Arbeitszeitverkürzung: Wann, wenn nicht jetzt?

Eine Frau sitzt an ihrem Schreibtisch, vor ihr ein Laptop und ein Wecker. Symbolbild für die Arbeitszeitverkürzung.
Die gestiegene Produktivität spricht für eine Arbeitszeitverkürzung. | ©Adobestock/mrmohock
Das Gros der Arbeitgeber:innen ist nicht für eine Arbeitszeitverkürzung zu haben und argumentiert viel lieber mit dem Schlagwort „Fachkräftemangel“. Aber gibt es den überhaupt? Und warum käme eine kürzere Normalarbeitszeit allen zugute?
Wer in Österreich Vollzeit arbeitet, macht oft viele Überstunden. Gleichzeitig würden viele Teilzeitkräfte gerne etwas mehr arbeiten, sagt ÖGB-Arbeitsrechtsexperte Martin Müller. Die naheliegendste Lösung: eine generelle Arbeitszeitverkürzung. Die einen gerieten so nicht in Gefahr, auszubrennen und schon Jahre vor dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter gar nicht mehr erwerbsfähig zu sein. Die anderen könnten nicht nur im Jetzt ihr Leben besser finanzieren, sondern wären auch im Alter besser abgesichert – Stichwort Altersarmut durch zu niedrige Einzahlungen auf das Pensionskonto.

Generelle Arbeitszeitverkürzung: Kurz und gut

Seit Jahren fordern ÖGB und AK daher eine generelle Arbeitszeitverkürzung, doch die Wirtschaft winkt mehrheitlich ab. So kommt das Thema nie wirklich auf die politische Agenda. Aktuell kämpfen einige Branchen damit, Mitarbeiter:innen zu finden – vordergründig ein starkes Argument gegen eine niedrigere Normalarbeitszeit. „Es gibt aber für die Wirtschaft nie den richtigen Zeitpunkt für eine Arbeitszeitverkürzung“, wirft Müller ein. „Entweder heißt es, bei der hohen Arbeitslosigkeit darf man das Wirtschaftswachstum nicht gefährden, oder es heißt, es gibt einen Fachkräftemangel und man findet kein Personal.“

Beim Stichwort „Fachkräftemangel“ merkt Dennis Tamesberger, Leiter des Teams Sozialpolitik der AK Oberösterreich, nur trocken an: „Von einem generellen massiven Arbeitskräftemangel, wie er von Unternehmer:innenseite plakativ beklagt wird, sind wir weit entfernt.“ Im Jahresdurchschnitt 2022 habe es rund 333.000 Arbeitssuchende gegeben. Die Arbeitslosenquote lag bei über sechs Prozent, und rund 40 Prozent der offenen Stellen würden keinen Abschluss oder maximal einen Pflichtschulabschluss voraussetzen. „Das mit den mangelnden Fachkräften ist zum Teil nur ein Framing, um von den hausgemachten Problemen mancher Branchen abzulenken.“ Sehe man sich dann an, wo Arbeitskräfte fehlen, seien es nämlich einerseits schlecht bezahlte Branchen, und andererseits die Rahmenbedingungen der Arbeit nicht stimmen, und das betreffe vor allem die Gastronomie, aber auch den Bereich der Reinigung und der Leiharbeit.

Bewährte Krisenabwehr

Die Corona-Pandemie hat auf dem Arbeitsmarkt viel verändert, gibt Michael Gogola von der Grundlagenabteilung der GPA zu bedenken. Einerseits hätten sich Mitarbeiter:innen zum Beispiel aus der Gastronomie und dem Handel anderen Branchen zugewandt. Andererseits hätten viele Beschäftigte, in deren Betrieb Kurzarbeit zum Einsatz kam, diese schätzen gelernt. „Sie haben gesehen, dass sich so Privatleben und Arbeitstätigkeit besser vereinbaren lassen.“ Ein Spannungsfeld ergebe sich aber mit der Einkommenssituation. Genau deshalb müsse eine generelle Arbeitszeitverkürzung mit einem vollen Lohnausgleich einhergehen.

Initiative ist gefragt

Um wie viele Stunden soll denn die Normalarbeitszeit verkürzt werden? Hier versteift sich der ÖGB auf keine konkrete Stundenzahl. Angestrebt werde eine Reduktion, so Müller. Gogola verweist auf Betriebe, die mit innovativen Arbeitszeitmodellen auch bezüglich Personalsuche punkten können: So werde bei T-Systems derzeit die 36-Stunde-Woche erprobt, im Parkhotel Brunauer in Salzburg gibt es seit dem Frühjahr eine 4-Tage-Woche. Mit letzterer punkte auch das Unternehmen epunkt in Oberösterreich. „Man sieht also, solche Modelle funktionieren.“

„Das ist in Wahrheit wieder ein Klassenkampf von oben“, so Dennis Tamesberger
zur geplanten Abschaffung der geblockten Altersteilzeit, zumal es keinen Zusammenhang zwischen Altersteilzeit und Arbeitskräftemangel gebe. | © AK OÖ – Wolfgang Spitzbart

Ein wichtiger Faktor, der für eine generelle Arbeitszeitverkürzung spricht, ist zudem die gestiegene Produktivität, wie alle drei Experten betonen. Wer über einen langen Zeitraum ständig mehr Leistung in kürzerer Zeit erbringt, dem drohen allerdings Burnout und Erschöpfung. In der Folge führt das zu höherer Arbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmer:innen. Tamesberger sieht daher auf der Unternehmensseite einen Teil der Lösung darin, ein größeres Augenmerk auf ein altersgerechtes Arbeiten zu legen. Hier sollen Unternehmen bereits bei den jetzt Jungen anfangen: Schaffen sie es, eine bessere Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, werden sie einmal länger im Arbeitsprozess verbleiben können.

Für die nun Älteren ist das Modell der Altersteilzeit eine gute Lösung – auch hier geht es ja um eine Arbeitszeitreduzierung. Dass nun von Regierungsseite überlegt wird, die geblockte Altersteilzeit abzuschaffen, hält Tamesberger übrigens „für Humbug“. Warum? „Das ist in Wahrheit wieder ein Klassenkampf von oben und wird an der Arbeitsmarktsituation nichts ändern, denn zwischen geblockter Altersteilzeit und einem Fachkräftemangel gibt es keinen Zusammenhang.“ Auch dem Vorstoß, für Pensionist:innen, die dazuverdienen, keine Pensionsbeiträge mehr vorzusehen, kann er nichts abgewinnen. Hier würden einerseits vor allem Arbeitgeber:innen und ohnehin gut Verdienende profitieren. „Da geht es nicht um finanzielle Anreize, um länger zu arbeiten.“ Und andererseits entstünde so ein Wettbewerbsvorteil gegenüber jüngeren Arbeitnehmer:innen und Arbeitssuchenden.

Frauen entlasten

Gogola plädiert für andere Maßnahmen, um mehr Menschen – und dabei vor allem Frauen – überhaupt auf den Arbeitsmarkt zu bringen oder ihnen eine Vollzeitarbeit zu ermöglichen: Das ist einerseits der Ausbau von ganztägigen Kinderbildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen mit Nachmittagsbetreuung. Hier gehe es auch um die Öffnungszeiten und die Qualität.

Dasselbe gelte für den Bereich Pflege: Zum einen entlastet eine Arbeitszeitverkürzung Frauen, die den Hauptteil der Care-Arbeit leisten, die damit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, und zum anderen kann eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowohl in Kindergärten als auch in der Pflege mehr Menschen dafür gewinnen. Genau diese Berufe, in denen es um die Versorgung von Menschen gehe, seien Zukunftsjobs. Sie seien nicht energieintensiv, und hier werde kaum CO2 produziert, so Gogola.

Um mehr Menschen zu motivieren, in der Pflege, aber auch in der Gastronomie zu arbeiten, seien neben einem adäquaten Entgelt vor allem die Arbeitsbedingungen ausschlaggebend. Und da sei Planbarkeit ein wichtiger Faktor, so Tamesberger. Wer über seine Freizeit wirklich verfügen kann, wird eher gesund bleiben und daher auch länger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Und das wiederum sei nicht zuletzt aufgrund der demografischen Gegebenheiten geboten. „Wenn man möchte, dass ältere Arbeitnehmer:innen gesund bis zum Pensionsantrittsalter arbeiten, ist eine Arbeitszeitverkürzung eine geeignete Maßnahme.“

Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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