Herbstlohnrunde: Wir rechnen ab

Frau mit brennendem Hut, Symbolbild zum Thema Herbstlohnrunde
In Zeiten der Rekordinflation sind kräftige Lohnerhöhungen das Ziel. (c) Markus Zahradnik
In der Herbstlohnrunde geht es immer um Geld, nur heuer um sehr viel mehr Geld! Mit Teuerungsraten wie in den 1970er-Jahren sind für die Gewerkschaften kräftige Lohnerhöhungen das wichtigste Ziel. Die Erwartungen der Beschäftigten sind groß, der Druck ist entsprechend hoch.

Direkt beim Eingang steht ein fast raumhohes Roll-up des Österreichischen Gewerkschaftsbundes mit dem Slogan „Mein Herz für ein soziales Österreich“. So eingestimmt, geht es weiter ins Büro von Karl Dürtscher, Bundesgeschäftsführer der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), der im Vorfeld zur Herbstlohnrunde Auskunft und Überblick zu den Kollektivvertragsverhandlungen in Zeiten der Rekordinflation gibt.

Am 19. September 2022 ist es dann so weit. Lohnverhandlungen sind immer hart, doch heuer dürfte es härter werden. Das Schlagwort „heißer Herbst“ ist in aller Munde, zumal es diesmal um die Wurst geht – buchstäblich. Denn viele Arbeitnehmer:innen können sich ihre Lebenshaltungskosten kaum noch oder nicht mehr leisten. Die Rekordinflation frisst ihnen die Butter – oder eben die Wurst – vom Brot.

Leben vom Draufzahlen?

Verhandelt werden die Kollektivverträge von rund 500.000 Beschäftigten im Handel, 200.000 in der Industrie sowie 130.000 in der Pflege und in Sozialberufen. „Das sind die drei großen Bereiche, wo wir im Herbst in Verhandlungen treten“, sagt Dürtscher. In der Metallbranche verhandelt die GPA gemeinsam mit der Produktionsgewerkschaft PRO-GE. Hier kam es nach langen Verhandlungen erst nach einer Streikandrohung zu einem Ergebnis der KV-Verhandlungen. In der Pflege und Berufen im Sozialbereich (SWÖ) gemeinsam mit der Gewerkschaft vida.

Wäre da nicht die Rekordinflation, könnten die Gewerkschaften entspannter in die Kollektivvertragsverhandlungen eintreten. Die Zahlen der vergangenen zwölf Monate liegen auf dem Tisch und sehen grosso modo gut aus – in der Industrie gar sensationell. „Die Unternehmen konnten die Preissteigerungen im Markt unterbringen, während die Arbeitnehmer:innen nichts weitergeben können. Geld wird im Fokus stehen“, betont Dürtscher, „vom Draufzahlen kann man schließlich nicht leben.“

„Geld wird im Fokus stehen, denn vom Drauzahlen kann man schließlich nicht leben.“

Karl Dürtscher, Bundesgeschäftsführer GPA

„Kaufkraft“ ist das Wort der Stunde, sie zu erhalten oberste Priorität. Und da geht es heuer um sehr viel. Zahlen werden vorab freilich keine genannt – aus taktischen Gründen, aber auch weil die allerletzten Daten noch nicht eingepreist sind. Der Kaufkrafterhalt überlagert diesmal andere Themen. „Sie zu erhalten, ist Challenge genug“, sagt David Mum, Leiter der Grundlagenabteilung der GPA.

Es steht viel auf dem Spiel, denn die Fixkosten steigen so rasant, dass viele Menschen sie mit ihren Einkommen nicht mehr decken können. Haupttreiber sind laut Statistik Austria die Treibstoffpreise. Stark spürbar ist die Teuerung auch bei der Haushaltsenergie und in der Gastronomie. Weiters ist der wöchentliche Einkauf deutlich teurer geworden: Der Preisanstieg des Miniwarenkorbs war im Juli 2022 mit 19,1 Prozent mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine Inflation, die wiederum im heurigen Juli einen seit Jahrzehnten nicht mehr dagewesenen Spitzenwert erreichte. Mit einer Inflationsrate von 9,3 Prozent wurde im Juli 2022 die höchste Teuerungsrate seit Februar 1975 gemessen.

Maria Gluchman, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei Billa, Thema Herbstlohnrunde
„Der Fokus liegt auf der Erhöhung der Gehälter. Das ist, was sich die Leute erwarten“, sagt Maria Gluchman, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei Billa, (c) Markus Zahradnik

Retro-Feeling

Die Erwartungshaltung der Arbeitnehmer:innen an ihre Gewerkschaften ist hoch. Dürtscher, der schon länger dabei ist, meint: „Es ist immer ein Verteilungskampf.“ Hohe Lohnabschlüsse bei hoher Inflation, das gab es zuletzt in den 1970er- und 1980er-Jahren, erinnert sich der Gewerkschafter. In den 70ern war er zwar noch nicht live dabei. Er könne jedoch auf Erfahrungen aus den 80ern zurückgreifen, wobei die Wirtschaft damals nicht so globalisiert war wie heute“, wie er betont.

Laut Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der PRO-GE, sind die Rahmenbedingungen heuer besonders schwierig. Die jüngste Inflationsentwicklung sei eine Katastrophe: „Es wird ein hartes Match, denn es geht um einen Reallohnzuwachs.“ Den Auftakt der KV-Herbstrunde machen traditionsgemäß und so auch heuer die „Metaller“. Ihr KV gilt jeweils von 1. November bis zum 31. Oktober des Folgejahres. Ihr Ergebnis als richtungsweisend für viele andere Branchen.

Konkret geht es um den rollierenden Inflationsausgleich plus einen monatlichen Fixbetrag, der für alle gleich sein soll. Außerdem wird der Lehrlingstausender ins Verhandlungspaket gepackt: Statt bisher 800 Euro sollen Lehrlinge im ersten Jahr mit 1.000 Euro brutto durchstarten können. „Alle Augen sind auf uns gerichtet“, sagt Karl Schaller, Konzernbetriebsratsvorsitzender der voestalpine AG und im KV-Verhandlungsteam der Metaller. Er wird zurzeit auch von Nicht-Metallern angefeuert. „Neulich in der Bäckerei hat ein dortiger Mitarbeiter zu mir gesagt: ‚Schaut’s bitte, dass ihr einen gescheiten Abschluss zusammenbringt. Das hilft auch uns.“

Entwicklung des Mikrowarenkorbs in Prozent

„Die Metaller sind gewerkschaftlich extrem gut aufgestellt. Und wir werden natürlich alle Verhandlungen, die vor unseren stattfinden, mitverfolgen“, sagt etwa Maria Gluchman, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei Billa und Mitglied im KV-Verhandlungsteam der Handelsangestellten. Die KV-Verhandlungen der Handelsbranche beginnen am 18. Oktober 2022, also einen Monat nach den Metallern.

Schlechter Rat kommt teuer

Ideen wie etwa jene, dass die Herbstlohnrunde mit einer Einmalzahlung schnell über die Bühne gebracht werden könne, treffen bei den Verhandler:innen auf keine Gegenliebe. „Wir brauchen keine Ratschläge vom Finanzminister“, sagt Karl Schaller. Wer solche Angebote annimmt, würde nur draufzahlen. Einmalzahlungen soll es zusätzlich für besondere Leistungen geben, doch sie ersetzen laut Schaller keinen nachhaltigen Lohnabschluss. „Wir haben nachrechnen lassen“, sagt er. Bei einem Szenario einer Einmalzahlung von 3.000 Euro statt einer nachhaltigen Inflationsabgeltung würden Arbeitnehmer:innen über einen Betrachtungszeitraum von 20 Jahren durchschnittlich 66.356 Euro verlieren.

Karl Schaller, Konzernbetriebsratsvorsitzender der voestalpine AG und im KV-Verhandlungsteam der Metaller, Thema Herbstlohnrunde
Einmalzahlungen soll es zusätzlich für besondere Leistungen geben, doch sie ersetzen laut Karl Schaller keinen nachhaltigen Lohnabschluss. (c) Markus Zahradnik

Rekordgewinne, volle Auftragsbücher

Österreichs Paradeunternehmen voestalpine hatte 2021/22 mit einem Gewinn von 1,3 Milliarden Euro das erfolgreichste Geschäftsjahr der Konzerngeschichte. Die Dividende für die Aktionär:innen hat sich mehr als verdoppelt. Und nicht nur die „Voest“ performte, insgesamt sind die österreichischen Industrieunternehmen gut unterwegs. Die Auftragsbücher sind voll, die Produktion läuft. „Ein Rekordergebnis jagt das nächste. Die Zahlen sind sensationell. Es ist ja nicht etwa so, dass die Unternehmen nichts verdient hätten“, betont Wimmer.

Trotz dieser Erfolgsstory dürfte das heurige KV-Match auf keiner „gmahden Wiesn“ ausgetragen werden. „Wir müssen vor allem darauf achten, dass bei den Verhandlungen nicht nur in die Zukunft geschaut wird, die ja ohnehin niemand kennt“, sagt Wimmer. Die Gewerkschaften stützen sich bei KV-Verhandlungen stets auf echte Zahlen. Sie verhandeln also für die vergangenen zwölf Monate. Neben der durchgerechneten Inflationsrate wird dabei die wirtschaftliche Entwicklung der Betriebe berücksichtigt.

Die Teuerung spüren inzwischen alle. „Selbst Voestlerinnen und Voestler, die ja nicht schlecht verdienen, sagen, dass die Teuerungen zurzeit ein Wahnsinn sind“, berichtet Schaller. Daher braucht es einen ordentlichen Lohnabschluss. Speziell im Industriebereich müsse, so Wimmer, auch über den Wert von Arbeit gesprochen werden. Gerade in der Produktion ist eine Anwesenheit im Betrieb erforderlich. Da gibt es kein Homeoffice. „Das ist ein fundamentaler Unterschied“, wie Wimmer betont. Rückenwind bekommen die Gewerkschaften heuer auch vom Arbeitsmarkt, der längst zugunsten der Arbeitnehmer:innen brummt. Arbeitskräfte sind gesucht und klar im Vorteil. „Facharbeiter stehen hoch im Kurs“, erklärt Wimmer.

„Ein Rekordergebnis jagt das nächste. Die Zahlen sind sensationell. Es ist ja nicht etwa so, dass die Unternehmen nichts verdient hätten.“

Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der PRO-GE

Handlungsbedarf im Handel

Schauplatzwechsel von den „Metallern“ in den Handel, wo zwei Drittel der Beschäftigten Frauen sind, die vielfach in Teilzeit arbeiten. Viele von ihnen haben Kinder, und unter den Müttern sind viele Alleinerzieherinnen. Sie trifft die Teuerung besonders hart. Verzweifelte Mitarbeiter:innen, die sich an Vorgesetzte und Betriebsrat wenden, weil sie trotz Arbeit ihre Zahlungen nicht mehr stemmen können, mehren sich. „Unsere Beschäftigten haben deutlich höhere Erwartungen als sonst, weil einfach alles viel teurer geworden ist. Viele mussten ja
schon bisher auf jeden Euro schauen“, sagt Gluchman. Gegen die Teuerung hilft vor allem eines: mehr Geld. „Der Fokus liegt auf der Erhöhung der Gehälter. Das ist, was sich die Leute erwarten.“

Anteil der Konsumausgaben der privaten Haushalte im Jahr 2020

 

Politische Lösungen, bitte!

Damit aus der Herbstlohnrunde kein „Wie gewonnen, so zerronnen“ wird, müsse auch die Regierung mehr für eine nachhaltige Inflationsdämpfung tun, als Einmalzahlungen anzubieten, so der einheitliche Tenor. Das wären etwa die Besteuerung von Übergewinnen, Preisdeckel-Modelle bei Haushaltsenergie, das Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel oder das Aussetzen der Indexanpassung bei Mieten, um nur einige zu nennen. Und auch die Europäische Zentralbank (EZB) ist angehalten, ihre Zinspolitik an die aktuelle Situation mit nachhaltigen Zinsschritten anzupassen, denn der im Verhältnis zum US-Dollar schwache Euro verteuert Energie und Treibstoffe, die ja in Dollar gehandelt werden, zusätzlich.

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