Männer- und Frauenberufe? Klischee ade!

Die Arbeiterkammer unterstützt das Projekt „Digital Pioneers“ durch den Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0. Die Teilnehmerinnen sind ausschließlich weiblich.
(C) Markus Zahradnik

Inhalt

  1. Seite 1 - Vom Puppenspiel in die Altenpflege
  2. Seite 2 - Vom Friseursalon auf die Baustelle
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Dass Buben mit Bauklötzen und Mädchen mit Puppen spielen, gilt oft als „natürlich“. Erstens ist es das nicht, zweitens verdienen Puppenspielerinnen meist deutlich weniger. Über die Erfahrungen von Frauen mit schmutzigen Haaren in verkrusteten Strukturen.
Ein Satz, den Carmen Feichtinger so oder so ähnlich schon mehrmals hörte: „Für Frauen haben wir nicht mal eine Toilette.“ Nämlich als sie sich als Elektrotechnikerin bewarb. Oder als Maschinenbautechnikerin. Oder auch als Mechatronikerin. Oftmals mit dem Zusatz: „Du bist ein Mädel, das trauen wir dir nicht zu.“

Also landete Feichtinger nach ihrem Schulabschluss, nach dem „Spezialfall Mädchengymnasium“, wie sie das mit einem Schmunzeln nennt, als Einrichtungsberaterin im Einzelhandel. „Eigentlich nicht so meine Sparte“, sagt sie, aber besser als nichts. Mit einem Anteil von knapp 66 Prozent zählt der Handel zu einem der „klassischen Frauenberufe“. Das ist kein Zufall und kein Naturgesetz. Im Gegenteil: Dabei geht es um Geld, Macht und Einfluss. Nach wie vor verdienen Frauen in Österreich durchschnittlich deutlich weniger als Männer (Gender-Pay-Gap) und beziehen im Schnitt weniger Pension (Pension-Gap). Im Einzelfall wurzelt die Ungleichbezahlung oft schon im Kindergarten, gesamtgesellschaftlich reicht sie bis ins 18. Jahrhundert zurück.

Carmen Feichtinger, 21, ist in der Gamer:innen-Szene groß geworden. Seit Oktober ist sie Teil des Projekts „Digital Pioneers“ in Linz.

Vom Puppenspiel in die Altenpflege

Die Standarderklärung für die Unterteilung in sogenannte Männer- und Frauenberufe lautet: Während sich Männer mehrheitlich für Technik interessieren, würden sich Frauen mit fürsorglichen Tätigkeiten wohler fühlen. Schon Jungs spielen schließlich lieber Fußball und LEGO, während Mädchen Schminktisch und Barbie bevorzugen. Vermeintlich natürliche Interessen würden also den späteren Berufsweg bereits vorskizzieren. Der Schritt von der LEGO-Burg in die Automobilindustrie, vom Puppenspiel in die Altenpflege erscheint konsequent und logisch.

Christian Berger, Ökonom bei der Arbeiterkammer Wien und ehemaliger Sprecher des österreichischen Frauen*Volksbegehrens, hegt beträchtliche Zweifel an dieser Erklärung. Die Rede von den „natürlichen Interessen“ sei lediglich ein Argument zur Verschleierung von Interessen und Herrschaftsansprüchen. „Interessen“, so Berger, „sind zuvorderst eine Frage der Sozialisation.“ Wie werden Frauen in Kultur, Fernsehen oder Werbung dargestellt? Welche weiblichen Vorbilder gibt es in der Politik, im Sport oder in der Wirtschaft? In welchen Berufen sehen Kinder ihre Eltern und Verwandten?

Laut Statistik Austria begegnen Kinder in Krippen und Kleinkindeinrichtungen zu 98 Prozent einer weiblichen Pädagogin, während sie später an einer Schule mit technischem oder gewerblichem Schwerpunkt in knapp drei Viertel der Fälle von einem Mann unterrichtet werden.

Was soll an dem hier bitte männlich oder weiblich sein?

Carmen Feichtinger, „Digital Pioneers“

Game Boy, Nintendo, Playstation und Computer begleiten Carmen Feichtinger schon seit Kindesbeinen an. Die männlich dominierte Gamer-Szene ist genauso Teil ihrer Sozialisation wie das Aufwachsen inmitten von Brüdern und Cousins. Ihren Job als Einrichtungsberaterin hängte sie schnell an den Nagel. Die heute 21-Jährige zog von Ried nach Linz, um dort am Projekt „Digital Pioneers“ teilzunehmen, das die AK durch den Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0 unterstützt. In einem leicht staubigen Trakt der Linzer Tabakfabrik bereitet sie sich seit Anfang Oktober auf ihr zukünftiges Berufsleben in der Tech-Branche vor.

Zwischen Laptops und Getränkeflaschen liegen Netz- und USB-Kabel auf dem Tisch, an den Wänden hängen Plakate mit Überschriften wie „Big Data“, „POP3/IMAP/SMTP“, über Social-Media-Strategien und die Marketing-Kampagne von IKEA. Nach Abschluss des achtwöchigen Lehrgangs geht es für die ausschließlich weiblichen Teilnehmerinnen für acht Monate zur Ausbildung in ein Unternehmen.

Ob sie jemals das Gefühl hatte, sie sei als Frau für so etwas nicht geeignet? „Nein.“ Feichtinger stockt kurz. Und beginnt dann zu lachen. Das mit der Unterscheidung in Frauen- und Männerberufe habe ihr noch nie eingeleuchtet. „Was soll an dem hier bitte männlich oder weiblich sein?“

Dass Feichtinger eine Ausnahme ist, das weiß auch Anna Steiger, Vizerektorin für Personal und Gender an der Technischen Universität Wien. An ihrer Universität sind in den klassischen Ingenieursstudiengängen, Elektrotechnik oder Maschinenbau, knapp zehn Prozent der Studierenden weiblich. Während beispielsweise im Architekturstudium, in dem es vermeintlich mehr um künstlerische Begabung geht, mehr als die Hälfte Frauen sind.


Vom Friseursalon auf die Baustelle: Malerinlehrling Yvonne Kollros, 19, in einem künftigen Luxushotel in der Wiener Innenstadt.

„Ich hoffe, Sie haben nichts gegen Staub“

Schon in den technisch-gewerblichen Schulen hierzulande sind (Stand 2020) lediglich ein Viertel der Schüler:innen weiblich. „Das zieht sich durch“, erklärt Steiger. Auch sie betont: Die geschlechtliche Segregation am Arbeitsmarkt sei „vor allem eine Frage der Sozialisation“. Steiger verweist auf Länder des ehemaligen Ostblocks. Im sogenannten „Realsozialismus“ gab es die Unterteilung in Männer- und Frauenberufe in der uns bekannten Form nicht. Steiger vermutet, das habe Auswirkungen bis in die Gegenwart. Ein Blick in die Statistik gibt der Vizerektorin recht: Der Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern in Tschechien, Ungarn, Polen, Bulgarien, Slowenien und Kroatien ist geringer als in Österreich. Rumänien verzeichnet EU-weit nach Luxemburg die geringsten Einkommensunterschiede.

Dass sich tradierte Rollenbilder am Arbeitsmarkt widerspiegeln, betrifft neben akademischen auch handwerkliche Berufe. Am Petersplatz in der Wiener Innenstadt soll bis 2022 ein Luxushotel entstehen, Rooftop-Restaurant und Cocktail-Bar inklusive. Viel zu merken ist davon Mitte Oktober noch nicht. Im Inneren des denkmalgeschützten Gebäudes versteht man sein eigenes Wort kaum, Kabel hängen von der mit Stuck besetzten Decke. „Ich hoffe, Sie haben nichts gegen Staub“, heißt es zur Begrüßung. Die 19-jährige Yvonne Kollros nimmt auf einem Farbkübel Platz, breitbeinig und farbverschmiert. Vor zwei Monaten begann sie bei der Firma Denner die Lehre zur Malerei- und Beschichtungstechnikerin.

Das Interesse fürs Handwerkliche sei schon lange da. Aber eine Lehre in dem Bereich? Ihrem Vater, Kfz-Mechaniker und begnadetem Heimwerker, hatte sie früher oft bei der Arbeit zugesehen. Eher aus der Distanz, als Mädchen. Auch in der Schule hatte sie das Gefühl vermittelt bekommen, das sei „nichts für mich“. Ihre Mitschülerinnen und Freundinnen suchten nach dem Abschluss nach Erwerbsarbeit abseits männlich dominierter Berufe. Kollros lernte Friseurin. Ein Beruf, der in neun von zehn Fällen von Frauen ausgeübt wird.

Schnell sollte sich herausstellen, dass sich Kollros auf Baustellen deutlich wohler fühlt als in Friseursalons. „Aber das wollte ich mir anfangs nicht eingestehen. Eine Bekannte hat mir den nötigen Schub gegeben. Und dann habe ich mir gedacht, ich probiere das jetzt.“

„Einfach mal probieren“ wollen es immer noch sehr wenige Mädchen und Frauen in Österreich. Im vergangenen Jahr begannen 2.658 von ihnen eine Lehre im Bereich „Gewerbe und Handwerk“. Demgegenüber stehen 10.328 Jungen und Männer. Im Bereich Elektrotechnik liegt der Frauenanteil mit 6,31 Prozent noch einmal deutlich niedriger.

Schmutzige Haare und verkrustete Strukturen

Dass Kollros hier auf der Baustelle in der Wiener Innenstadt als Frau eine Ausnahmeerscheinung ist, hat ihrer Meinung nach auch ganz praktische Gründe. In ihren langen rot-schwarzen Haaren bleibt am Ende des Tages meist deutlich mehr Schmutz und Staub hängen als bei ihren (meist) kurzhaarigen Kollegen. Dass sich das nicht jede Frau jeden Tag antun möchte, könne sie nachvollziehen. Aber das sei Gewöhnungssache.

Gelegentlich greifen ihr ein paar Kollegen unter die Arme, um die schweren Farbkübel in den vierten Stock zu hieven. Am liebsten aber schleppt sie alleine: „Da bekomme ich wenigstens Muskeln.“ Ansonsten habe sie selten das Gefühl, dass sie als Frau anders behandelt werde. Das mag auch an ihrem Arbeitgeber liegen. Im Mai dieses Jahres wurde die Firma Denner aufgrund ihres Engagements in Sachen Gleichstellung mit dem amaZone-Award ausgezeichnet. Seit 2004 bildet der Maler:innenbetrieb mit Sitz in Wien-Margareten gezielt Frauen und Mädchen aus und beschäftigt eine der wenigen Malermeisterinnen hierzulande. Geht es nach Kollros, soll sie die nächste sein, „die Meisterinnenprüfung traue ich mir fix zu“.

Die Arbeitstage sind oftmals lang und anstrengend, aber ihren Job als Friseurin vermisst sie kaum. „Ich kann keinen Punkt nennen, der mir an meiner neuen Arbeit nicht taugt.“ Nicht zuletzt das bessere Gehalt – „und am Ende des Tages sieht man, was man geschafft hat“.

Auf der individuellen Ebene mag das „Interesse“ an verschiedenen Berufen eine Frage der Sozialisation sein. Auf gesellschaftlicher Ebene wurzelt die bis heute dominante Unterteilung in Männer- und Frauenberufe in der Herausbildung der „kapitalistischen Moderne“ Mitte des 18. Jahrhunderts, erklärt AK-Experte Berger. Historisch lasse sich hier die „Aufteilung in unbezahlte Reproduktions- und bezahlte Produktionsarbeit“ verorten. Während Männer frühmorgens in die Fabriken pilgerten und dort für ihre Arbeit entlohnt wurden, blieben Frauen zumeist bei den Kindern zu Hause und kümmerten sich um den Haushalt, unbezahlt. In den Bildungs- und Ausbildungsstätten, die sich zu dieser Zeit herausbildeten, wurde diese Trennung reproduziert: Sie waren Männern vorbehalten.

Seither hat sich viel getan. Für Frauen gab es institutionelle, bildungs- und demokratiepolitische Verbesserungen – „aber am Arbeitsmarkt ändert sich seit Jahrzehnten kaum etwas Strukturelles“, kritisiert Berger.

Die Ungleichbehandlung – und Ungleichbezahlung – verschiedener Geschlechter ist historisch und strukturell tief in unseren Gesellschaften verankert.

Der Gender-Pay-Gap ist in Österreich hinter Lettland und Estland mit knapp 20 Prozent nach wie vor einer der größten innerhalb der EU. Zum Vergleich: EU-weit beträgt der Gap 14,1, in Luxemburg 1,3 Prozent. Frauen, die in Österreich im Jahr 2019 in Pension gingen, erhalten im Schnitt 39 Prozent weniger als Männer, 1997 waren es 46 Prozent.

Berger spricht mit Blick auf den Arbeitsmarkt von „horizontaler“ und von „vertikaler“ Segregation. In Unternehmen (horizontal) sind die bestbezahlten und mächtigsten Posten in den allermeisten Fällen männlich besetzt. Mit Blick auf unterschiedliche Tätigkeitsfelder und Branchen (vertikal) sind Männerberufe im Schnitt deutlich besser bezahlt als Frauenberufe. Dabei sei auffällig, so Berger, dass die ungleiche Bezahlung wenig mit dem Individuum an sich zu tun hat: Männer leiden im Handel oder in der Pflege genauso unter schlechter Bezahlung, wie Frauen in Industrie und führenden Unternehmenspositionen meist überdurchschnittlich gut verdienen.

Dass sich am österreichischen Arbeitsmarkt sowohl die horizontale als auch die vertikale Segregation derart hartnäckig hält, hat laut AK-Ökonomen Berger strukturelle Gründe. Müssten Löhne und Gehälter von Frauen an jene von Männern angeglichen werden, würde sich auch die Gesamtlohnsumme erhöhen – was im Umkehrschluss die Profite von Unternehmer:innen schmälert.

 

„Ich kann keinen Punkt nennen, der mir an meiner neuen Arbeit nicht taugt“, Malerinlehrling Yvonne Kollros.

Ein langer Weg

Neben Verteilungsfragen und materiellen Interessen gehe es um die Aufrechterhaltung von Privilegien und faktischer Verfügungsmacht über Arbeit und Produktion, also Herrschaft. In vielen Unternehmen und Institutionen hätten sich „männerbündische Strukturen“ etabliert. „Klassische Männerberufe werden abgeriegelt“, erklärt Berger. Aus diesem Grund ist der Anteil von Männern in Männerberufen im Vergleich deutlich höher als der Anteil von Frauen in Frauenberufen. Was männlich ist, soll männlich bleiben. Das erkläre auch, warum der Frauenanteil in männlich dominierten Branchen seit Jahrzehnten stagniert.
Das Problem ist bekannt. Neben den Digital Pioneers gründete sich bereits 1992 in Steyr eine Frauenarbeitsstiftung. Das Arbeitsmarktservice (AMS) wirbt derzeit mittels FiT-Programm (Frauen in Handwerk und Technik) um weibliche Bewerberinnen in handwerklichen und technischen Berufen. Im Frauenpolitischen Lehrgang des ÖGB werden Frauen gezielt für die Arbeitnehmer:innenvertretung geschult.

Darauf angesprochen kann TU-Vizerektorin Steiger gleich eine ganze Reihe von Projekten und Initiativen in ihrer Einflusssphäre aufzählen. Zum Beispiel der TU-Kindergarten mit Technikschwerpunkt, TU-Praktika für Mädchen oder das „Women only“-Mentoringprogramm für erstsemestrige Studentinnen. Jede:r TU-Wien-Student:in muss, unabhängig vom Studiengang, verpflichtend eine Lehrveranstaltung zum Thema Gender und Diversity absolvieren, um das Studium erfolgreich abschließen zu können.

„Projekte können einen Beitrag leisten“, findet Berger, aber insgesamt brauche es deutlich umfassendere politische, institutionelle und auch gewerkschaftliche Initiativen.

Die Ungleichbehandlung – und Ungleichbezahlung – verschiedener Geschlechter ist historisch und strukturell tief in unseren Gesellschaften verankert. Um diese Barrieren mittel- und langfristig zu überwinden, braucht es tiefgreifende Änderungsprozesse in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen – auch abseits der Wirtschaft. Dass Technikbetriebe Frauentoiletten installieren, soll dabei noch das geringste Problem sein.

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Über den/die Autor:in

Johannes Greß

Johannes Greß, geb. 1994, studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freier Journalist in Wien. Er schreibt für diverse deutschsprachige Medien über die Themen Umwelt, Arbeit und Demokratie.

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