Interview: Zugänglichkeit für alle Menschen

Fotos (C) Markus Zahradnik

Inhalt

  1. Seite 1 - Öffentliche Investitionen zur Lebensqualität
  2. Seite 2 - Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Klimawandel
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Klemens Himpele, Leiter der Abteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien, über die Bedeutung öffentlicher Investitionen für die Lebensqualität von Menschen und Herausforderungen von heute und morgen.

Zur Person
Klemens Himpele Volkswirt
Wenn es um Zahlen geht, ist man bei dem 42-Jährigen an der richtigen Adresse: Seit 2012 ist Klemens Himpele Leiter der Abteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik (MA 23) der Stadt Wien. Davor war er in der Bildungsforschung, für die Statistik Austria und für die deutsche Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft tätig.

Wien wurde 2019 zum zehnten Mal in Folge im Rahmen der Mercer-Studie zur Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität gekürt. Welche Faktoren tragen dazu bei?

Diese Studien beziehen relativ viele Faktoren zur Bewertung einer Stadt ein. Insgesamt kann man sagen, dass Wien einfach funktioniert. Es funktioniert für all die Menschen, die ihre Wege durch die Stadt, die ihr tägliches Leben bewältigen müssen und dabei auf die Dienstleistungen und die Infrastruktur der Stadtverwaltung angewiesen sind. Da kann Wien wirklich punkten. Dazu kommt natürlich das imperiale Erbe. Die Stadt ist schön, und wir haben darüber hinaus die Menschen, die aus diesen Rahmenbedingungen das Beste machen. All das führt zu dieser hohen Lebensqualität, die Wien wirklich unbestritten hat.

Inwiefern tragen öffentliche Investitionen zur Lebensqualität bei?

Die öffentlichen Investitionen in Infrastruktur sind zentral. Das ist der Hebel, den Städte haben, um die Lebensqualität ihrer Bevölkerung zu gestalten. Da finden wir in Wien einerseits ein gutes historisches Erbe, auf dem wir aufbauen können. Wir haben Infrastrukturinvestitionen, die zurückgehen ins 19. Jahrhundert, von denen wir heute profitieren. Genannt sei die Hochquellenleitung, die 1873 eröffnet worden ist.

Dann gibt es die Investitionen aus der Zeit des Roten Wien – mit allen Konzepten, die seinerzeit dahinterlagen; sprich: die Frage der Bildung, der Kinderbetreuung, der öffentlichen Gesundheitsversorgung, der Hygiene, des Wohnbaus. Auch heute werden jede Menge Investitionen in die Infrastruktur getätigt, einerseits in die Bestandserhaltung, aber natürlich auch zum Beispiel in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Der Wohnbau spielt ebenfalls eine große Rolle.

Wie hoch ist das Budget der Stadt und wie viel wird davon für Investitionen ausgegeben?

Die Stadt Wien hat ein Budget von knapp über 16 Milliarden Euro für das Jahr 2020 veranschlagt. Davon sind 2,5 Milliarden Euro Investitionsausgaben.

Gerade das Thema leistbares Wohnen brennt vielen unter den Nägeln. Was tut die Stadt Wien hier?

Beim Thema Wohnen ist der Druck auf Städte in Europa enorm. Das hat vor allem mit der Urbanisierung zu tun. Menschen ziehen vom Land in die Städte, und das führt dazu, dass die Städte wachsen. Dieses Phänomen haben wir auch in Wien beobachten können. Das führt dazu, dass mehr Wohnungen benötigt werden. Der entscheidende Punkt ist, dass es Wien gelungen ist, die Bautätigkeit im privaten und öffentlichen Sektor nach oben zu fahren. Wien hat diese Kompetenzen nie vollständig aus der Hand gegeben, sondern den Gemeindebau, die Tradition des Roten Wien, immer fortgeschrieben.

Den Fehler, den deutsche Städte gemacht haben, den öffentlichen Wohnbau zu privatisieren, hat Wien nicht begangen, die Stadt hat daher weiter die Handlungshoheit.

Den Fehler, den deutsche Städte gemacht haben, den öffentlichen Wohnbau zu privatisieren, hat Wien nicht begangen, die Stadt hat daher weiter die Handlungshoheit. Deshalb gelingt es, sowohl hohe Qualität sicherzustellen als auch ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu haben.

Wien hat heute rund 200.000 EinwohnerInnen mehr als noch vor zehn Jahren. Da braucht es mehr Schulen, mehr ÄrztInnen. Wie kann man hier zeitnah entsprechend planen?

Wir machen alle vier bis fünf Jahre eine kleinräumige Bevölkerungsprognose, um die Trends ablesen zu können. Und was man sieht, ist, dass wir in den vergangenen Jahren ein enormes Bevölkerungswachstum hatten. Dieses war vor allem getrieben durch die Außenwanderung, aber auch durch einen Geburtenüberschuss. Wir sehen aber jetzt, dass diese Dynamik in den letzten eineinhalb, zwei Jahren deutlich abgenommen hat.

Diese Prognosen nützen wir, um dann die Fachabteilungen zu informieren – sie bekommen dann zum Beispiel die Information: In folgenden Stadtgebieten gehen wir von Zuwächsen bei Kindern aus. Weil es ja nicht hilft zu sagen: In ganz Wien gibt es soundso viele Kinder mehr. Die Zuständigen müssen ja auch wissen, wo diese Kinder leben und wo man entsprechend Kindergarten- und Schulplätze braucht.

Es gibt aber auch noch andere Arten von Infrastruktur. Wien hat etwa über 1.700 Spielplätze und fast 1.000 Parks. Inwieweit trägt kostenlos nutzbarer öffentlicher Raum zur Lebensqualität, aber auch zur Sicherheit einer Stadt bei?

Was Sie ansprechen, ist die Frage: Was ist eigentlich Wohlstand? Und wie misst man ihn? Wir sind es gewohnt, Wohlstand über das Bruttoinlandsprodukt oder im Fall von Wien das Bruttoregionalprodukt zu messen. Das ist eine wichtige Kenngröße, weil sie Dienstleistungen und Warenproduktion in einem Jahr misst, aber nicht mehr.

Natürlich ist die Frage der Zugänglichkeit zu bestimmten Plätzen oder Infrastrukturen ein entscheidender Maßstab für Lebensqualität. Man kann das Beispiel fortführen: In Wien sind die öffentlichen Gewässer fast überall frei zugänglich, sei es die Alte Donau oder die Donau selbst. Auch das ist Lebensqualität: Es wurde nicht privatisiert, sondern öffentlich zugänglich gehalten.

Dass Wien nicht nur mehr Wohnungen und EinwohnerInnen hat als vor zehn, 15 Jahren, sondern auch mehr Parks, zeigt: Diese Dinge werden in der Planung mitgedacht. Dieses Grundbekenntnis, das die Stadt Wien seit mindestens 1919, seit Beginn des Roten Wien, immer verfolgt hat, ist es, die Zugänglichkeit zu Infrastruktur für alle Menschen zu gewährleisten.

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Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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