Herausforderungen Kinder und Alte

Der Zuzug stellt Gemeinden wie Stockerau vor finanzielle Herausforderungen. Noch ist die Abfallwirtschaft in öffentlicher Hand.
Fotos (C) Markus Zahradnik

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  1. Seite 1 - Wachsen im Speckgürtel
  2. Seite 2 - Öffi-Anbindung fördern
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Welche Probleme Österreichs Kommunen in Zukunft zu schultern haben, lässt sich gut am Beispiel von Stockerau ablesen. Ein Lokalaugenschein mit Betriebsrat Thomas Salway in der 17.000-EinwohnerInnen-Stadt.
Noch sei die Müllentsorgung „in unserer Hand“, sagt Thomas Salway im Interview – wobei er das „noch“ besonders betont. Er ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der Stadtgemeinde Stockerau und vertritt in dieser Funktion 350 bis 370 Beschäftigte. „Wenn in der schönen Jahreszeit vor allem Frauen unsere Grünflächen bearbeiten, sind es mehr als im Winter.“ Die Stadt betreibt neben der Müllabfuhr und einer Gärtnerei zudem ein eigenes Bestattungsunternehmen, ebenso das Wasserwerk, ein Sportzentrum und eine Musikschule. „Wir beschäftigen auch Elek­triker, Maler und Maurer“, plaudert der Gemeinde-Betriebsrat aus dem Nähkästchen. Die Feuerwehr ist eine freiwillige, als Back-up sind aber fünf dienstführende Feuerwehrleute vorgesehen, die ebenfalls bei der Stadtgemeinde angestellt sind.

Wachsen im Speckgürtel

Stockerau ist mit mehr als 17.000 EinwohnerInnen – inklusive der kleinen Ortsteile Oberzögersdorf und Unterzögersdorf – die größte Stadt des Weinviertels. Sie liegt rund 20 Kilometer nordwestlich der Bundeshauptstadt und zählt zum sogenannten Speckgürtel von Wien. Daher ziehen immer mehr Menschen zu, etwa aus dem Waldviertel, bestätigt Betriebsrat Salway.

In den niederösterreichischen Gemeinden gibt es keine Gratis-Kindergärten.

Der Trend zeigt sich in vielen Teilen Österreichs: Während die Geburtenbilanz zurückgeht, ist der steigenden Wanderungsbilanz die Zunahme der EinwohnerInnen zu verdanken. Und darauf wird reagiert, insbesondere im Bildungsbereich. Stockerau hat mehrere Kindergärten (öffentliche und private) und etwa ein Dutzend Schulen (mehrere Volks-, Mittel- und Berufsschulen, ein Bundesrealgymnasium etc.).

Einen Paukenschlag setzte es jedoch vor einem Jahr: Die SchülerInnenanzahl stieg, weshalb etwa die Volksschulen VS West und VS Wondrak um- und ausgebaut werden sollten. Aufgrund der veranschlagten Kosten, die das Gemeindebudget weit überstiegen hätten, wurde das Vorhaben 2019 kurzerhand gestoppt. Es gab vorgezogene Gemeinderatswahlen, und das Bürgermeisteramt sowie die Mandatsmehrheit im Gemeinderat wanderten von der SPÖ zur ÖVP. Konsequenz für die betroffenen Schulen: Die LehrerInnen unterrichten die Kinder jetzt in aufgestellten Containern. Die Kinderbetreuung und die Pflege sieht Thomas Salway als „Problemkinder“ – insofern als es in beiden Bereichen mehr Plätze bräuchte.

Hinzu kommt: In den niederösterreichischen Gemeinden gibt es keine Gratis-Kindergärten wie in Wien oder seit Kurzem im Burgenland (dort ist seit November 2019 der Besuch einer Betreuungseinrichtung von der Kinderkrippe bis zum Schuleintritt während der gesamten Öffnungszeit kostenlos). In Niederösterreich ist, ähnlich wie in Oberösterreich, nur der Vormittag gratis – der Nachmittags-Kindergarten kostet allerdings. Eltern zahlen bis zu 95 Euro im Monat an Gebühren. Hinsichtlich der Pflege gibt es in Stockerau zwei Adressen, eine davon ist das neue niederösterreichische Pflege- und Betreuungszentrum „Arche“ (seit 2006) etwas außerhalb des Stadtzentrums. Die andere Einrichtung ist das zentral gelegene städtische Pflegeheim (seit 1995) im denkmalgeschützten und renovierten ehemaligen Krankenhaus, errichtet von Max Kropf, der im gesamten Stadtbild bis heute seine architektonische Handschrift hinterlassen hat.

Pflegeplätze ausgeschöpft

ArbeitnehmerInnenvertreter Salway weiß um die generell belastenden Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals samt unterdurchschnittlicher Bezahlung und den gravierenden Personalmangel – österreichweit. Es ist ihm ein besonderes Anliegen zu betonen: „Man sollte vielleicht über bessere Verdienstmöglichkeiten und altersgerechtes Arbeiten nachdenken. Unser Personal leistet sehr gute Arbeit. Die Kolleginnen und Kollegen haben uns auch 2019 bei der Arbeiterkammerwahl voll unterstützt“, so der FSG-Vertreter.

Man sollte vielleicht über bessere Verdienstmöglichkeiten und altersgerechtes Arbeiten nachdenken. Unser Personal leistet sehr gute Arbeit.

Thomas Salway, Betriebsratsvorsitzender

In der Stadtgemeinde Stockerau sind die Pflegeplätze ebenfalls ausgeschöpft, sagt er. Dabei kann er sogar aus eigener Erfahrung berichten: Ein Onkel benötigte nach einem Schlaganfall einen Pflegeplatz, konnte aber zunächst nur in Tulln (17 km entfernt) unterkommen, kam dann nach Korneuburg (10 km entfernt) und wurde erst nach einiger Wartezeit nach Stockerau verlegt. Die medizinische Versorgung sei hingegen sehr gut, mehr als 60 Arztstellen verschiedener Disziplinen gebe es in der Stadtgemeinde, berichtet Thomas Salway.

Die schmucke Innenstadt besticht mit erhalten gebliebenen Bürgerhäusern da und dort. In Sachen Nahversorgung gibt es Supermarkt, Fleischer, Bäcker, Konditor, Friseur, Optiker, Drogerie, Buchhandlung, etliche Textilgeschäfte sowie Gastronomiebetriebe – und, was bemerkenswert ist, ein relativ zentral gelegenes Kino, das immer noch privat geführt wird und jüngst sogar einen Saal dazugebaut hat.

Die beiden Pflegeheime sind vollständig ausgelastet, das Pflegepersonal würde sich bessere Verdienstmöglichkeiten verdienen, so Betriebsrat Salway.

Fast jeder hat ein Auto

Immer mehr Einkäufe verlagern sich dennoch in die beiden etwas außerhalb gelegenen Einkaufszentren. Viele strömen vor allem in den auf der grünen Wiese errichteten „Stop Shop“ nahe der Donauufer-Autobahn A 22, den der Immobilienkonzern Immofinanz betreibt. Die meisten fahren denn auch mit dem Auto einkaufen. „Heutzutage hat eh schon fast jeder ein Auto“, so Thomas Salway.

Öffentliche Verkehrsmittel, wie etwa kleine Innenstadtbusse, existieren deshalb in Stockerau auch gar nicht.

Öffentliche Verkehrsmittel, wie etwa kleine Innenstadtbusse, existieren deshalb in Stockerau auch gar nicht. Ebenso wenig Radwege oder Elektro-Roller, wie sie etwa gerade in der Bundeshauptstadt boomen.

Öffi-Anbindung fördern

Gut, dass die niederösterreichische Kleinstadt direkt an der Wiener Schnellbahnlinie liegt. Beim Bahnhof befinden sich ein Riesenparkplatz sowie eine überdachte Park-and-Ride-Anlage mit insgesamt mehr als 1.000 Pkw-Stellplätzen sowie 30 überdachten Fahrrad-Abstellplätzen.

Gut auch, dass in Niederösterreich (ebenso wie im Burgenland) die Nutzung der – mit Hilfe des Landes gebauten – P&R-Anlagen für Fahrgäste von öffentlichen Verkehrsmitteln kostenlos ist. Dass zu den Stoßzeiten sämtliche Plätze ausgelastet sind, zeigt, dass sich die Investition bezahlt gemacht hat.

Abzuwarten bleibt nach Aussage von Thomas Salway, welche Konzepte gegen den zunehmenden Verkehr unter der neuen ÖVP-Führung der Stadtgemeinde vorgesehen sind. Die momentane Situation beschreibt er eher als „Stückwerk“, und jede weitere Maßnahme kostet Geld, das nicht vorhanden ist.

Von
Heike Hausensteiner

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/20.

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Über den/die Autor:in

Heike Hausensteiner

Heike Hausensteiner ist seit ihrer Schulzeit Anhängerin der Aufklärung. Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie im Burgenland, studierte sie Sprach- und Europawissenschaften in Paris, Mailand, Wien und Krems/Donau. Als politische Redakteurin begann sie ihre journalistische Laufbahn 1996 bei der "Wiener Zeitung", wo sie u.a. auch das Europa-Ressort gründete. Nach einjähriger Baby-Karenz machte sie sich 2006 selbstständig und arbeitet seither als freie Journalistin für Zeitungen, Magazine und Online-Medien in Österreich und Deutschland sowie als Autorin (u.a. "Im Maschinenraum Europas. Die österreichische Sozialdemokratie im Europäischen Parlament", 2013) und Moderatorin. Sie lebt mit ihrer Familie und 2 Katzen in Wien.

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