Interview: Mitbestimmen und etwas verändern wollen

Susanne Hofer, Die 25-jährige Susanne Hofer ist die erste weibliche Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend und damit der größten politischen Jugendorganisation Österreichs mit 140.000 Mitgliedern. Nach Barbara Teiber als GPA-djp-Vorsitzende und Renate Anderl als AK-Präsidentin ist das die dritte gewerkschaftliche Spitzenposition, die von einer Frau bekleidet wird. Die Grazerin ist Betriebsrätin bei der Lebenshilfe, kommt aus dem Bereich der Behindertenbetreuung und ist außerdem Funktionärin in der GPA-djp. Am 30. November 2019 wurde sie am 36. ÖGB-Bundesjugendkongress von 85,9 Prozent der Delegierten zur ÖGJ-Vorsitzenden gewählt.
Fotos (C) Markus Zahradnik

Inhalt

  1. Seite 1 - Mitbestimmung von Anfang an
  2. Seite 2 - Neue Bewegungen, klassische Medien
  3. Seite 3 - Populismus überwinden
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Susanne Hofer ist die erste weibliche Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend. Demokratie ist für sie mehr, als zu einer Wahl zu gehen. Als politikverdrossen nimmt sie ihre AltersgenossInnen nicht wahr. Das Schlimmste, was Politik machen könne, sei, junge Menschen daran zu hindern, wenn sie sagen, sie wollen mitbestimmen.

Arbeit&Wirtschaft: Was bedeutet Demokratie für dich, und was bedeutet sie deiner Meinung nach für Jugendliche?

Susanne Hofer: Für mich persönlich bedeutet Demokratie, dass man mitbestimmt, aber auch die Möglichkeiten dazu hat. Denn um mitbestimmen zu können, muss man informiert sein, man muss eine gewisse Bildung genossen haben und sich eines Themas annehmen. Ich glaube, dass ganz viele Jugendliche das Thema Demokratie als schwierig ansehen.

Demokratie heißt auch, dass man sich auskennt und dass man über Geschehnisse in seinem Umfeld Bescheid weiß.

Grundsätzlich bedeutet diese „Demokratie-Sache“ für viele einfach: „Ich geh’ zu einer Wahl, ich geh’ wählen.“ Aber Demokratie ist viel mehr. Demokratie heißt auch, dass man sich auskennt und dass man über Geschehnisse in seinem Umfeld Bescheid weiß. Es heißt aber auch, mal Nein zu gewissen Dingen zu sagen, wenn man bemerkt, dass die nicht im Interesse der Lehrlinge sind. So wie das zum Beispiel bei der geplanten Abschaffung des Jugendvertrauensrats war. Und Demokratie heißt auch, dass man sich zum Beispiel für eine bessere Lehrlingsentschädigung einsetzt. Demokratie heißt: mitbestimmen auf ganz vielen Ebenen unserer Gesellschaft.

Was brauchen Jugendliche, um besser mitbestimmen zu können?

Man sollte sie auf jeden Fall in Entscheidungen einbinden. Schon in der Volksschule sollte man versuchen, junge Menschen reflektieren zu lassen. Bildung darf nicht wie durch einen Trichter einfach in den Kopf fließen, egal bei wem. Man sollte immer darauf schauen, dass man versteht, was man lernt, und dass man umsetzen kann, was man lernt. Wenn junge Menschen sagen, sie wollen mitbestimmen, ist es das Schlimmste, sie daran zu hindern. Das passiert in unserer Gesellschaft noch viel zu oft.

Wenn junge Menschen sagen, sie wollen mitbestimmen, ist es das Schlimmste, sie daran zu hindern. Das passiert in unserer Gesellschaft noch viel zu oft.

Das beste Beispiel dafür ist „Fridays for Future“. Da hat sich eine Bewegung von unten heraus gebildet, junge Menschen haben sich zusammengetan, um für eine Sache einzustehen, sie wurden politisch aktiv. Aber weil sie dadurch in der Schule gefehlt haben, wurde daraus was Schlimmes für die Republik. Sogar Bundesminister und Bundesministerinnen haben gesagt, dass es nicht in Ordnung sei, dass die Leute am Freitag nicht in die Schule gehen. Aber genau das ist Demokratie, dass man mitbestimmen will, dass man etwas verändern will und dass man auch sagt: Hey, es muss jetzt etwas getan werden.

Jugendlichen im Allgemeinen wird oftmals vorgehalten, sie seien nicht an Demokratie und deren Prozessen interessiert. Wie erlebst du das?

Das ist eine Augenauswischerei. Eine Ausrede von Politikern und Politikerinnen, die nichts auf die Meinung Jugendlicher geben oder denen es zu anstrengend ist, sich diesem Diskurs hinzugeben. Es bräuchte noch viel mehr. Einen Diskurs zum Beispiel, um gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Aber das ist natürlich Arbeit. Dazu braucht es natürlich viel mehr Bildung, Informationen und dann die Zeit und den Rahmen, darüber zu sprechen. Bei unserer Kampagne „JVR bleibt!“ haben viele Lehrlinge bewiesen, dass ihnen Mitbestimmung etwas wert ist.

Was bringt es einem 16-jährigen Lehrling, sich als Jugendvertrauensrat im Betrieb zu engagieren?

Ganz viel! Auf der einen Seite steckt da extrem viel persönliche Entwicklung drin. Mit der Aufgabe als Jugendvertrauensrat im Betrieb kann jeder und jede an sich selbst wachsen. Für jemanden da zu sein, auf jemanden zu schauen ist eine besondere Aufgabe, bei der man Verantwortung übernehmen und gleichzeitig mitbestimmen kann. Das sind Erfahrungen, die einen prägen. Andererseits glaube ich auch, dass man innerhalb des Betriebs Anerkennung bekommt. Als Jugendvertrauensrat hat man die Möglichkeit, den Betrieb ganz anders kennenzulernen. Junge Leute können in eine Führungsrolle schlüpfen und lernen, sich für eine Sache einzusetzen, Nein zu sagen und was es heißt, sich zu organisieren und sich für ein Thema starkzumachen.

Mit der Aufgabe als Jugendvertrauensrat im Betrieb kann jeder und jede an sich selbst wachsen. Für jemanden da zu sein, auf jemanden zu schauen ist eine besondere Aufgabe, bei der man Verantwortung übernehmen und gleichzeitig mitbestimmen kann.

Vor allem aber sind Jugendvertrauensräte für andere Lehrlinge und junge ArbeitnehmerInnen wichtig. Sie müssen auch oft zurückstecken und die eigenen Bedürfnisse zurückschrauben. Immerhin setzen sie sich ja für andere ein. Sie kümmern sich darum, dass es anderen gut geht, und achten darauf, dass die Rechte von anderen eingehalten werden. Wenn sie etwas umgesetzt oder geschafft haben, ist das ein extremes Erfolgserlebnis für sie.

Wir versuchen, mit den Betriebsratsmitgliedern zu kommunizieren und ihnen zu sagen: Es ist ihr Job, die Jungen zu ermutigen. – Susanne Hofer

Du hast gesagt, dass es, um mitbestimmen zu können, auch Bildung braucht. Wie kommen Jugendvertrauensräte zu dieser Bildung?

Jugendvertrauensräte können an Bildungsseminaren der Gewerkschaften und des ÖGB teilnehmen, damit sie anderen helfen können. Bildung und Demokratie hängen ja unmittelbar miteinander zusammen. Auch Austausch und das Vernetzen mit anderen jungen Menschen, die sie dort kennenlernen, ist für ihre Arbeit von großer Bedeutung. Sie haben dadurch Kontakte in ganz Österreich und können sich bei schwierigen Problemen gegenseitig unterstützen. Das ist etwas Besonderes, das sie ohne die Funktion des Jugendvertrauensrats nicht hätten.

Haben viele Jugendliche auf der anderen Seite nicht das Gefühl, nicht gehört zu werden?

Ich glaube, dass es hier mehr Entwicklung braucht. Wir versuchen, mit den Betriebsratsmitgliedern zu kommunizieren und ihnen zu sagen: Es ist ihr Job, die Jungen zu ermutigen. Gerade wenn man jung ist, ist es für viele auch eine Überwindung, die eigene Meinung zu sagen und für seine Überzeugung einzustehen. Da braucht es auch mehr Information und Ermutigung von unserer Seite.

Wir wollen, dass Bewegungen wie „Fridays for Future“, all die jungen Menschen auch bei uns andocken können und sagen können, wie sie die Arbeits­welt grüner gestalten wollen.

Wir versuchen daher unsere Jugendvertrauens-Konferenzen noch größer zu machen. Wir versuchen neue Konzepte zu entwickeln, wie Lehrlinge auch in der Österreichischen Gewerkschaftsjugend besser mitbestimmen können. Und ich glaube, das braucht es im ganzen ÖGB. Wir wollen, dass Bewegungen wie „Fridays for Future“, all die jungen Menschen auch bei uns andocken können und sagen können, wie sie die Arbeits­welt grüner gestalten wollen. Da braucht es Strategien und Aktionen, damit wir da besser werden.

„Fridays for Future“ oder auch #MeToo zeigen, dass sich Bewegungen von unten herausbilden. Können da Organisationen wie die ÖGJ, die doch mit eher klassischen Strukturen arbeitet, junge Menschen zum Mitmachen begeistern?

Der erste Schritt ist herauszufinden, was die Leute brauchen und was sie wollen. Es geht darum, was man anbietet. Und da versuchen wir, nicht von oben vorzugeben, was Sache ist, sondern unten bei der Basis zu fragen. Wir haben im Juli und August eine Sommertour gemacht, wo ich bei Lehrlingen in ganz Österreich war und sie gefragt habe, was sie berührt. Ganz viele haben mit mir über Mobilität gesprochen. Viele haben davon gesprochen, dass sie sich ohnmächtig fühlen und nichts tun können.

Da geht es für uns genau darum, dass wir diese Themen, die den Lehrlingen wichtig sind und die sie uns mitteilen, in Angriff nehmen. Und andererseits ihnen die Möglichkeit geben – auf eine ganz einfache Weise zum Beispiel über Instagram –, sich zu informieren, zu partizipieren und mit uns gemeinsam eine Aktion zu gestalten.

Klassische Medien wie der öffentliche Rundfunk stellen die vierte Säule der Demokratie dar. Jetzt ist es so, dass viele junge Menschen diese klassischen Medien gar nicht mehr konsumieren. Fehlt da nicht etwas?

Ich glaube, es geht genau darum, dass es kein Entweder-oder ist. Wenn man nur Social Media konsumiert, ist das okay, das ist einfach unsere digitalisierte Welt. Es geht darum, dass alle, egal ob Jung oder Alt, reflektieren und wissen: Ich muss das, was ich gerade konsumiert habe, reflektieren. Und ich muss nachschauen, ob es woanders vielleicht anders steht.

Es geht darum, dass alle, egal ob Jung oder Alt, reflektieren und wissen: Ich muss das, was ich gerade konsumiert habe, reflektieren. Und ich muss nachschauen, ob es woanders vielleicht anders steht.

Ich glaube, das hat gar nicht so viel zu tun mit Print oder Online. Ich glaube vor allem, dass der ORF da schon sehr weit ist und viel macht. Die versuchen auch mit Instagram neue Kanäle aufzuziehen. Es ist unser Job, diese Informationen aufzunehmen und diese Infos über Social Media zu spielen. Aber es braucht beides: den kurzen Weg, wo sich Leute schnell informieren können; und es braucht auch diese klassischen Medien, wo ich mich tiefgründiger informieren kann, wenn mich etwas beschäftigt oder berührt hat. Etwas, wo ich Hintergrund-Infos finden und konsumieren kann.

Bei Politik geht es ganz oft um die kleine Ebene, nicht nur um die „große Politik“.

Was entgegnest du jemandem, der sagt: „Es bringt eh nichts, sich zu engagieren oder mitzubestimmen, die Politik macht ohnehin, was sie will“?

Am besten funktioniert das mit Positivbeispielen wie mit unserer „JVR bleibt!“-Kampagne oder mit unserer „Internatskosten weg!“-Kampagne. Wir waren einfach stark, haben uns eingemischt, haben zusammengehalten, haben versucht, alle Bereiche in unserer Gesellschaft darüber zu informieren, warum unsere Anliegen wichtig sind, und haben damit einen Einfluss auf die Politik genommen. Politik heißt ja nicht nur, die Bundesminister oder den Bundeskanzler von etwas zu überzeugen, sondern da geht es ganz oft um die kleine Ebene – etwa mit dem Bürgermeister in dem Dorf oder in der Stadt, in der man wohnt, zu reden. Oder eine andere Jugendorganisation, die Landjugend zum Beispiel, mitzunehmen und davon zu überzeugen, dass es wichtig ist, dass wir Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen stark sind und unsere Rechte eingehalten werden müssen. Wir müssen unsere Erfolge viel mehr verbreiten.

Ist das nicht die Aufgabe von PolitikerInnen?

Man muss immer wieder darauf hinweisen, dass sich in der Vergangenheit nichts bewegt hätte, wenn sich nicht auch „normale“ Leute aufgerafft und engagiert hätten. Es braucht die Zivilgesellschaft, es braucht einfach Leute, die sich für ein gutes Miteinander und eine gerechte Gesellschaft einsetzen.

Es braucht die Zivilgesellschaft, es braucht einfach Leute, die sich für ein gutes Miteinander und eine gerechte Gesellschaft einsetzen.

Das heißt auch, darauf zu schauen, dass es nicht zu dem Punkt kommt, wo es kippt, wo irgendwer oder eine kleine Gruppe einen großen Nachteil hat – wo Minderheiten als Sündenböcke dienen, wo jemand leidet, wo Hetze passiert und Hass die Politik dominiert. Dem müssen wir entgegenwirken und aus der Geschichte lernen, damit es nicht eskaliert.

Populismus ist auf dem Vormarsch. Nicht nur in den USA, auch in Europa und Österreich. Was kann hier die Antwort sein? Wie dem entgegenwirken?

Ich glaube, dass das ein großer Auftrag an die Bildung ist. Die Schule muss hier mitwirken, und Politik muss auch in der Schule interessant gestaltet werden. Auch hier geht es wieder um das Reflektieren, klarzumachen: PolitikerInnen wollen nicht immer das Beste für einen und schon gar nicht für alle. Da braucht es Aufklärung.

PolitikerInnen wollen nicht immer das Beste für einen und schon gar nicht für alle.

Es geht darum, dass man informiert ist, dass einem bewusst ist, dass Populismus passiert. Ich glaube, vielen ist das nicht klar und viele wollen auch wieder von einer starken Persönlichkeit, einem starken Bundeskanzler, geführt werden. Da muss man schon im Auge haben: Setzt sich diese Person auch für meine Interessen ein oder nicht? Nur weil am Plakat steht: „Es ist Zeit für Neues“, heißt das nicht, dass „Neues“ etwas Gutes ist, dass „Neues“ etwas Gutes für den Großteil der Gesellschaft ist.

Warum hast du als Vorsitzende der größten Jugendgewerkschaft kandidiert?

Die Gewerkschaftsjugend hat schon so viel erreicht. Vor allem in Zeiten, in denen wir wieder vor einer Regierung stehen, die mit sehr viel Populismus arbeiten wird, braucht es uns, braucht es eine starke Stimme der jungen ArbeitnehmerInnen. Wir müssen stärker werden, müssen junge Menschen überzeugen, sich zu engagieren. Wir müssen jungen Menschen das Werkzeug in die Hand geben, unterscheiden zu können, was gut und was nicht gut für sie ist. Wir sind das Verbindende der ArbeitnehmerInnen, und ich will den jungen Leuten den Stolz zurückgeben und ihnen zeigen, dass arbeiten zu gehen etwas Gutes und nichts Schlechtes ist.

ich will den jungen Leuten den Stolz zurückgeben und ihnen zeigen, dass arbeiten zu gehen etwas Gutes und nichts Schlechtes ist.

Ich habe deshalb kandidiert, weil ich ArbeitnehmerInnen und Lehrlingen zeigen will, was Solidarität ist. Ich will ihnen zeigen: Wenn man zusammenhält, kann man was bewegen. Die Österreichische Gewerkschaftsjugend kann das gut. Wir bestehen aus vielen unterschiedlichen Menschen – KellnerInnen, FriseurInnen, Bürokaufleuten, MetallerInnen. Wir halten zusammen, weil wir etwas verändern wollen und weil wir wollen, dass sich in der Welt etwas bewegt. Das ist so etwa Schönes, und da will ich einfach mitgestalten. Ich will, dass wir noch viel stärker und lauter werden und dass viel mehr Leute von der Gewerkschaftsjugend erfahren. Das ist ein ganz kleines Ziel. (lacht)

Von
Barbara Kasper

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/19.

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