Interview: Höchste Zeit für Verkürzung

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Die Soziologin Claudia Sorger im Gespräch über Arbeitszeitverkürzung, geschlechtergerechte Arbeitszeit und die Auswirkungen von Flexibilisierung. Wichtig sei der politische Wille.

Wo kann man ansetzen?

Eine Möglichkeit zur Steuerung gibt es zum Beispiel durch das Kinderbetreuungsgeld. Derzeit beträgt die Mindestdauer für den Kinderbetreuungsgeld-Bezug zwei Monate, die meisten Männer beschränken sich auch tatsächlich auf diese Zeit. Diese Mindestdauer zu erhöhen könnte die Beteiligung der Väter an der Kindererziehung steigern. Wir haben in Zusammenhang mit unserer aktuellen Studie zur Vereinbarkeit aber auch festgestellt, dass es teilweise Informationsmankos gibt. So wussten viele Eltern nicht, dass Elternteilzeit von beiden Elternteilen gleichzeitig in Anspruch genommen werden kann.

Wie stehen Sie zur Idee einer Familienarbeitszeit wie in Deutschland?

Ein Vorschlag der deutschen Familienministerin sieht vor, dass es eine staatlich geförderte Familienarbeitszeit geben sollte, also die Arbeitszeit auf 32 bis 25 Stunden gekürzt wird. Im Anschluss an 14 Monate Kinderzeit könnten beide Eltern in Teilzeit arbeiten, der Lohnausgleich käme zum Teil durch den Staat. Dieser Vorschlag für eine phasenweise Arbeitszeitverkürzung, die zumindest teilweise finanziell ausgeglichen wird, wäre auf jeden Fall ein Fortschritt – auch in Richtung mehr Partnerschaftlichkeit in der Aufteilung der Betreuungsarbeit.

Welche Erfahrungen gibt es in Österreich mit verkürzten Arbeitszeiten?

Hier gibt es eigentlich nur die Erfahrungen mit der krisenbedingten Kurzarbeit und mit der Freizeitoption. Nach der Kurzarbeit war es leider teilweise so, dass auch bei deutlich besserer Auftragslage kaum neue Mitarbeiter eingestellt wurden. Andererseits war es gerade in den betroffenen, stark männerdominierten Branchen für viele Beschäftigte eine positive Erfahrung, einmal mehr Zeit zu haben, für sich, die Familie oder was auch immer. Es gab die Idee, die Kurzarbeit auch in frauendominierten Branchen einzuführen. Allerdings ist man davon wieder abgekommen, weil die Entlohnung dort so niedrig ist, dass kaum eine Arbeitnehmerin auf einen Teil des Einkommens verzichten kann. Die Freizeitoption gibt es seit 2013 in der Elektroindustrie, seit 2015 in der Metallindustrie. Sie wird hauptsächlich von Männern in Anspruch genommen, was natürlich auch branchenbedingt ist.

Gibt es im Ausland dazu mehr Beispiele?

Ja, in Schweden gibt beziehungsweise gab es hier einiges. Auf der Arbeitszeit-Konferenz im Oktober 2015 in Wien hat der Vizebürgermeister von Göteborg über einen zweijährigen Versuch mit 6-Stunden-Tagen in einem Pflegeheim berichtet. Die verkürzten Arbeitszeiten haben sich deutlich positiv auf die Gesundheit und die Motivation der Beschäftigten ausgewirkt. Spannend war auch, dass zu diesem Projekt Anfragen aus aller Welt kamen, das Interesse war sehr groß. Sichtlich ist das Thema Arbeitszeitverkürzung doch für viele interessant. Bei einem weiteren schwedischen Projekt wurden 1989 in der häuslichen Krankenpflege 6-Stunden-Tage eingeführt. Nach 16 Jahren wurde das Projekt aufgrund politischer Veränderungen eingestellt. Es gibt aber auch aktuelle Beispiele von Arbeitszeitverkürzung, etwa in einem Krankenhaus.

Stichwort Flexibilisierung: Wie kann sie funktionieren?

Meiner Meinung nach ist die aktuelle Debatte eine Scheindiskussion. Es geht schlicht darum, die Kosten für Überstundenzuschläge und Ähnliches zu sparen. Dabei gibt es sogar viele Unternehmer und ArbeitgebervertreterInnen, die der Ansicht sind, dass keine weitere Flexibilisierung mehr nötig ist. Durch die vergangenen Novellen ist das Arbeitszeitgesetz ohnehin schon sehr flexibel geworden. Und wenn man sich die Argumente anschaut, dann sind diese seit Jahrhunderten die gleichen, da wird mit dem Standort argumentiert und der Niedergang der Wirtschaft heraufbeschworen. Wichtig wäre es bei diesem Thema, eine europäische Allianz für gute Arbeitsbedingungen mit kürzeren Arbeitszeiten zu bilden. Und Österreich hat ja auch im europäischen Vergleich eher hohe Arbeitszeiten. Es gibt einige Länder, wo nicht nur die durchschnittliche Wochenarbeitszeit kürzer ist, sondern auch die Jahresarbeitszeit. Man könnte auch sagen: Okay, wir gleichen uns hier einmal an.

Die Flexibilisierung in Kombination mit den Möglichkeiten der Digitalisierung birgt ja schon jetzt einige Risiken für die Beschäftigten.

Es muss eine gewisse Balance zwischen den Anforderungen seitens des Unternehmens und der Zeitautonomie und den Bedürfnissen der Beschäftigten bestehen. Man braucht einen Rahmen, der Schutz bietet, aber auch individuellen Gestaltungsspielraum. So kann Flexibilisierung Vorteile für alle haben: Denn unter anderem ermöglicht sie die bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Aber es gibt auch Gefahren: Wir wissen ja auch aus der Neurobiologie, dass rund um die Uhr arbeiten, die ständige Erreichbarkeit und Arbeiten auf Abruf letztendlich Stress bedeuten und es irgendwann zu Erschöpfungszuständen kommt. Das Wochenende als gemeinsamer Freizeitblock hat eine wichtige Bedeutung, auch wenn es das jetzt schon für manche Berufsgruppen nicht gibt. Wenn man sich die Diskussion um die Ladenöffnungszeiten anschaut, die ebenfalls schon seit Jahrzehnten mit den gleichen Argumenten abläuft, dann geht es auch darum, abzuwägen, wie weit Sonntagsarbeit tatsächlich erforderlich ist und ob man tatsächlich jederzeit alles einkaufen können muss.

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