Homeoffice: Arbeitsrevolution mit Schwächen?

Eine Frau sitzt in ihrer Küche und arbeitet etwas an ihrem Laptop, während sie isst. vor- und Nachteile des Homeoffice.
Das Homeoffice hat sich für viele dauerhaft etabliert. Das hat seine Vorteile, aber auch Tücken. | © Adobestock/lordn
Immer mehr Unternehmen ordern die Beschäftigten zurück ins Firmengebäude. Das Homeoffice ist zwar gekommen, um zu bleiben, nur noch von zu Hause aus zu arbeiten, soll aber auch nicht die Lösung sein.
Ironischerweise ist es ausgerechnet der Video-Call-Dienstleister Zoom, der jüngst seine 100-Prozent-Homeoffice-Regelung abschaffte. Es war gerade diese App, die die Lockdowns ab März 2020 erträglich und arbeiten von daheim aus möglich machte. Neben anderen Anwendungen. Mittels Homeoffice hielten die Beschäftigten so den Betrieb am Laufen. Mittlerweile setzen Firmen aber wieder verstärkt auf Arbeiten vor Ort.

Vor- und Nachteile des Homeoffice

Diese Trendwende überrascht einige. Allein schon aus Klimaschutzgründen. Laut einer Berechnung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) im Zusammenhang mit der 4-Tage-Woche würde bereits ein einziger Tag weniger Pendeln den österreichischen CO₂-Verbrauch um etwa 250.000 Tonnen reduzieren. Das bedeutet also auch, dass jeder Homeoffice-Tag ein Beitrag zum Klimaschutz ist. Wer dem Gewerkschaftsbund keinen Glauben schenken will, kann sich bei Deloitte über andere Vorteile informieren. Gemäß einer Studie des Beratungsunternehmens gaben neun von zehn Unternehmen an, Homeoffice anzubieten. In acht von zehn Fällen nehmen es zumindest die Hälfte der Mitarbeitenden in Anspruch. Knapp 60 Prozent der Befragten haben durch Homeoffice eine gestiegene Produktivität vermerkt, nur sechs Prozent einen Rückgang.

Eine Frau sitzt in ihrem Auto und schaut auf ihre Armbanduhr. Sie arbeitet nicht im Homeoffice.
Mit dem Homeoffice kann man sich das Pendeln ersparen und leistet gleichzeitig einen Beitrag zum Klimaschutz. | © Adobestock/Syda Productions

Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB, meinte erst jüngst per Aussendung, dass das Home-Office-Paket der Regierung zwar sehr gute wäre, aber auch eine versteckte Kostenfalle enthalte. Denn laut einer aktuellen vom Arbeits- und Wirtschaftsministerium beauftragten Studie sagen sieben von zehn Arbeitnehmer:innen, dass sie den Mehraufwand, der im Homeoffice entsteht, nur teilweise oder gar nicht ersetzt bekommen. „Das ist gerade in Zeiten von ausufernder Inflation den Betroffenen nicht zumutbar“, betont Reischl. Wie sieht es rechtlich also aktuell aus, wo hakt es und warum ist zu viel Homeoffice nicht gut?

Homeoffice gehört jetzt zum Alltag

„Zu unserer aller Überraschung gelang der pandemiebedingt eingeleitete Übergang zu einem Arbeitsalltag daheim reibungslos“, erklärt Philipp Brokes, Arbeitsrechtsexperte der Arbeiterkammer Wien (AK), im Interview mit Arbeit&Wirtschaft. Das Problem: Bis zu diesem Zeitpunkt war nichts gesetzlich verankert. Etwa: Was passiert, wenn es zu Hause zu einem Arbeitsunfall kommt? Was, wenn der Kaffee über dem Firmenlaptop ausgeleert wird? Wer zahlt die Ausrüstung überhaupt? „Das von den Sozialpartnern verhandelte und am 1. April 2021 in Kraft getretene Homeoffice-Gesetzespaket sollte einen Großteil dieser Fragen bestmöglich abdecken“, weiß er. Gleichzeitig hat das Arbeitsministerium einer umfassende Evaluierung des Gesetzes zugestimmt.

Heute ist für alle ersichtlich: Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Der AK-Experte meint, dass ein, zwei Tage die Woche mittlerweile üblich wären, nicht jedoch eine durchgehende Tätigkeit von zu Hause aus. Die Gründe dafür sind vielfältig:

Einerseits liegt es im Interesse der Betriebe, die betriebliche Kultur und die Identifikation der Beschäftigten mit der Marke oder dem Unternehmen selbst zu fördern. Andererseits haben auch die Beschäftigten erkannt, dass die Vorzüge der Arbeit im Homeoffice nicht grenzenlos sind.

Philipp Brokes, Arbeitsrechtsexperte der Arbeiterkammer Wien

 

Hinzu komme die Ausübung von Mitwirkungsrechten im Betrieb, etwa im Rahmen der Betriebsratsarbeit oder Personalvertretung. Die gelingen im Rahmen eines Präsenzbetriebs wesentlich besser. „Es ist kein Geheimnis, dass ein Betriebsrat dem Arbeitgeber dann gut auf die Finger schauen kann, wenn er die Finger auch tatsächlich sieht.“

Die alltäglichen Fragen rund ums Homeoffice

Die Vorzüge des Homeoffice kämen vor allem dann zur Geltung, wenn es einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen des Unternehmens und der Arbeitnehmer:innen gebe. Transparenz und Nachvollziehbarkeit, etwa durch eine schriftliche Betriebsvereinbarung, wären entscheidend. Besonders viele Vorsprachen verzeichnete die AK laut dem Experten dann, wenn fast wöchentlich neue COVID-19-Verordnungen erlassen oder erneute Ausgangsbeschränkungen medial kolportiert wurden. „Das stieß mit der Zeit vor allem jenen Arbeitnehmer:innen übel auf, deren Wohnräumlichkeiten oder Familienverhältnisse auf ein durchgehendes Homeoffice nicht ausgelegt waren.“ ‚Geht das so einseitig?‘ oder ‚Kann ich dazu gezwungen werden?‘ waren die gängigsten Anfragen in der AK-Rechtsberatung.

Einen erneuten Anstieg der Anfragen verzeichnete die AK, als die Energiepreise durch die Decke gingen. „Etliche Unternehmen beschlossen zu dieser Zeit, wieder vermehrt auf die Arbeit im Homeoffice zu setzen und so den betrieblichen Energieverbrauch spürbar zu senken“, führt er aus. „Weil dabei aber naturgemäß ein Anstieg der Energiekosten in den Privathaushalten der Arbeitnehmer:innen vorprogrammiert war, drehten sich die daraufhin eingehenden Anfragen primär um die Frage des Kostenersatzes.“

Porträt von Philipp Brokes, Arbeitsrechtsexperte der Arbeiterkammer Wien. Er ist Experte, wenn es um Sachen wie Homeoffice geht.
„Nur vier von zehn Arbeitnehmer:innen in Österreich können rein faktisch in den eigenen vier Wänden arbeiten“, erklärt Philipp Brokes, Arbeitsrechtsexperte der Arbeiterkammer Wien. | © Christopher Glanzl

Im Zuge der Verhandlungen zum Homeoffice-Paket wurde zwar „nahezu gebetsmühlenartig“ betont, das Homeoffice beruhe auf Freiwilligkeit, aber: „Auch hier zeigt sich das Wesen des Arbeitsrechts, mit klar definierten Machtverhältnissen und einer oftmals existenziellen Abhängigkeit der Beschäftigten von ihrem Job, in der einseitige Änderungen des zweiseitigen Arbeitsvertrages keine Rarität darstellen“, meint der Arbeitsrechtsexperte dazu. Im Sinne der Work-Life-Balance ist die Nachfrage nach Arbeitsplätzen mit Homeoffice-Möglichkeit dennoch hoch. Dabei erhöht Homeoffice den Druck, erreichbar zu sein. Die aktuell gültige Regelung aus dem Jahr 2021 habe vor allem die Umstände der Pandemie vor Augen gehabt. Da der arbeitsrechtliche Teil der Regelung zeitlich nicht befristet wurde, ist er aber ins Dauerrecht übergegangen.

Aktuelle Regelung zum Homeoffice

Deswegen wurde eben schon im Vorfeld eine Evaluierung des Gesetzes vereinbart. Das Ergebnis? „Die von einem externen Forschungsinstitut durchgeführte Evaluierung hat hier vor allem Handlungsbedarf im Zusammenhang mit dem Kostenersatzanspruch für Arbeitnehmer:innen ergeben“, weiß Brokes. Zwar regelt das Gesetz klar, dass digitale Arbeitsmittel (z.B. Laptops oder Diensthandys) vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen sind, andernfalls – etwa bei Benutzung privater Geräte – der Arbeitgeber einen entsprechenden Kostenersatz zu leisten hat. Das gilt für alle anderen anfallenden Kosten nicht, der entsprechende Paragraf im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1014 ABGB) sei sehr allgemein gehalten. Und kann deshalb leicht umgangen werden kann.

In der Praxis führt dieser Umstand regelmäßig dazu, dass Betriebe ihre Beschäftigten zwar im Homeoffice arbeiten lassen, dafür jedoch keinerlei Kostenersatz gewähren. Die vom Arbeitsministerium eingeleitete externe Evaluierung des Homeoffice-Gesetzes hat dazu ergeben, dass 70 Prozent keinen oder nur einen teilweisen Kostenersatz erhalten. Nur 22 Prozent geben an, eine vollständige Kostenerstattung zu erhalten. 

Philipp Brokes, Arbeitsrechtsexperte der Arbeiterkammer Wien

 

Im Lichte der anhaltenden und schleppend bekämpften Teuerungen führt das wiederum zu vielen Fragen an die AK. Brokes ortet Aufholbedarf. „Bleibt man bei der zutreffenden Annahme, dass das Homeoffice dauerhaft in der Arbeitswelt bleiben wird, muss auch beim Kostenfaktor ein gerechter Interessensausgleich im Gesetzespaket abgebildet werden. Denn wer die betriebliche Praxis kennt, weiß, dass selbst dort, wo Einvernehmen draufsteht, nur selten volles Einvernehmen drin ist.“

Verbesserungsbedarf für die Zukunft

Aber wie sieht die Zukunft des Homeoffice nun genau aus? Aus Sicht des AK-Experten gibt es da einige Dinge, die zu bedenken sind. „Nur vier von zehn Arbeitnehmer:innen in Österreich können rein faktisch in den eigenen vier Wänden arbeiten.“ Viele Arbeitnehmer:innen – von der Pädagogik über Müllabfuhr bis zum Handel – können gar nicht von zu Hause arbeiten. Aktuell gebe zudem nur ein Viertel an, regelmäßig daheim zu arbeiten.

Aber eine Homeoffice-Pflicht, etwa aus Klimaschutzgründen, sieht er kritisch. „Mit einer generellen Verpflichtung, Homeoffice zu machen, kommen wir nicht weiter. Wer entscheidet denn am Ende des Tages, was jetzt geht und was nicht? Ganz objektiv die Tätigkeit eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin?“ Auch die Wohnverhältnisse – gerade in Zeiten der Teuerung – spielen eine Rolle. „Soll es Wohnungsbegehungen geben, um Streitfälle zu lösen? Müssen Arbeitnehmer:innen ihre Mitbewohner:innen nennen und Fotos von ihrem Arbeitsraum in den Personalakt legen?“

https://twitter.com/Arbeiterkammer/status/1677557651603849216

Weiters sei die Arbeitspsychologie zu bedenken. Denn es gebe Gefahren des entgrenzten Arbeitens, Mitwirkungsrechten des Betriebsrats könnten schleichend ausgehöhlt werden. Also ist das Homeoffice als Norm wohl „mit Vorsicht zu genießen“. Umso wichtiger ist es AK und Gewerkschaften, ihre Mitglieder laufend und so umfassend wie nur möglich über deren Rechte und Pflichten zu informieren. Sein Resümee: „Steigt die Rechtssicherheit, werden Kostenfragen fair gelöst und haben beide Seiten das Gefühl, mit ihren persönlichen Vor- und Nachteilen von Homeoffice im Ergebnis gut leben zu können, wird auch die Bereitschaft steigen, diese Maßnahme regelmäßig einzusetzen.“ Zumindest dort, wo es wirklich geht.

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