Interview: Umverteilung nach oben

Inhalt

  1. Seite 1 - Arbeitszeitverkürzung statt längere Arbeitszeiten
  2. Seite 2 - Arbeitszeit ist auch immer eine Verteilungsfrage
  3. Seite 3 - Österreich hat kein starres Arbeitszeitgesetz
  4. Seite 4 - Die Digitalisierung verändert nichts, sondern die Akteure
  5. Auf einer Seite lesen >
Soziologe Jörg Flecker über Arbeitszeitverkürzung als Verteilungskampf, das schwierige Wort Flexibilisierung und die Arbeitszeitwünsche der Menschen.

Aber ist es wirklich ein Verlust, wenn Menschen nicht mehr an der Kasse sitzen müssen?

Na ja, es ist ein großer Verlust, wenn die Person stattdessen arbeitslos ist und Arbeitslosigkeit in der Gesellschaft stigmatisiert ist, mit zu wenig Geld und mit zu viel Zeit einhergeht. Wenn man in der Zeit was Sinnvolles tun kann, genug Geld zur Verfügung hat und gesellschaftlich anerkannt ist, schaut es anders aus. Aber das ist nicht der Fall. Damit ist für die meisten ein entfremdeter Arbeitsplatz an der Kasse im Supermarkt besser als keiner. Das ist das Problem. Dieser Arbeitsplatz müsste ja auch nicht so ausschauen wie jetzt, er könnte menschenwürdiger sein.

Auch im Zusammenhang mit Industrie 4.0 und Digitalisierung heißt es dann: Der Mensch wird frei für kreative Tätigkeiten. Das hat es vor 50 Jahren auch schon geheißen. Aber das ist nicht Sinn und Zweck der Übung. Sinn und Zweck der Übung ist es, Kosten einzusparen, und nicht die Arbeit zu humanisieren. Das wäre eigentlich eine Forderung der Gewerkschaften.

Der Punkt ist immer, dass alle diese Themen – die Arbeitszeit, die Arbeitsgestaltung – umkämpft sind, seit es den Kapitalismus gibt. Und der Ausgang ist immer ein Ergebnis von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, von Kämpfen. Insofern ist die Frage, wie Digitalisierung die Arbeit verändert, falsch gestellt. Die Digitalisierung verändert einmal gar nichts, sondern da gibt es Akteure, die Entscheidungen über den Einsatz von Technik treffen, über ihre Gestaltung und Entwicklung. Das sind in Wirklichkeit hochpolitische Entscheidungen.

Und diese haben entsprechende Folgen, die auch dadurch beeinflusst werden, was die Wirtschaftsseite durchsetzt und was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchsetzen, einzeln oder gemeinsam. In der politischen Situation in Österreich im Moment habe ich den Eindruck, dass da etwas wenig von den Gewerkschaften und Arbeiterkammern zu hören und zu spüren ist.

Ist Arbeitslosigkeit wirklich die Hängematte, als die sie oft dargestellt wird?

Das ist völlig absurd. Die Arbeitslosigkeit entsteht ja nicht dadurch, dass Leute nicht arbeiten wollen, sondern dass es zu wenige Arbeitsplätze gibt. Bei steigender Arbeitslosigkeit haben wir immer die Diskussion gehabt, dass die Leute nicht arbeiten wollen. Das dient wohl auch dazu, diesen gesellschaftlichen Skandal der Arbeitslosigkeit zu verdecken. Jetzt hat man diese Diskussion bei sinkender Arbeitslosigkeit noch dazu.

Ich habe das Gefühl, dass die Politik der jetzigen Regierung generell in die Richtung geht, Public Relations zu betreiben und nicht Politik zu machen. Dafür werden dann auch Maßnahmen gesetzt, die Probleme suggerieren. Zum Beispiel werden Maßnahmen gesetzt, die sich gegen Arbeitslose richten, um zu suggerieren, dass die Arbeitslosen ein Problem wären. Dabei ist der Druck schon in den letzten 10, 15 Jahren erhöht worden. Jetzt wird noch einmal Druck gemacht, um primär Stimmung zu machen.

Das bringt für die Gesellschaft keinen Vorteil. Insgesamt wäre es günstiger, wenn sich die Arbeitslosen besser aussuchen könnten, welche Arbeit sie annehmen. Das wäre volkswirtschaftlich sinnvoller, weil eher die richtigen Leute auf den richtigen Arbeitsplatz kommen und die Qualifikationen genutzt werden. Durch mehr Druck werden Qualifikationen mutwillig zerstört, weil man die Leute auf Arbeitsplätze setzt, wo ihr Wissen und ihre Erfahrungen nicht gefragt sind. Damit geht das Wissen aber auch verloren.

Das Interview führte
Sonja Fercher

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/18.

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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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