Wohnen oder überleben

Eine Frau sitzt in einem Karton, neben ihr eine Pflanze und eine Katze, ober ihr eine Denkblase mit einer Hand, die ein Haus anbietet. Ihr Blick drückt Sorge aus. Symbolbild für die steigenden Mietpreise.
Viele, die bisher mit Ach und Krach die Lebensmittel- und Energiekosten stemmen konnten, fühlen sich von den Mietpreisen überrumpelt. | © Miriam Mone
Es kracht im Gebälk. Das Grundbedürfnis Wohnen wird zur Armutsfalle. Viele, die bis jetzt mit Ach und Krach die steigenden Kosten gestemmt haben, geraten in Zahlungsschwierigkeiten.
Wohnen wir nur oder leben wir auch? Das ist aktuell wohl eine der brennendsten Fragen. Bleibt also angesichts hoher Mietpreise, Betriebskosten und Energie noch genug Geld fürs Leben übrig? Tatsache ist: Fast jeder zweite Mensch in Österreich empfindet die Wohnkosten derzeit als belastend, rund ein Fünftel als sehr belastend. Besonders stark trifft die Teuerung jene, die in Mietwohnungen wohnen, so das Ergebnis einer aktuellen Integral-Umfrage.

Unterm Miethammer

Einen Mietpreisdeckel, wie ihn andere Länder eingeführt haben, gibt es in Österreich dennoch nicht. Die Richtwertmietzinserhöhung um 8,6 Prozent ab 1. April 2023 betraf bundesweit rund 755.000 Mieter:innen bzw. 376.000 Haushalte. Nach Berechnungen der Arbeiterkammer bedeutet dies Mehrkosten von im Schnitt 490 Euro pro Jahr. Nach der gesetzlichen Anpassung der Richtwertmieten für Neuverträge im April, stand mit dem 1. Mai auch die nächste Mietteuerung für laufende Verträge an: Die Mieten werden um rund 8,5 Prozent teurer.

Zur Abfederung gibt’s zumindest in Wien 200 Euro Wohnbonus. „Das ist natürlich nur eine Symptombekämpfung. Mit Einmalzahlungen gibt man den Menschen Geld, damit sie diese Preise irgendwie stemmen können. Würde man stärker regulatorisch eingreifen, hätte das einen viel nachhaltigeren Effekt“, sagt Alexander Huber, Ökonom beim Momentum Institut.

Plötzlich Bittsteller:in

Wer die enormen Preissteigerungen der vergangenen Monate für Energie, Wohnen und Lebenshaltungskosten gerade noch gestemmt hat, wird möglicherweise nun durch diesen Preissprung bei den Mieten an jene Grenze stoßen, wo das Geld so unaussprechlich knapp wird, dass man nicht mehr Herr:in der Finanzlage ist. Immerhin rechnen 30 von 100 Österreicher:innen damit, in den kommenden Monaten in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten. Damit werden Menschen, die bisher durchaus in der Lage waren, für sich und ihre Familien gut zu sorgen, jetzt zu Bittsteller:innen und Sozialhilfe-Empfänger:innen. Das Argument, dass ein Recht auf diese Leistungen besteht, ist zwar richtig, nützt jenen aber wenig, die plötzlich unvorbereitet abhängig von staatlichen Zuschüssen werden. Die Ungleichheit im Land wird dadurch größer, was keiner Demokratie gut bekommt. Mit einer bundesweiten Deckelung der Mietpreise könnte dieser Trend zumindest eingebremst werden.

„Große Immobilienunternehmen haben keinen Wohnbedarf für Kinder oder Enkelkinder. Die Befristung ist für sie ein Geschäftsmodell“, so Lukas Tockner, AK Wien. | © Markus Zahradnik

Öl ins Feuer der Mietpreise

„Die Wohnbeihilfe wird zurzeit als Maßnahme gesehen, mit der man trotz Turboteuerung über die Runden kommen soll. Das Problem ist, dass damit die Mieten subventioniert werden. Es werden also Mieteinnahmen gestützt, die eigentlich zu hoch sind“, sagt Huber. Neben der Umverteilung wird damit die Inflation gefördert.

Mit den Mieten steigen auch die Delogierungen, das zeigen aktuelle Zahlen des Justizministeriums. Von 2021 auf 2022 stieg die Zahl der Räumungsklagen und Kündigungen von 19.952 auf 25.569 bzw. um 28 Prozent. Wegen Zahlungsrückständen in Not geratene Menschen können unter dem 2021 eingerichteten Wohnschirm Schutz vor Wohnungsverlust suchen.

Starke regulatorische Eingriffe
haben einen nachhaltigeren Effekt
als Einmalzahlungen. 

Alexander Huber, Momentum Institut

Kritische Befristungspraxis

Ein wichtiges Thema für Mieter:innen ist zudem die Befristung von Mietverträgen, die stark zugenommen hat. Überproportional sind davon junge Haushalte betroffen, die zu 60 Prozent in solchen Mietverhältnissen leben. Befristete Verträge werden für drei bis fünf Jahre vergeben. Danach heißt es ausziehen oder einen neuen, teureren Vertrag unterschreiben. „Diese Praxis untergräbt den Mieter:innenschutz und treibt die Preise weiter an“, so Huber.

Wohnbeihilfe stützt Vermieter:innen: „Das Problem der Wohnbeihilfe ist, dass damit die Mieten subventioniert werden. Es werden also Mieteinnahmen gestützt, die eigentlich zu hoch sind“, sagt Alexander Huber. | © Markus Zahradnik

Die Arbeiterkammer spricht sich deshalb für ein weitgehendes Gebot zur unbefristeten Vermietung aus. „Wir schlagen vor, den großen Immobilienunternehmen zu untersagen, befristet zu vermieten. Sie haben keinen Bedarf für Kinder, Enkelkinder oder sich selbst. Die Befristung ist für sie ein Geschäftsmodell“, sagt Lukas Tockner, Experte für Kommunalpolitik und Wohnen der Arbeiterkammer (AK) Wien.

Kavaliersdelikt Mietwucher

Apropos Richtwertmieten: Auch wenn es nicht so sein dürfte, werden diese standardmäßig überschritten. In Wien liegen die Schätzungen bei 80 bis 90 Prozent. Und es ist auch klar, warum. „Längst nicht jede:r Mieter:in geht zur Mietervereinigung und fordert überhöhte Mieten zurück“, sagt Huber. Und selbst wenn, ist für den:die Vermieter:in das Risiko kalkulierbar. „Im schlimmsten Fall muss er:sie Mieteinnahmen über dem Richtwert zurückzahlen.“ Sanktionen? Keine. „Es sollte eine Sanktionsmöglichkeit gegen diese Praxis geben, und der Zugang zur Rückforderung muss noch einfacher gemacht werden“, sagt Huber. Sein Tipp: Die Mietervereinigung bietet die Rückforderung von überhöhten Miet- und Betriebskosten an – selbst einzureichen ist eher nicht zu empfehlen.

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