Heinz Fischer im Interview: Die Demokratie verteidigen

Inhalt

  1. Seite 1 - Demokratie in Österreich
  2. Seite 2 - Demokratie als Sisyphusaufgabe
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Unsere Demokratie, meint Altbundespräsident Heinz Fischer, ist robust und hält viel aus. Aber sie braucht dauerhafte Pflege, Zuwendung und Bejahung. Demokratie als etwas Selbstverständliches zu betrachten, ist problematisch und sogar gefährlich.

Interview mit Heinz Fischer: Demokratie in Österreich

Heinz Fischer beim Interview. Er hebt die rechte Hand.
„Jetzt befinden wir uns in einer Situation, in der sich die wirtschaftliche Lage, die Inflation und manche Dinge, die ein Bundeskanzler mit dem Vornamen Sebastian zu verantworten hat, negativ auf die Demokratie auswirken.“ | © Markus Zahradnik
Vielleicht muss man den Leuten wieder sagen, welche Sternstunden wir in der Demokratie gehabt haben. Welche wären es aus Ihrer Sicht?

Eine Sternstunde war sicher der April 1945. Zu Beginn dieses Monats war Österreich noch heiß umkämpft, und die „Schlacht um Wien“ hatte gerade stattgefunden. Am Ende des Monats gab es bereits demokratische Parteien, einen überparteilichen Gewerkschaftsbund, eine Wiener Stadtverwaltung und ab dem 27. April sogar eine provisorische demokratische Allparteienregierung. Eine weitere Sternstunde, während meiner Zeit im Gymnasium, war die Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai 1955. Ja, und wenn ich das subjektiv so sagen darf, war auch der Beginn der Kreisky-Ära eine weitere Sternstunde für mich und viele andere.

Als Kreisky am 1. März 1970 die Wahlen gewonnen hat, war ich beruflich im Parlament tätig. Es war etwas Aufregendes. Man spürte so etwas wie den Atem der Geschichte. Es schien ja unerreichbar, dass die Sozialdemokratie zuerst eine Mehrheit (1970), dann eine absolute Mehrheit (1971) und dann eine noch größere absolute Mehrheit (1975 und 1979) erreichen konnte. Eine realpolitische Sternstunde war auch der Beitritt zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995.

Das österreichische Parlamentsgebäude wird in Kürze nach einer Kernsanierung wieder eröffnet. Braucht die politische Kultur in Österreich auch eine solche Sanierung?

Ich würde diese zwei Dinge nicht in einen direkten Zusammenhang bringen. Die Sanierung eines Gebäudes ist ein handwerksmäßiger Vorgang, eine Bauleistung, und wenn man so will, auch ein Bekenntnis zur Demokratie und zum Parlamentarismus. Das, was wir brauchen, ist der tägliche Pulsschlag der Demokratie, die feste und unerschütterliche Überzeugung, dass wir uns gegenseitig enormen Schaden zufügen, wenn wir eine Schwächung der Demokratie zulassen, und dass die Demokratie die gemeinsame und außer Streit stehende Grundlage unseres politischen Systems ist.

Sie haben in einer Rede von der Demokratie als Sisyphusaufgabe gesprochen. Ist dieser tägliche Pulsschlag eine Sisyphusaufgabe?

Ja, es ist eine Sisyphusaufgabe, weil die Demokratie täglich neu erarbeitet werden muss. Demokratie aufbauen und sich dann nicht mehr darum kümmern – das funktioniert nicht. Die Demokratie hält viel aus – aber sie braucht dauerhafte Pflege, Zuwendung und Bejahung. Demokratie als etwas Selbstverständliches zu betrachten ist problematisch und sogar gefährlich.

Momentan gibt es Probleme und Problemzonen, die einen verstärkten Einsatz und einen verstärkten Willen zur Demokratie erfordern, damit es nicht zu ernsthaften Rückschlägen kommt.

Heinz Fischer, Altbundespräsident der Republik Österreich

Politische Strukturen sind immer mit dem Thema Macht verbunden. Wie geht eine funktionierende Demokratie damit um?

Macht ist ein gesellschaftliches Phänomen, das aus der Realität nicht wegzudenken ist. Es gibt keine Beziehungen zwischen Menschen, ohne dass auch der Faktor Macht in diesen Beziehungen eine Rolle spielt. Die Frage ist nur, wie wird die Macht verteilt und ausgeübt? In frühen Formen unserer Geschichte, als die Macht sich weitgehend ungezügelt entwickeln konnte, sind sehr steile Machtpyramiden entstanden. Aalso an der Spitze ein Führer, ein Kaiser, ein Befehlshaber etc., in steiler Abstufung nach unten. Und die Basis war de facto machtlos.

Dieses Prinzip der Machthierarchie war Jahrhunderte hindurch vorhanden, bis der Gedanke der Gleichwertigkeit der Menschen sich immer mehr verbreitet hat und der Gedanke stärker wurde, dass Machthierarchien flacher sein sollen. Man kann also Macht nicht aus der Gesellschaft eliminieren. Aber man kann so weit wie möglich die Macht gerechter verteilen und Gegenmacht (Kontrolle) aufbauen. Und man kann somit das Konzept der Demokratie als ein Konzept bezeichnen, das sich eine gerechte Machtverteilung und Machtkontrolle zum Ziel setzt.

Wir sind in einer der größten Wirtschaftskrisen der vergangenen Jahrzehnte, die gesellschaftliche Ungleichheit verschärft sich. Welche Aufgabe kommt in dieser Phase den Repräsentant:innen der Demokratie zu?

Die Aufgabe ist relativ leicht zu definieren, aber nicht so leicht zu erfüllen. In einer Zeit, in der das ökonomische System erschüttert wird und Mechanismen zur Gewährleistung einer einigermaßen vernünftigen und gerechten Einkommens- und Vermögensverteilung ihre Wirksamkeit verlieren, die Inflation Erspartes und Erworbenes entwertet etc., beeinträchtigt das auch das Vertrauen in die Regierungsform und daher in die Demokratie. Daher ist das Bemühen um eine Lösung dieser Probleme, um eine gerechtere Einkommensverteilung, um Frieden, um die Vermeidung von Gewaltanwendung zur Lösung politischer Probleme zugleich ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der Demokratie. Einer der größten Feinde der Demokratie ist der Krieg. Da der Krieg demokratische Spielregeln durch Gewalt ersetzt und der Würde des Menschen täglich und stündlich ins Gesicht schlägt.

Abschließend die Frage: Welchen Beitrag leisten aus Ihrer Sicht Arbeiterkammer, ÖGB und Betriebsrät:innen gemeinsam für die Demokratie in Österreich?

Arbeiterkammer und ÖGB – dessen Mitglied ich seit 65 Jahren bin – sind große und wichtige Institutionen in unserem politischen System. Sie dienen nicht nur den Interessen der Arbeitnehmer:innen, sondern sie dienen als demokratische Einrichtungen und nach ihrem Selbstverständnis der Demokratie. Zusätzlich dienen sie auch indirekt der Demokratie. Weil die Sozialpartnerschaft, wie sie in Österreich praktiziert wird, dazu beiträgt das politische System zu stabilisieren. Und weil das Bemühen um Bildung, Vision und Information zum Funktionieren der Demokratie maßgeblich beiträgt. Ich bin daher auch immer sehr stolz, wenn ein Vertrauens-Ranking erstellt wird, in dem die Arbeiterkammer und der ÖGB ganz oben stehen, deutlich vor der Regierung und jetzt sogar vor der Polizei, vor der Justiz und vor vielen anderen Institutionen.

Daher ist für mich die Organisation von Menschen mit gleichgerichteten Interessen ein wichtiges Element des demokratischen Prozesses im weiteren Sinne des Wortes. Demokratie ist nicht nur das, was in der Verfassung steht. Sondern Demokratie ist auch eine Gesinnung, eine Lebensform, die dazu führt, dass man miteinander redet, Interessen ausgleicht, Gewalt ablehnt und den Artikel 1 der Menschenrechtskonvention ernst nimmt, in dem es heißt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.“

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