Interview: „Nichts ist gottgegeben. Wir GewerkschafterInnen wissen das am besten“

Inhalt

  1. Seite 1 - Die Europäische Arbeitsbehörde
  2. Seite 2 - Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping
  3. Seite 3 - Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA)
  4. Seite 4 - Gewerkschaftsbewegung auf europäischer Ebene
  5. Seite 5 - Hart erkämpft
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Im Interview erklärt Oliver Röpke, Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel, wie Lohn- und Sozialdumping in Europa beendet werden könnte, warum er eine EU-Vertragsänderung für eine gute Idee hält und was die Arbeit im EWSA mit den Angriffen auf Armin Wolf zu tun hat.

Oliver Röpke im Interview
„Viele Länder in Europa sehen ihre niedrigen Löhne und Sozialstandards als Geschäftsmodell. Deshalb wollen sie auch keine gemeinsamen Mindeststandards auf europäischer Ebene.“

Wenn man alle Grundsätze der Säule Sozialer Rechte vollständig umsetzen würde, würde sich für Österreich mit seinem guten Sozialsystem wahrscheinlich nicht viel ändern. Osteuropäische Staaten hingegen müssten ihre Sozialsysteme erheblich ausbauen. Wehren diese Staaten sich deshalb dagegen?

Ja, das ist das eine. Viele Länder in Europa sehen ihre niedrigen Löhne und Sozialstandards als Geschäftsmodell. Deshalb wollen sie auch keine gemeinsamen Mindeststandards auf europäischer Ebene. Daneben gibt es aber auch noch ideologische Gründe. Die österreichische Bundesregierung zum Beispiel schiebt immer wieder das Subsidiaritätsprinzip vor und sagt: Für Sozialpolitik sind die Mitgliedstaaten zuständig, Europa soll sich da möglichst wenig einmischen. Aus meiner Sicht können wir aber keine europäische Wirtschafts- und Währungsunion haben, ohne dass sich auch die sozialen Standards annähern. Und zwar nach oben, das ist ganz wichtig. Nicht eine Annäherung nach unten, wie sie die österreichische Regierung will – Stichwort „Gold Plating“ – und wie wir sie bei der Arbeitszeitgesetzgebung erlebt haben. Da wurde das österreichische Gesetz genau auf das Mindestniveau der europäischen Arbeitszeitrichtlinie abgesenkt. Ohne diese EU-Richtlinie wäre die sogenannte „Arbeitszeitreform“ der schwarz-blauen Bundesregierung für die ArbeitnehmerInnen in Österreich wahrscheinlich noch negativer ausgefallen.

Wir können keine europäische Wirtschafts- und Währungsunion haben, ohne dass sich auch die sozialen Standards annähern.

Wie weit sind wir deiner Meinung nach von der Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ entfernt?

In der Praxis sehr weit. In der Theorie, auf der Ebene der Vorschriften, sind wir eigentlich schon relativ weit gekommen. Die Vorschriften, die wir in der Entsenderichtlinie haben, schreiben ja vor, dass auch bei entsandten Arbeitnehmern, bei grenzüberschreitender Tätigkeit, grundsätzlich der Lohn jenes Landes zu zahlen ist, in dem jemand tätig ist. Es gelten also die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Mindestlöhne. Ein Problem haben wir in der Umsetzung. Und die dramatischen Zahlen dazu haben wir aus Österreich. Bei grenzüberschreitenden Entsendungen kommt es 50-mal öfter zu Unterentlohnung, als wenn es um heimische Unternehmen geht. Und in grenznahen Gebieten haben wir teilweise eine Lohn- und Sozialdumpingquote von 60 bis 70 Prozent. Das heißt: In der Praxis sind wir da sehr, sehr weit entfernt.

Du bist jetzt seit März Präsident der Arbeitnehmergruppe im Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA). Der EWSA übt ja eine beratende Funktion aus. Wie groß ist sein Einfluss auf die Politikgestaltung?

Paritäten des Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA):

  • Gruppe der ArbeitnehmerInnen
  • Gruppe der ArbeitgeberInnen
  • Gruppe der sogenannten sonstigen Interessen (z. B.: KonsumentenschützerInnen oder LandwirtschaftsvertreterInnen)
Der EWSA berät die Kommission, das Parlament und auch die Mitgliedstaaten. Konkret heißt das, dass wir zu sehr vielen Gesetzesvorschlägen Stellungnahmen erarbeiten. Auch mit konkreten Änderungsvorschlägen, die wir dann versuchen gegenüber den Institutionen durchzusetzen. Das ist unsere grundsätzliche Aufgabe. Eine Besonderheit ist aber: Der EWSA ist drittelparitätisch besetzt. Das heißt, es gibt eine Gruppe der ArbeitnehmerInnen, eine Gruppe der ArbeitgeberInnen und eine Gruppe der sogenannten sonstigen Interessen, in der zum Beispiel KonsumentenschützerInnen oder LandwirtschaftsvertreterInnen drin sind. Damit ist der EWSA wesentlich ausgewogener als diese ganze Lobbyisten-Szene, die wir in Brüssel haben. Und für uns als Gewerkschaften ist deswegen der EWSA ein sehr wichtiges Instrument, um unsere Interessen durchzusetzen und um neue Themen, die uns wichtig sind, auf die Tagesordnung zu setzen. Wenn es zum Beispiel darum geht, ob es bei der Säule Sozialer Rechte bei einem Stück Papier bleibt oder ob sie umgesetzt wird, machen wir als EWSA Druck, erarbeiten konkrete Vorschläge für Initiativen, die von der Kommission in der nächsten Periode gesetzt werden sollten, um die Säule umzusetzen.

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  1. Seite 1 - Die Europäische Arbeitsbehörde
  2. Seite 2 - Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping
  3. Seite 3 - Der Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA)
  4. Seite 4 - Gewerkschaftsbewegung auf europäischer Ebene
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Über den/die Autor:in

Dietmar Meister

Dietmar Meister ist Chef vom Dienst in der Kommunikationsabteilung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Der gebürtige Südtiroler lebt seit 15 Jahren in Wien, wo er Journalismus und Politikwissenschaft studiert und mehrere Jahre als freier Journalist und Redakteur gearbeitet hat.

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