht aus der Klima- und Umweltkrise kommen.“

Martin Wildenberg, GLOBAL 2000

Auf die Frage ob Nachhaltigkeit bereits ein zentraler Bestandteil der Unternehmensstrategie ist, antworten die Sparten Elektrohandel und Drogerie/Parfümerie zu 100 Prozent mit: ja. Aus dem Bereich des Sporthandels sind es hingegen 80 Prozent und hier gibt es Negativbeispiele wie jenes von Nike. „Die Modeindustrie ist für den Ausstoß von mehr CO2-Emissionen verantwortlich als die ganze Luft- und Schifffahrt zusammen“, schrieb Die Zeit kürzlich in einem Artikel, der sich mit der „Nachhaltigkeitsinitiative“ Grind des amerikanischen Sportbekleidungsherstellers auseinandersetzte. Nike fordert mit dieser Kampagne Schuhbesitzer:innen auf, ihre alten Sneaker in die Stores zurückzubringen, da diese dann nachhaltig geschreddert werden sollen. Die Recherchen ergaben allerdings, dass Nike zu einem Großteil nigelnagelneue Schuhe vernichtete und diese Kampagne wohl nur vorschiebt, um Produkte mit minimalen Mängeln aus der Welt zu schaffen. Dass der Konzern damit den CO2-Ausstoß erst recht hochtreibt und Materialien verschwendet, scheint bei Nike aber niemanden so recht zu interessieren. Denn Rückmeldungen auf konkrete Fragen bekam das Rechercheteam nicht.

„Diese Geschichte zeigt genau das Problem vieler sogenannter Nachhaltigkeitsinitiativen auf. Sie kommen aus dem Marketing und dienen dazu, den Unternehmen ein grünes Image zu geben – also Greenwashing. Schaut man sich die Ausgaben von Konzernen für Nachhaltigkeitsinitiativen an, dann wird man feststellen, dass ein Großteil des Budgets dieser Initiativen ins Marketing geht und nur ein kleiner Teil in die eigentliche Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen“, sagt Wildenberg. Und Konsumforscherin Bürger ergänzt: „Im Textilbereich ist Nachhaltigkeit im Sinne von umweltfreundlichen und langlebigen Materialen sowie fairen Arbeitsbedingungen leider viel zu selten zu finden. Die Kollektionen wechseln sehr schnell und es hat sich eine gewisse Wegwerfmentalität eingestellt, auch bezeichnet als ‚Fast Fashion‘.“

Wie Nachhaltigkeit funktionieren kann

„Für ein gesellschaftliches Projekt nachhaltigen Konsumierens und Lebens müssen geeignete kontextuelle Rahmenbedingungen (wie etwa Angebote, Anreizsysteme, kommunikative Maßnahmen, Kooperationen verschiedener gesellschaftlicher Akteursgruppen) vorhanden sein, damit nachhaltiges Handeln möglich wird“, schreibt der Professor für Soziologie und Empirische Sozialforschung, Karl-Michael Brunner, von der Wirtschaftsuniversität Wien in seinem Arbeitspapier zu nachhaltigen Konsum und sozialer Ungleichheit für die AK Wien. Hier setzt beispielsweise die WeFair Messe (ehemalig WearFair +mehr) in Linz an. Bei der Messe dreht sich alles um Nachhaltigkeit, sie findet seit 2008 im Jahresrhythmus im Oktober statt. Sofern es die Covid-19-Lage zulässt, soll es im März 2022 eine Schwestermesse in der Wiener Marx-Halle geben, heißt es von den Veranstaltern. Ein zentraler Fokus bei WeFair liegt auf der Vermeidung von „Fast Fashion“ – also unter fragwürdigen Arbeitsbedingungen erzeugte Bekleidung, die günstig angeboten wird und schnell wieder den Weg in den Müll findet.

Für ein gesellschaftliches Projekt nachhaltigen Konsumierens und Lebens müssen geeignete kontextuelle Rahmenbedingungen (wie etwa Angebote, Anreizsysteme, kommunikative Maßnahmen, Kooperationen verschiedener gesellschaftlicher Akteursgruppen) vorhanden sein, damit nachhaltiges Handeln möglich wird.“

Karl-Michael Brunner, Professor für Soziologie und Empirische Sozialforschung

Verantwortlich für die Messe sind GLOBAL 2000, das Klimabündnis Österreich und der Verein Südwind. Unterstützt wird sie auch von der AK und der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE). „Die Idee hinter der WeFair ist es zu zeigen, dass es auch anders geht. Unternehmen eine Bühne zu geben, die nachhaltig wirtschaften und damit zeigen, dass es anders funktionieren kann“, sagt Wildenberg. Dass die WeFair eine sehr zu befürwortende Initiative ist, steht außer Zweifel, allerdings kommen zu solchen Messen zu einem erheblichen Teil Menschen, die sich schon zuvor für nachhaltigen Konsum interessiert haben. Es sollte abgesehen von solchen Messen, die Bewusstsein schaffen, noch mehr getan werden, wie Bürger von der AK meint: „Wir brauchen einen besseren rechtlichen Schutz vor Greenwashing, eine Ausweitung der Gewährleistungsfrist, bessere Rahmenbedingungen für Reparaturen und ein Lieferkettengesetz.“ Hier müssen laut der Expertin die Politik, die Händler und auch die Hersteller mehr Verantwortung wahrnehmen.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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