Interview: Gut gewappnet

Inhalt

  1. Seite 1 - Mögliche Kürzung der AK-Umalge
  2. Seite 2 - Kollektivvertragsverhandungen und Sozialversicherungsreform
  3. Seite 3 - Steuerreform und AK-Wahl
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Die AK war von der geplatzten türkis-blauen Regierung von Anfang an massiven Angriffen ausgesetzt, insbesondere drohte man mit der Senkung der Beiträge. Auch die Entmachtung der ArbeitnehmerInnen in der Sozialversicherung bringt eine Schwächung ihrer Interessen. Was das für konkrete Folgen hat und wie AK und ÖGB dagegenhalten, erläutert Barbara Teiber, Bundesvorsitzende der GPA-djp und Vizepräsidentin der Wiener AK.

Die GPA-djp verhandelt jährlich rund 170 Kollektivverträge für Hunderttausende Beschäftigte, ist da das neue Klima auch spürbar? Hatten die Arbeitgeber auch in den Branchen Rückenwind durch die bisherige Regierungslinie, die Interessen der ArbeitnehmerInnen zurückzudrängen?

Unverschämte Arbeitgeber sind zum Teil noch unverschämter geworden. Das hat dazu geführt, dass es auch von unserer Seite rauer und schärfer geworden ist, was die Forderungen und Konflikte betrifft. Als die Regierung das Arbeitszeitverlängerungsgesetz inklusive 60-Stunden-Woche beschlossen hat, haben wir angekündigt, Branche für Branche für Gerechtigkeit zu sorgen.

Unverschämte Arbeitgeber sind zum Teil noch unverschämter geworden.

Unser Punkt war und ist: Wenn sich Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung aus der Sozialpartnerschaft bzw. dem Dialog verabschieden, weil sie ohnehin von der Regierung alles erfüllt bekommen, was sie bestellen, dann werden sie ja wohl nicht glauben, dass die Beschäftigten sich das so gefallen lassen. Die Antwort ist, dass die KV-Verhandlungen härter geführt werden, und das ist auch passiert: Wir haben so viele Betriebsversammlungen, Proteste, Aktionen auf der Straße, in den Betrieben, Warnstreiks, Streikandrohungen gemacht wie schon viele Jahre nicht mehr. Wir waren damit auch erfolgreich: Wir haben hohe KV-Abschlüsse erreicht und durchaus einiges im Bereich der Arbeitszeit.

Stichwort 1,50-Euro-Jobs für AsylwerberInnen, die Herbert Kickl vor seinem Ausscheiden als Innenminister noch auf den Weg gebracht hat: Sehen Sie die Gefahr eines Niedriglohnsektors, ein Vorantreiben der Spaltung von ArbeitnehmerInnen-Gruppen?

Absolut, und es ist gut, dass diese Regelung vom Interims-Innenminister wieder zurückgenommen wurde. Einerseits ist es sehr erfreulich, dass wir es inzwischen in fast allen Branchen geschafft haben, 1.500 Euro Mindestgehalt umzusetzen. In ganz vielen Branchen sind wir schon über 1.700 Euro Einstiegsgehalt. Andererseits sehen wir, dass die Regierung versucht hat, auf die Beschäftigten – und auch auf jene, die aktuell nicht im Erwerbsleben stehen – den Druck zu erhöhen, wirklich unter allen Bedingungen Jobs anzunehmen beziehungsweise zu behalten. Stichwort Lohndumping – dafür sehe ich mehrere Indizien. Das eine ist die Verschlechterung der Mindestsicherung – ein Gesetz, das wir damals miterkämpft haben und das dazu geführt hat, dass erstmals die Zahl der von Armut betroffenen Menschen zurückgegangen ist; ein Gesetz, das es geschafft hat, Armut zu bekämpfen und nicht Arme.

(C) Michael Mazohl
„Die Zwangsfusion der Krankenkassen ist ein Milliardengrab.“

Aber auch die Neuregelung der Rot-Weiß-Rot-Card ist ein Indiz dafür: Dadurch ist es ab jetzt möglich, dass Beschäftigte aus Nicht-EU-Ländern als Schlüsselarbeitskräfte ins Land geholt werden, die um über 500 Euro weniger verdienen sollen als ansässige Arbeitskräfte – das ist Lohndumping, das wird den Druck auf die Beschäftigten weiter erhöhen. Ich finde es hier besonders perfide, dass die FPÖ das mitgetragen hat, deren politische Inhalte eigentlich nur aus Ausländerhetze und Flüchtlingshetze bestehen; dass mit der FPÖ ein Gesetz beschlossen wurde, mit dem ausländische Arbeitskräfte ins Land kommen können und ein Niedriglohnsektor geschaffen wird, ganz wie es sich die Wirtschaftseliten wünschen.

Beim Umbau der Sozialversicherung sind die Kräfteverhältnisse völlig auf den Kopf gestellt. IV-Neumayer findet es gerechtfertigt, Parität in den Gremien herzustellen, weil die Arbeitgeber gleich viel zahlen wie die Arbeitnehmer. Klingt doch aufs Erste nicht unlogisch?

Das ist schlichtweg falsch. Die Unternehmer zahlen weniger als ein Drittel der Einnahmen der Krankenversicherung. Es stellt sich außerdem die Frage, von wem der sogenannte Arbeitgeberanteil überhaupt erwirtschaftet wird. Das Wesentliche ist, dass Arbeitgeber gar nicht in der neuen Österreichischen Gesundheitskasse versichert sind und trotzdem bestimmen sollen, welche Leistungen geboten und welche nicht geboten werden. Das ist eine Verhöhnung der Mitbestimmung in der Selbstverwaltung.

Die ArbeitnehmerInnen werden entmachtet, die Verhältnisse werden umgekehrt. Welche konkreten Verschlechterungen befürchten Sie?

Die Zwangsfusion der Krankenkassen ist ein Milliardengrab. Dem Gesundheitssystem wird wahnsinnig viel Geld entzogen, das dann bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten fehlen wird. Auch bei der angekündigten Steuerreform würde ohne Gegenfinanzierung durch die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge zusätzlich Geld fehlen. Wir befürchten, dass die Folge Leistungskürzungen sein werden. Das kann zum Beispiel konkret heißen, dass sich die Versicherten auf längere Wartezeiten einstellen müssen, da es weniger Vertragsärzte geben wird. Auch Selbstbehalte sind nicht auszuschließen, dann muss man beim Arztbesuch zusätzlich zur e-card das Geldbörsel oder die Kreditkarte mitnehmen.

Die Zwangsfusion der Krankenkassen ist ein Milliardengrab.

Früher oder später werden dann die ersten Stimmen aufkommen, die eine Auslagerung und Privatisierung der eigenen Einrichtungen der Sozialversicherung fordern. Weil die Regierung die Vertretung der ArbeitnehmerInnen in der Selbstverwaltung jetzt entmachtet hat, können wir das dann nicht mehr verhindern.

Die Einzigen, die über die Sozialversicherungsreform jubeln, sind die Wirtschaft und die Industrie – nicht verwunderlich, denn Gesundheit ist ein Milliardengeschäft. Besonders Privatversicherungen freuen sich schon auf neue Kundinnen und Kunden, die mit dem öffentlichen Gesundheitssystem dann nicht mehr zufrieden sind. Mein Fazit ist: Offenbar waren der Regierung die Interessen der Privatversicherungen wichtiger als die Interessen der Menschen.

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Über den/die Autor:in

Nani Kauer

Nani Kauer, in Brüssel aufgewachsene Wienerin, hat integrierte Kommunikation studiert und ist seit 1996 in der Kommunikationswelt tätig. Sie ist Mediensprecherin von AK-Präsidentin Renate Anderl.

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