Interview: Höchste Zeit für Verkürzung

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Die Soziologin Claudia Sorger im Gespräch über Arbeitszeitverkürzung, geschlechtergerechte Arbeitszeit und die Auswirkungen von Flexibilisierung. Wichtig sei der politische Wille.
Zur Person
Claudia Sorger hat Soziologie und Pädagogik studiert, ist promovierte Politikwissenschafterin und seit 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei L&R Sozialforschung in Wien, Arbeitsschwerpunkte: Qualität von Arbeit, Geschlechtsspezifische Strukturierung des Arbeitsmarktes, Arbeitszeit, Gleichstellungspolitik im europäischen Vergleich, Evaluierung arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Maßnahmen. 2014 erschien ihr Buch „Wer dreht an der Uhr? Geschlechtergerechtigkeit und gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik“.

Arbeit&Wirtschaft: Ist es höchste Zeit für die nächste Arbeitszeitverkürzung?

Claudia Sorger: Auf jeden Fall, die letzte gesetzlich beschlossene Arbeitszeitverkürzung war 1975, ist also schon sehr lange her. Seitdem hat sich viel verändert. So ist die Frauenerwerbsquote stark gestiegen, die Beschäftigtenstruktur sieht heute anders aus und die Anforderungen am Arbeitsplatz haben sich verändert. Es ist also tatsächlich höchste Zeit. Denn es ist zwar in manchen Bereichen zu geringfügigen Arbeitszeitverkürzungen gekommen, aber auf breiter gesetzlicher Basis besteht schon lange Aufholbedarf.

Haben Sie einen Erklärungsansatz, warum sich die 40-Stunden-Woche so hartnäckig hält?

Die Kräfteverhältnisse haben sich verändert, ArbeitnehmerInnenvertretungen sind schon länger verstärkt in der Defensive, haben also weniger Durchsetzungsstärke. Und von gewerkschaftlicher Seite wurden auch andere Schwerpunkte gesetzt, bei KV-Verhandlungen standen vor allem Lohnerhöhungen im Vordergrund. Allgemein ist die Arbeitszeitverkürzung erst seit der Wirtschaftskrise wieder ein Thema. Davor – und ich beschäftige mich ja schon sehr lange damit – wurde das einfach nicht diskutiert beziehungsweise als abgehandelt betrachtet.

Welche Auswirkungen erwarten Sie von Arbeitszeitverkürzungen?

Einerseits ist da das beschäftigungspolitische Argument, also kürzere Normalarbeitszeit, um Arbeitsplätze zu schaffen. Da stellt sich dann aber die entscheidende Frage: Wie gestalte ich das? Gibt es zum Beispiel vollen Lohnausgleich, Personalausgleich und andere Maßnahmen? Wenn man die Arbeitszeit nur um einige Stunden reduziert und keine weiteren Maßnahmen setzt, dann würde das nicht automatisch Arbeitsplätze schaffen. Denn es käme lediglich zu einer Verdichtung, die einzelnen ArbeitnehmerInnen müssten dann in weniger Stunden genauso viel leisten wie davor. Wie viele zusätzliche Arbeitsplätze letztendlich entstehen würden, dazu gibt es einige Berechnungen, doch im Prinzip ist das nicht exakt einschätzbar.

Außer dem beschäftigungspolitischen Aspekt gibt es auch gesundheitspolitische Motive. Erkrankungen, die auf hohen Arbeitsdruck und lange Arbeitszeiten zurückgehen, sind im Zunehmen, etwa psychosomatische Erkrankungen oder Beschwerden des Bewegungsapparats. Mit weniger Wochenstunden könnten vor allem Ältere länger – und höchstwahrscheinlich auch gesünder – im Arbeitsprozess bleiben. Denn häufige lange Arbeitstage haben nachweislich negative Effekte auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Doch eine Arbeitszeitverkürzung, die diese Aspekte berücksichtigt, muss politisch gewollt sein, denn das typisch österreichische Klein- und Mittelunternehmen wird dieses Konzept in der Regel nicht alleine umsetzen können.

Von wie vielen Wochenstunden reden wir?

Es gibt verschiedene Ansätze, neben einer gesetzlich verankerten 38-Stunden-Woche wird die 35-Stunden-Woche gefordert und auch die 30-Stunden-Woche. Dabei wird praktisch immer von einer stufenweisen Reduktion ausgegangen. Ich bin allerdings für eine möglichst rasche Kürzung auf 30 Stunden. Selbstverständlich gäbe es dann ähnlich wie jetzt die Möglichkeit, in speziellen Fällen den Arbeitstag zu verlängern. Prinzipiell stellt sich auch die Frage, ob die derzeit üblichen 40 oder 38 Stunden in manchen Berufen nicht ohnehin zu viel sind. In Pflegeberufen können sich viele jüngere und ältere Arbeitskräfte nicht vorstellen, bis zur Pension durchzuhalten. Mit 23 Prozent der Männer und 55 Prozent der Frauen ist die Teilzeitquote im Gesundheits- und Sozialbereich überdurchschnittlich hoch. Wobei Teilzeit natürlich Einkommenseinbußen bedeutet.

Auf der Arbeitszeitkonferenz in Linz im vergangenen Jänner haben Sie mehrere Konzepte für eine andere Gestaltung der Arbeitszeit vorgestellt. Welche Konzepte gibt es hier?

Prinzipiell geht es auch um grundsätzliche Fragen. Bei der Vier-in-einem-Perspektive etwa wird nicht nur zwischen bezahlter Arbeit und Freizeit unterschieden, sondern die Menschen sollten genügend Zeit für unterschiedliche Lebensbereiche zur Verfügung haben – Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Gemeinwesenarbeit und individuelle Entwicklung. Ich persönlich beschäftige mich auch viel mit der sogenannten geschlechtergerechten Arbeitszeit, bei der es um die gerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit geht. Faktisch hat ein Großteil der weiblichen Erwerbstätigen eigentlich jetzt schon eine Arbeitszeitverkürzung, denn 48 Prozent arbeiten Teilzeit. Mütter leisten deutlich weniger bezahlte Arbeit als andere Frauen, während Väter durchschnittlich mehr Zeit am Arbeitsplatz verbringen als andere Männer. 67 Prozent der Frauen mit Kindern unter 15 sind Teilzeitbeschäftigte. Wenn Männer Teilzeit arbeiten, dann meist nicht wegen der Kinder, sondern wegen einer Ausbildung. Das in Österreich nach wie vor übliche Modell des „male breadwinner“ ist keineswegs ein Muss, und es gibt ja auch Länder, wo das anders ist.

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„Es gibt einige ­Länder, wo nicht nur die durchschnitt­liche Wochen­arbeitszeit kürzer ist als in Österreich, sondern auch die Jahresarbeitszeit. Man könnte auch sagen: Okay, wir gleichen uns hier einmal an.“

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