Egal, ob in Wirtschaft, Klima oder Politik – die vergangenen Jahre glichen einer Achterbahnfahrt. Um Herausforderungen bewältigen zu können, sind im Betrieb gemeinsame Lösungen gefragt. Dabei entscheidet auch das eigene Wohlbefinden mit darüber, ob man in unsicheren Zeiten handlungsfähig ist. Susanne Mingers begleitet Menschen seit Jahren durch Veränderungen, Wandel und Weiterentwicklungen. Im Interview erklärt sie, welche Strategien Arbeitnehmer:innen helfen, gut durch schwierige Phasen zu kommen.
Arbeit&Wirtschaft: Wir haben wirtschaftlich schwierige Jahre hinter uns. Das spüren viele Menschen deutlich. Wie zeigt sich das in Ihrer Arbeit?
Susanne Mingers: Ja, leider hält die Rezession an und 2025 könnte ein weiteres Jahr der Firmenpleiten werden. Trotzdem steigt die Zahl an Unternehmensgründungen, während Stagnation und Inflation die Wirtschaft und die Menschen weiter belasten. Natürlich löst das Ängste und Sorgen aus. Viele fragen sich: „Werde ich meinen Arbeitsplatz verlieren? Kann ich mir meine Miete, meinen Lebensunterhalt weiter leisten?“
Hinzu kommen andere Krisen wie die Klimakatastrophe. Auch geopolitisch erleben wir sehr dynamische Zeiten…
Meiner Erfahrung nach führen all diese tiefgreifenden Umbrüche zu grundlegenden Unsicherheiten. Jeder Mensch hat unterschiedliche stabile Zonen, die Halt geben. Wenn mehrere berufliche und private Eckpfeiler wackeln, verunsichert das immens.

Wie kommt man aber raus aus Negativspiralen?
Ich habe drei Empfehlungen: Die erste lautet, zu akzeptieren, dass Veränderungen und Enttäuschungen zum Leben dazugehören. Das ist in solchen Zeiten besonders wichtig. Die zweite ist die Einsicht, dass solche Veränderungen schmerzhaft sein können. Sie lösen Gefühle wie Angst, Ärger, Wut, Resignation und Trauer aus. Die dritte Empfehlung lautet, individuell im privaten Umfeld, aber auch in den Teams im Betrieb Strategien zu finden, mit Veränderungen umzugehen.
Was sind das für Strategien?
Sie bestehen in erster Linie darin, über Belastendes zu sprechen. Gefühle lassen sich regulieren und verarbeiten, indem wir darüber reden und ihnen Raum geben. Es geht darum, für sich selbst sichere Zonen zu schaffen, um Entspannung zu finden, freudvolle Momente zu erleben und Stabiles sowie Gewohntes zu schützen. Eine weitere Strategie ist Ablenkung – die großen Themen, die global und eben auch im individuellen Lebensraum belasten, einmal ausblenden zu dürfen. Und die letzte Strategie ist – und das klingt vielleicht etwas pathetisch – dankbar zu sein für das, was ist, und für das, was im eigenen Leben gut läuft.
Wie kann man gröbere Umwälzungen im Unternehmen möglichst verträglich gestalten?
Das führt uns zu der Frage, welche Verantwortung und Rolle Führungskräfte haben, um Veränderungen in Unternehmen zu begleiten. Kurz gesagt: Ihr Job besteht darin, einerseits sachlich zu überzeugen und andererseits emotional abzuholen.
Was bedeutet in diesem Fall sachlich überzeugen?
Klartext reden! Den Mitarbeiter:innen sollte man Antworten auf drei Gretchenfragen geben: Warum ist die Veränderung notwendig? Was ist das Ziel der Veränderung? Und wie soll der Weg dorthin aussehen? Emotional abholen bedeutet, dass Führungskräfte etwa Meetings nutzen sollten, um Veränderungen zu besprechen. Ich nenne das gerne Stimmungsrunden: Welche Sorgen, welche Ängste gibt es bezüglich einer Veränderung? Die Teammitglieder sprechen reihum und tauschen sich aus. Solche Runden sind unglaublich wichtig. Veränderungskommunikation wird häufig unterschätzt. Dabei müssen Unternehmen eine Routine gewinnen, mit Wandel umzugehen.
Arbeitnehmer:innen müssen digitale Kompetenzen erwerben,
um künftig in einer von KI geprägten Arbeitswelt mithalten
und teilhaben zu können.
Susanne Mingers, Beraterin
Was braucht es dafür?
Ich empfehle Führungsteams, sich ein paar Stunden im eigenen Kreis abzustimmen, bevor sie auch nur einen Pieps kommunizieren. Es gilt, die wichtigsten Dinge schriftlich auszuarbeiten, als Basis und Vorbereitung ihrer Veränderungskommunikation. Weil häufig erfolgt diese nicht abgestimmt, weder zeitlich, prozessbezogen noch inhaltlich. Und das steigert letztlich die Verwirrung und die Unsicherheit im Unternehmen. Bei dieser Vorbereitung und der Veränderungskommunikation geht es um die Menschen, die sollen im Mittelpunkt stehen.
Stichwort KI, Digitalisierung und Automatisierung: Wie viel Wandel kommt auf die Berufswelt zu?
Meine Einschätzung ist, dass die Umbrüche drastisch werden. Die gute Nachricht ist aber, dass viele neue Berufsfelder entstehen werden. Eine riesige Herausforderung bleibt die Qualifizierung. Arbeitnehmer:innen müssen digitale Kompetenzen erwerben, um künftig in einer von KI geprägten Arbeitswelt mithalten und teilhaben zu können.
Wie kann der Betriebsrat solche schwierigen Veränderungsprozesse begleiten?
Betriebsratsmitglieder haben laut Paragraf 108 des Arbeitsverfassungsgesetzes wirtschaftliche Informations-, Interventions- und Beratungsrechte. Ich empfehle dringend, diese Rechte zu nutzen. Der Betriebsrat sollte Einsicht verlangen, etwa in die Unternehmensstrategie, die Bilanzen oder wirtschaftliche Kennzahlen. Je nach Unternehmensgröße ist das unterschiedlich umsetzbar. Aber auch ein proaktives Beobachten des wirtschaftlichen Umfelds des Unternehmens – etwa die Entwicklung des Marktes und des Wettbewerbs – hilft. Betriebsrät:innen können ein wichtiges Korrektiv sein und Entscheidendes einfordern.
Für einige Arbeitgeber ist es leider nicht selbstverständlich, dass Beschäftigte ihr Recht auf Pflegefreistellung in Anspruch nehmen. Deshalb sehen wir es eindeutig als Green Flag, wenn Chefs oder Chefinnen verständnisvoll sind. Alle Infos zur Pflegefreistellung ▶️ www.gpa.at/pflegefreistellung
— Gewerkschaft GPA (@gewerkschaftgpa.bsky.social) 4. September 2025 um 07:03
Nicht immer einfach, erst recht in turbulenten Zeiten…
Die Rolle von Betriebsrät:innen ist aus meiner Sicht extrem anspruchsvoll. Einerseits vertreten sie die Interessen der Arbeitnehmer:innen, die sehr vielschichtig sein können. Andererseits ist es wichtig, wenn möglich eine gute Zusammenarbeit mit der Unternehmensführung im Sinne der Belegschaft zu suchen. Je nach Umfeld und Dynamik befinden sie sich da im Spagat zwischen Konflikt und Kooperation. Diese Rolle ist spannend und wertvoll, denn der Betriebsrat hat die Chance – und letztlich das Recht und die Pflicht – mitzugestalten.