Interview: Ein zivilisierter Staat braucht gerechte Steuern

Inhalt

  1. Seite 1 - Was ein gutes Leben ausmacht
  2. Seite 2 - Wohin sich Österreich entwickelt
  3. Seite 3 - Ungleiches Einkommen und Vermögen
  4. Seite 4 - Vermögensverteilung hinkt
  5. Auf einer Seite lesen >
Alois Guger, emeritierter Wissenschafter am WIFO, über ein gutes Leben aus ökonomischer Sicht und was sich in Zukunft ändern muss, wenn weiterhin viele Menschen am Wohlstand teilhaben sollen.

„Es ist von großer gesellschaftlicher Bedeutung, dass die Kinder der Reichen die gleichen Schulen besuchen wie die Kinder der Armen und alle Kranken die gleichen Krankenhäuser.“
Alois Guger

Wie sollte sich Österreich weiterentwickeln?

Aktuell brauchen wir einen Umbau von stark monetären Transferleistungen hin zu sozialen Dienst- oder Sachleistungen und höhere Mindeststandards. Unser Sozialmodell beruht auf der klassischen Industriegesellschaft, dem vollbeschäftigten Mann, dem so genannten „Breadwinner“, und der Frau in einer dauerhaften Beziehung, die zu Hause die Kinder erzieht. Das ist freilich nicht mehr zeitgemäß.

Darüber wird schon lange geredet …

Der Übergang vom „Male Breadwinner“ zum „Gender Equality“-Modell ist dringend notwendig. Denn aus der Perspektive der breiten Ausbildung beider Geschlechter und einer alternden Gesellschaft wollen und müssen in Zukunft möglichst alle Erwachsenen erwerbstätig sein. Das erfordert entsprechende öffentliche Institutionen, die die Bildungs- und Betreuungsverantwortung (auch für pflegebedürftige alte Menschen) wirklich abdecken – also eine sehr frühe, leistbare und hochwertige Kinderbetreuung, auch um ein hohes Bildungsniveau für alle Bevölkerungsschichten zu gewährleisten.

Aus der Perspektive der breiten Ausbildung beider Geschlechter und einer alternden Gesellschaft wollen und müssen in Zukunft möglichst alle Erwachsenen erwerbstätig sein.

Was muss sich ändern?

Wir müssen umdenken und eine neue Frauen- und Kinderpolitik machen, viel mehr in Kinder investieren. Der Soziologe Gøsta Esping-Andersen hat das „Gender Equality“-Modell in den Mittelpunkt gestellt. Ferner müssen die Mindeststandards erhöht werden, damit Leistungen deutlich über der Armutsgrenze liegen und niemand in die Armut absinkt. Eines muss klar sein: Die stabilen Beschäftigungsverhältnisse, an denen in unserem System ausreichender sozialer Schutz hängt, wird es in Zukunft nicht mehr geben.

Eine Umwälzung für …

… Männer. Denn die Work-Life-Balance im „Gender Equality“-Modell bedeutet unter anderem eine tägliche Arbeitszeitverkürzung, damit beide Elternteile Betreuungspflichten übernehmen und Mann wie Frau alle Berufe wählen können. Momentan arbeiten die Männer zu viel, ihre Überstundenanzahl ist zu hoch. Im EU-Vergleich steht Österreich in puncto Männergesundheit bei den über 50-Jährigen am zweitschlechtesten da.

Im EU-Vergleich steht Österreich in puncto Männergesundheit bei den über 50-Jährigen am zweitschlechtesten da.

Und die Frauen?

Die haben derzeit eine sehr hohe Teilzeitquote mit sehr wenigen Stunden, davon können viele nicht leben und haben eine schlechte Pensionsabsicherung.

Arbeiten und arm sein: ein weibliches Schicksal?

Das hängt auch mit der Teilzeitarbeit zusammen und, ja, da sind besonders Frauen betroffen. Daneben fallen auch MigrantInnen und AlleinerzieherInnen unter die „Working Poor“, also Erwerbsarmen. Bisweilen hat es auch mit geringer Bildung zu tun, aber keinesfalls immer: Eine Alleinerzieherin oder ein Alleinerzieher kann auch über gute Bildung verfügen und der Kinder wegen auf keine ausreichende Arbeitszeit kommen.

In Zahlen …

… heißt das: In Österreich haben wir 300.000 Menschen, die zu den „Working Poor“ zählen – also ganze acht Prozent aller Erwerbstätigen. Das liegt nur etwas unter dem europäischen Durchschnitt von 9,6 Prozent, in Deutschland sind es neun Prozent. Die Definition: „Working Poor“ sind Menschen, die im erwerbsfähigen Alter sind, Voll- oder Teilzeit arbeiten und während eines Jahres trotzdem mindestens sechs Monate lang unter der Armutsgrenze liegen.

In Österreich haben wir 300.000 Menschen, die zu den „Working Poor“ zählen – also ganze acht Prozent aller Erwerbstätigen.

Woran liegt das?

Die Mindeststandards entsprechen nicht unserem Sozialstaatsniveau. Sie sind eben relativ tief angesetzt, die meisten Werte liegen unter der Armutsgrenze. Deshalb habe ich zuvor gesagt: Wir müssen zeitgemäß umdenken und auch die Mindeststandards anpassen. Das gilt freilich auch für die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Asylberechtigte Menschen erhalten übrigens noch weniger.

Inhalt

  1. Seite 1 - Was ein gutes Leben ausmacht
  2. Seite 2 - Wohin sich Österreich entwickelt
  3. Seite 3 - Ungleiches Einkommen und Vermögen
  4. Seite 4 - Vermögensverteilung hinkt
  5. Auf einer Seite lesen >

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.