Sabine Köszegi im Interview: Wird automatisch alles gut?

Porträt Sabine Köszegi
„Es sollten keine Jobs entstehen, in denen wir nur mehr überwachen. Das funktioniert nicht“, so Sabine Köszegi. | © Markus Zahradnik

Inhalt

  1. Seite 1 - „Frauen werden stärker von der Automatisierung betroffen sein.”
  2. Seite 2 - „Junge, weiße Männer programmieren sich Spielzeuge.”
  3. Seite 3 - „Wir müssen als Gesellschaft eine Wertefrage lösen.”
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Der Einsatz künstlicher Intelligenz verändert die Arbeitswelt. Betroffen sind davon viele Jobs, die derzeit von Frauen ausgeübt werden, sagt Sabine Köszegi, Vorsitzende des Robotikrats, im Interview. Sie fordert, Arbeitnehmer:innen in den Prozess der Automatisierung einzubinden.
Im Jahr 2017 beschloss das Infrastrukturministerium, einen Rat für Robotik einzurichten. Dieser sollte Strategien entwickeln, um die Chancen der rasanten Entwicklung von Robotik und künstlicher Intelligenz bestmöglich zu nutzen. Unter der Leitung von Sabine Köszegi, Professorin für Arbeitswissenschaft und Organisation an der TU Wien, berät das achtköpfige Gremium das Ministerium, die Wirtschaft, Gewerkschaften und Betriebsräte, um die Transformation positiv zu gestalten. Sabine Köszegi forscht zudem seit vielen Jahren zu Geschlechterverhältnissen, Robotik und den ökonomischen Folgen der Digitalisierung. Im Interview mit Arbeit&Wirtschaft erläutert sie, wie künstliche Intelligenz Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt, warum partizipatives Design so wichtig ist und warum wir uns immer fragen sollten, welche Motivation hinter einer Technologie steckt. Wir sprechen mit Sabine Köszegi in ihrem Garten, ganz analog.

Zur Person
Sabine Theresia Köszegi, geb. 1970 in Wegscheid in Deutschland, ist Professorin für Arbeitswissenschaft und Organisation am Institut für Managementwissenschaften der TU Wien sowie Akademische Leiterin des Executive MBA Innovation, Digitalisierung und Entrepreneurship an der TU Academy for Continuing Education. Als Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste sowie in der Arbeitsgruppe „Future of Work“ des Europäischen Thinktanks Bruegel forscht und arbeitet sie an der Schnittstelle zwischen Technologie, Arbeit und Organisation. 2020 erhielt sie den österreichischen Käthe Leichter-Staatspreis für exzellente Genderforschung .

Arbeit&Wirtschaft: Künstliche Intelligenz (KI) ist nicht zuletzt seit dem Aufkommen von ChatGPT in aller Munde und hat auch Befürchtungen ausgelöst, dass Jobs durch den Einsatz von KI verloren gehen. Ist diese Sorge berechtigt?

Sabine Köszegi: Jein. Aufgaben, die gut strukturiert und planbar sind und die oft wiederholt werden müssen, können nun automatisiert werden. Es gibt kaum Jobs, die nicht solche Aufgaben beinhalten – manche mehr, manche weniger. Dabei passiert Automatisierung ja schon lange. Wir kennen sie aus der Industrialisierung, aber auch in Werkstätten, wo manuelle Aufgaben von Maschinen übernommen wurden. Neu bei KI ist nun, dass auch kognitive Aufgaben automatisiert werden können.

Welche Branchen und welche Tätigkeiten sind hier besonders betroffen?

Bankangestellte haben früher Überweisungen getätigt und Ein- und Auszahlungen durchgeführt. Das kann automatisiert werden. Es betrifft aber auch die Buchhaltung oder Standard-Steuerberatung, wo es mittlerweile schon Apps gibt. All das, wofür früher Sachbearbeiter:innen zuständig waren, wo beispielsweise Kund:innendaten eingegeben und bearbeitet und Datenbanken gewartet wurden, aber auch die typischen Sekretariatsarbeiten: Solche Tätigkeiten können nun auch automatisiert werden. Das Kuratieren von Daten wird zwar weiter ein wichtiger Job sein, aber mit ganz anderen Anforderungen. Ein Beispiel: die Wahlstimmenauszählungsautomaten in den USA. Stimmen auszuzählen an sich ist ja nicht schwer. Aber jetzt braucht es jemanden, der sich mit dieser Technologie auskennt. Wie stelle ich die Qualität sicher? Wie garantiere ich Cybersicherheit? So ein System kann gehackt werden. Plötzlich gibt es da ganz neue Herausforderungen, für die es dann aber eine ganz andere Qualifikation braucht.

Porträt Sabine Köszegi
Die Robotisierung und Automatisierung werde die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern verstärken, warnt Sabine Köszegi, Vorsitzende des Robotikrats. | © Markus Zahradnik

Aus der Gender-Perspektive bedeutet das auch: Jobs, die bisher eher Frauen ausführten, wie Daten manuell in den Computer einzugeben, lösen Tätigkeiten ab, die eher Männern ausüben, wie Programme zu entwickeln. Geht hier eine zusätzliche Schere zwischen den Geschlechtern auf?

Das ist tatsächlich so. Es gibt aktuelle Studien, die zeigen, dass – egal, in welche Branche Sie gehen und welche Jobs Sie sich ansehen – der Anteil an Routinetätigkeiten bei Frauen höher ist. Damit werden Frauen auch stärker von dieser Automatisierung betroffen sein. Und wenn Frauen nicht in die MINT-Ausbildung – also in Disziplinen wie Mathematik, Informationstechnologie, Naturwissenschaften und Technik – hineingehen, weil das nicht stereotyp zu ihrer Geschlechterrolle passt, dann sind sie eben aus diesen Berufen zum Teil ausgeschlossen. Ebenfalls interessant: Schaut man sich an, welche Auswirkungen Robotisierung und Automatisierung auf den Gender-Pay-Gap haben, zeigt sich, dass die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern dadurch steigt. Insgesamt geht sich das vielleicht mit den Jobs sogar aus, und es ist keine Massenarbeitslosigkeit zu befürchten, aber in die besseren Jobs kommen tendenziell eher die Männer, weil sie eben die entsprechenden Ausbildungen haben.

Über die MINT-Krise und darüber, dass technische und naturwissenschaftliche Fächer vor allem mehr Frauen nähergebracht werden müssen, reden wir als Gesellschaft schon seit Jahrzehnten. Die Anstrengungen, die unternommen werden, setzen allerdings oft zu spät, nämlich erst in den weiterführenden Schulen an. Bräuchte es hier Initiativen in Kindergärten und Volksschulen?

Ich würde noch früher ansetzen, nämlich bei der Verteilung unbezahlter Arbeit. Frauen leisten in Europa im Schnitt 2,4-mal mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Das heißt, in den Haushalten ist immer noch völlig klar, wer wofür zuständig ist. Der Kindergarten ist auch ganz wichtig, natürlich. Aber zu Hause gibt es immer noch oft eine sehr stereotype Rollenverteilung zwischen Eltern: Der Papi geht arbeiten, und die Mami ist zu Hause und ist für das Umsorgen, das Nähren, das Unterstützen zuständig. Frauen haben während der Zeit, in der sie diese Care-Arbeit leisten, keine Zeit, ihre Karriere zu entwickeln. Gleichzeitig lernen die Kinder ein ganz spezifisches Rollenbild. Der Teufelskreis der digitalen Ungleichheit beginnt also mit der ungleichen Aufteilung unbezahlter Arbeit.

Solche Prozesse dauern allerdings Jahrzehnte. Automatisierung durch KI ist aber jetzt schon Realität. Wie können Unternehmen ihre Beschäftigten bei der Transformation der Schreibtischjobs mitnehmen und einbinden?

Ich war Teil der High-Level-Expert:innen-Gruppe der EU, wo wir dazu Empfehlungen entwickelt haben. Genau das war eine der Empfehlungen: Arbeitnehmer:innen in den Prozess der Automatisierung einzubeziehen. Wie funktioniert das konkret? Tools werden auf das Unternehmen hin entwickelt oder für den Betrieb adaptiert. Was ein solches Tool kann, ist nicht gottgegeben, sondern eine Design-Entscheidung. Durch ein „Participatory Design“ können Arbeitnehmer:innen in diesen Prozess eingebunden werden, etwa indem man sich anschaut, welche Aspekte der Arbeit mühsam sind. Die Frage lautet also: Wie kreiere ich Arbeitsplätze, die für den Menschen spannend und nicht ermüdend sind und auch kreatives Verwirklichen zulassen.

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Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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