WIENER MARIEN-APOTHEKE: Pharmazie mit Gebärde
Alles begann mit einem Standard-Artikel im Jahr 2013. Sreco Dolanc setzte sich in einen Zug und fuhr von Ljubljana nach Wien. Sein Ziel: Die Marien-Apotheke in Wien-Mariahilf. Er hatte gelesen, dass dort zwei gehörlose Lehrlinge zu pharmazeutisch-kaufmännischen Assistenten ausgebildet wurden. Dolanc stand damals kurz vor dem Abschluss seines Pharmaziestudiums. Er ist von Geburt an gehörlos, seine Muttersprache ist die slowenische Gebärdensprache. Schon im Studium musste er Barrieren überwinden, so fehlten etwa Dolmetschstunden. Und es blieb schwierig: „Ich verschickte Hunderte Bewerbungen in Slowenien und bekam nur Absagen. Ich wollte nicht in die Arbeitslosigkeit gehen.“ Das Gespräch mit Dolanc übersetzt Gebärdensprachdolmetscherin Elke Schaumberger.Ein Vorbild
Karin Simonitsch, Pharmazeutin und Betreiberin der Marien-Apotheke, erkannte Sreco Dolanc’ Potenzial. Wichtig war, dass er die österreichische Gebärdensprache (ÖGS) und Deutsch lernte und sein Abschluss in Österreich anerkannt wurde. Seit mehr als zehn Jahren ist der 39-Jährige der erste gehörlose Apotheker Österreichs. Wenn Dolanc an der Tara Kundschaft bedient, unterstützt ihn, 12 Stunden pro Woche, eine ÖGS Dolmetscherin: „Ich kann genauso beraten wie die hörenden Kolleg:innen“, betont er. Die Dolmetschkosten trägt das Sozialministeriumservice. Außerdem leitet Dolanc das Labor und gestaltet Videobeiträge und Newsletter für die Gehörlosen-Community. Er entwickelte ein Daumenkino mit Gebärden für Heilkräuter. Einzig Nachtdienste übernimmt er nicht. „Ich bin für viele gehörlose Jugendliche ein Vorbild geworden“, sagt Dolanc stolz.
In der Marien-Apotheke sind drei der 48 Mitarbeiter:innen gehörlos. Ihr Team ermöglichte der Apotheke den Kontakt zu einer neuen Zielgruppe, das war aber ein Lernprozess. Am Beginn im Jahr 2008 stand ein Freundschaftsdienst, als sich Karin Simonitsch bereit erklärte, den gehörlosen Sohn von Bekannten auszubilden junge Mann war nicht mit Gebärdensprache aufgewachsen, die Kommunikation gestaltete sich schwierig. Ein zweiter gehörloser Lehrling erleichterte die Kommunikation. Die Apothekerin ermöglichte dem Team Gebärdensprachkurse, teilweise während der Arbeitszeit. Für den Umgang untereinander haben sie Regeln vereinbart, wie beispielsweise gehörlosen Kollegen auf die Schulter zu tippen oder zu winken, um sie auf etwasaufmerksam zu machen.
Mehr ermöglichen
Karin Simonitsch würde sich mehr Dolmetschstunden wünschen, damit SrecoDolanc mehr im Verkauf tätig sein könnte. Doch Fachdolmetscher:innen sind rar. Ausbildung, Sprachkurse und Werbemittel bedeuten zwar Kosten, „aber die Gebärdensprachkompetenz ist zur DNA unserer Apotheke geworden“, betont Simonitsch. „Machen wir Menschen mit Behinderung nicht zu Almosenempfänger:innen. Lassen wir sie teilhaben, bilden wir sie aus – das sind super und loyale Mitarbeiter:innen.“ An der Tara bedient Sreco Dolanc gehörlose wie auch hörende Kundschaft. Auch Hörende reagieren positiv. „Viele sind begeistert und fragen: Wie gebärdet man Danke?“, erzählt er. Vereinfacht gesagt, wird die flache Hand zum Kinn geführt und wieder weg. Die Lippen deuten das Wort Danke an.