Wie die Wohnungskrise in Irland Gewerkschaften herausfordert

Junge Menschen in Irland feiern St. Patricks Day in Dublin. Symbolbild für die Wohnungskrise in Irland.
Immer mehr junge Menschen verlassen Irland und kämpfen gegen die Wohnungskrise. | © Adobe Stock/Lucky Ev
In Irland spitzt sich der Mangel an leistbarem Wohnraum zu. Jungen Menschen bleibt oft nichts übrig als abzuwandern. Gewerkschaften kämpfen daher für ein Recht auf Wohnen.

Die Republik Irland wurde innerhalb der EU wirtschaftlich lange als neoliberale Erfolgsgeschichte betrachtet.  In den 1990er-Jahren wandelte sich Irland von einem Land mit hoher Arbeitslosigkeit zum sogenannten „Celtic Tiger“ – das Land wuchs wirtschaftlich rasant, getragen von ausländischen Investitionen und niedrigen Unternehmenssteuern. Dieses Modell gilt in der EU und in der Forschung bis heute als Beispiel für neoliberale Wirtschaftspolitik – bewundert von manchen, kritisch gesehen von anderen.

Während es dort heute zwar so gut wie keine Arbeitslosigkeit gibt, ist die Wohnungskrise dafür enorm, die Arbeitsbedingungen sind prekär und viele Unternehmen gewerkschaftsfeindlich eingestellt. Junge Menschen sehen häufig keine Zukunft und die Abwanderung hat den höchsten Stand seit 2015 erreicht . 2024 sind netto etwa 25.000 Iren ausgewandert, vor allem 20- bis 34-Jährige.Wie gehen Gewerkschaften damit um? Niall Shanahan, Kommunikationschef  von Forsa, der zweitgrößten Gewerkschaft in Irland, gibt im Interview Einblick.

Arbeit&Wirtschaft: Was sind aktuell die größten Herausforderungen für junge Menschen und Gewerkschaften in Irland?

Niall Shanahan: Die größte Herausforderung ist das Wohnen. Nahezu alle Teile der Gesellschaft – mit Ausnahme der sehr Wohlhabenden – haben Schwierigkeiten, ein leistbares Zuhause zu finden, vor allem im städtischen Bereich ist es kaum möglich.  Wer ohne Erbe oder finanzielle Unterstützung aus der Familie ein Eigenheim kaufen möchte, hat so gut wie keine Chance. Der Staat hat vor etwa dreißig Jahren aufgehört, selbst Wohnungen zu bauen, und sich weitgehend aus dem sozialen Wohnbau zurückgezogen. Das Ergebnis: ein massiver Mangel an Wohnraum und stetig steigende Preise.

Was bedeutet das für das Leben junger Menschen?

Ihre Zukunft ist unsicher. In Dublin leben viele 30-Jährige noch bei ihren Eltern in den Randbezirken, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können. Auch wenn es Vollbeschäftigung gibt – die Arbeitslosigkeit liegt nur bei rund drei Prozent – bleibt die Frage offen: Wofür arbeite ich eigentlich, wenn ich mir keine Sicherheit aufbauen kann? Arbeitsrechte, Mindestlohn und Einkommen haben sich in den letzten 20 Jahren zwar verbessert, doch ein stabiles, abgesichertes Leben bleibt für viele unerreichbar. Deshalb machen Gewerkschaften das Thema Wohnen zu einem Schwerpunkt. Unter anderem gibt es eine gemeinsame Kampagne mehrerer Gewerkschaften unter dem Titel „A Roof is a Right“. Sie fordern massive öffentliche Investitionen in den Wohnbau.

Jungen Menschen wird gesellschaftlich und von älteren Generationen oft eingeredet, sie seien das Problem – weil sie zu viel Geld  ausgäben und nicht arbeiten wollten. Was ist dran an dieser Aussage?

Dieses Narrativ hält in der Realität nicht stand. Eine ganze Generation wurde von dem Wohnungsmarkt ausgeschlossen. Kommentare, die jungen Menschen Faulheit oder „quiet quitting“  (Anm. d. Redaktion: Das Verhalten von Menschen, die bewusst nur noch die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung erbringen – ohne darüber hinausgehendes Engagement oder unbezahlte Mehrarbeit) unterstellen, oder zynisch behaupten, sie könnten sich keine Wohnung leisten, weil sie zu viel Kaffee trinken oder Avocados essen, sind abwertend und falsch. Inzwischen wissen wir: Das Problem liegt bei einem dysfunktionalen Markt, nicht bei der Jugend.

Kommentare, die jungen Menschen Faulheit oder „quiet quitting“ unterstellen, oder zynisch behaupten, sie könnten sich keine Wohnung leisten, weil sie zu viel Kaffee trinken
oder Avocados essen, sind abwertend und falsch. 

Niall Shanahan, Irische Gewerkschaft Forsa

Fehlen auch Fachkräfte, um den Wohnbau voranzutreiben?

Ja. Über Jahre wurden zu viele junge Menschen an die Universitäten gedrängt – oft unabhängig davon, ob das zu ihnen passte. Gleichzeitig setzte man lange auf Fachkräfte aus dem EU-Ausland, zum Beispiel aus Polen. Als sich dort die wirtschaftliche Lage verbesserte, kehrten viele dorthin zurück. Heute fehlen in Irland Bauarbeiter:innen, um den dringend benötigten Wohnbau umzusetzen. Wir hinken beim Tempo des Bauens deutlich hinterher.

Gibt es deshalb heute mehr Wertschätzung für Handwerksberufe?

Es gibt ein neues Bewusstsein dafür, welche Berufe eine sichere Zukunft bieten. Doch das Grundproblem ist größer: Selbst Lehrer:innen, Polizist:innen oder Pflegekräfte finden in Dublin kaum mehr eine Wohnung. Viele beginnen ihre Karriere in der Hauptstadt, ziehen dann aber zurück in ihre Heimatregion, wo das Leben günstiger ist und all diese essenziellen Berufe fehlen in den großen Städten.

Irland gilt aufgrund seiner internationalen Firmenstruktur  als neoliberale Erfolgsgeschichte. Was bedeutet das für die Arbeitsbedingungen?

Seit rund 30 Jahren siedeln sich große internationale Unternehmen aus den Bereichen Pharma, Technologie und Finanztechnologie in Irland an. Diese Firmen sind in der Regel gewerkschaftsfeindlich. Die Gewerkschaftsdichte in ihren Betrieben ist sehr gering. Gewerkschaftliche Vertretung konnte sich dort kaum etablieren, weil Investor:innen sie wegen ihrer Arbeitsrechtlichen Forderungen als Belastung  ablehnten.

Ein prominenter Fall war die Fluglinie Ryanair: Die Airline verweigerte lange jede Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft IMPACT, die zuständig für den Flugverkehr ist.  Im Jahr 2008 verlor IMPACT vor dem Obersten Gerichtshof, die bestätigten, dass Ryanair keinerlei Pflicht hätte, Kollektivverträge mit der Gewerkschaft als Tarifpartner zu verhandeln. Erst  als Ryanair zehn Jahre später einen Pilot:innenmangel hatte, erkannte sie Gewerkschaften europaweit an und begann auch in Irland mit diesen zu verhandeln. Heute gibt es Kollektivverträge – ein Durchbruch. Die EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne soll auch die Kollektivverhandlungen in den Mitgliedsstaaten stärken – doch in Irland liegt ihre Umsetzung derzeit auf Eis. Arbeitgeberverbände üben massiven Druck auf die Regierung aus, während Gewerkschaften auf eine rasche Umsetzung drängen.

“We are being discriminated against.”

The #PensionParity strike is not just about secretaries & caretakers getting the pensions they deserve.

There are also so many people who have deeply suffered because of the lack of bereavement & sick leave

It has to change!

www.echolive.ie/corknews/ari…

[image or embed]

— Fórsa trade union (@forsatradeunion.bsky.social) 13. August 2025 um 16:02

Sind Gewerkschaften für junge Menschen in Irland interessant?

Eine Studie der Universität Dublin zeigt: Es gibt ein großes Interesse junger Menschen an Gewerkschaften und Mitbestimmung, doch oft keine Möglichkeit, im Betrieb tatsächlich aktiv zu werden. Viele arbeiten an Orten ohne oder mit nur schwacher gewerkschaftlicher Präsenz. Mit dem Programm „Organizing for Power“ wollen Gewerkschaften gemeinsam genau diese Generation erreichen und Strukturen schaffen, die Engagement ermöglichen.  Wir sprechen darin junge Menschen in Unternehmen an und thematisieren die allgemeinen Schwierigkeiten, mit denen junge Menschen in ihrem Arbeitsleben konfrontiert sind: unsichere Zukunftsaussichten, fehlende Absicherung und oft auch eingeschränkte Möglichkeiten, ihre Interessen überhaupt zu vertreten.

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Recherchereise des Projekts „eurotours“, die aus Bundesmitteln finanziert wurde.

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Über den/die Autor:in

Sandra Gloning

Sandra Gloning ist freie Online- und Print-Journalistin in Wien mit einem breiten Themenfeld rund um Frauen, Lifestyle und Minderheiten und dem Ziel, Geschichten aus dem echten Leben zu erzählen.

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