Interview: „Nichts ist gottgegeben. Wir GewerkschafterInnen wissen das am besten“

Inhalt

  1. Seite 1 - Die Europäische Arbeitsbehörde
  2. Seite 2 - Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping
  3. Seite 3 - Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA)
  4. Seite 4 - Gewerkschaftsbewegung auf europäischer Ebene
  5. Seite 5 - Hart erkämpft
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Im Interview erklärt Oliver Röpke, Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel, wie Lohn- und Sozialdumping in Europa beendet werden könnte, warum er eine EU-Vertragsänderung für eine gute Idee hält und was die Arbeit im EWSA mit den Angriffen auf Armin Wolf zu tun hat.

Oliver Röpke im Interview
„Man müsste dafür sorgen, dass in der Lobbyisten-Szene viel mehr reguliert wird, dass sie viel transparenter gemacht wird, um Chancengleichheit zwischen den verschiedenen Akteuren herzustellen.“

Du hast die Lobbyisten-Szene in Brüssel angesprochen. Wie viele Arbeitgeber- und wie viele Arbeitnehmer-Lobbyisten gibt es eigentlich in Brüssel?

Wir haben gemeinsam mit der Arbeiterkammer vor einigen Jahren Studien dazu in Auftrag gegeben und gehen heute davon aus, dass es in etwa 35.000 Lobbyisten in Brüssel gibt, vielleicht sogar deutlich mehr. Aber 35.000, die ständig hier sind. Und wir gehen davon aus, dass deutlich unter fünf Prozent dieser Lobbyisten Arbeitnehmerinteressen vertreten. Der Rest, über 95 Prozent, vertritt Wirtschaftsinteressen, Konzerninteressen, Finanzlobbys und so weiter. Es ist also extrem unausgewogen. Deswegen ist aus meiner Sicht der EWSA durchaus ein Gegenmodell zu diesem Brüsseler Lobbydschungel.

Was würde deiner Meinung nach passieren, wenn man von heute auf morgen alle GewerkschafterInnen aus Brüssel abziehen würde?

Dann würde die EU noch wirtschaftsfreundlicher werden. Dann würden alle Versuche, hier – zumindest langsam – ein soziales Gegengewicht aufzubauen, in sich zusammenfallen. Man würde das Feld damit gänzlich den Lobbyisten überlassen. Also, das wäre eine wahnsinnig schlechte Idee. Im Gegenteil: Man müsste dafür sorgen, dass in der Lobbyisten-Szene viel mehr reguliert wird, dass sie viel transparenter gemacht wird, um Chancengleichheit zwischen den verschiedenen Akteuren herzustellen.

Was waren in den letzten Jahren die größten Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung auf europäischer Ebene?

Die größten Errungenschaften sind eigentlich gewonnene Abwehrkämpfe. Der Kampf gegen die Dienstleistungsrichtlinie zum Beispiel. Diese sollte damals das Herkunftslandprinzip in Europa einführen. Nach diesem Prinzip hätten alle Unternehmen auf dem EU-Binnenmarkt nach den Regelungen und Vorschriften ihres jeweiligen Heimatlandes tätig werden können. Da hätte dann für ein Unternehmen aus dem Ausland in Österreich nicht mehr der österreichische Kollektivvertrag gegolten, auch keine österreichischen Verbrauchervorschriften und so weiter. Das wäre staatlich organisiertes Lohn-, Sozial- und Steuerdumping gewesen. Das haben wir als Gewerkschaften verhindern können.

Auch im Bereich der Arbeitszeit konnten wir Verschlechterungen abwehren. Bei der Arbeitszeitrichtlinie wurde versucht, die bestehenden sozialen Mindeststandards zu verschlechtern, anstatt sie nach oben heranzuführen. Und auf der positiven Seite würde ich durchaus die Soziale Säule als Leuchtturmprojekt hervorheben, wobei erst die Zukunft zeigen wird, ob die Säule wirklich umgesetzt wird und ob man dabei von einer großen Errungenschaft sprechen kann.

Kurz und Strache haben vorgeschlagen, den EU-Vertrag neu zu verhandeln. Was hältst du davon?

Von ihren konkreten Vorschlägen halte ich überhaupt nichts. Von der Idee, dass die Verträge geändert werden sollten, halte ich dagegen sehr viel – aber genau in die diametral entgegengesetzte Richtung. Wir als ÖGB haben da, gemeinsam mit allen europäischen Gewerkschaften, schon seit Jahren verschiedene Vorschläge. Vor allem muss bei einer EU-Vertragsänderung endlich korrigiert werden, dass soziale Grundrechte in der EU weniger gelten als wirtschaftliche Freiheiten. Wir haben kürzlich ein EuGH-Urteil gehabt, das einige Bestimmungen gegen Lohn- und Sozialdumping in Österreich aufgehoben hat. Da wurde gesagt, diese seien nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar. Man hat hier einfach den wirtschaftlichen Anliegen der Unternehmen Vorrang gegeben vor dem Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping. Und das ist inakzeptabel.

Vor allem muss bei einer EU-Vertragsänderung endlich korrigiert werden, dass soziale Grundrechte in der EU weniger gelten als wirtschaftliche Freiheiten.

Deshalb fordern wir, dass ein „soziales Fortschrittsprotokoll“ – ein sperriger Begriff – auf europäischer Ebene im Vertrag festgeschrieben wird. Das heißt: Soziale Grundrechte müssen im Zweifel Vorrang vor wirtschaftlichen Freiheiten haben. Der zweite Punkt wäre, endlich die Blockade gegen Steuerdumping zu durchbrechen, indem man auch bei Steuerfragen Mehrheitsentscheidungen treffen kann. Wenn wir die hätten, hätten wir vielleicht schon heute Mindeststeuersätze auf europäischer Ebene und könnten das Steuerdumping im Unternehmenssteuerbereich beenden. Und der dritte Bereich, in dem Änderungsbedarf wäre: dass man leichter Sanktionen gegen Mitgliedstaaten verhängen kann, die Freiheitsrechte oder Grundrechte wie Pressefreiheit, Meinungsfreiheit oder auch Gewerkschaftsrechte verletzen. Auch hier dürfte man nicht auf die Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten angewiesen sein. Konkret würde das bedeuten: Wer Freiheitsrechte einschränkt beziehungsweise nicht beachtet oder Gewerkschaftsrechte verletzt, der sollte keine Subventionen mehr bekommen.

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Über den/die Autor:in

Dietmar Meister

Dietmar Meister ist Chef vom Dienst in der Kommunikationsabteilung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Der gebürtige Südtiroler lebt seit 15 Jahren in Wien, wo er Journalismus und Politikwissenschaft studiert und mehrere Jahre als freier Journalist und Redakteur gearbeitet hat.

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