Generation Altersarm?

Illustration (C) Adobe Stock
Die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse und unterbrochene Erwerbslaufbahnen stellen Arbeitsmarkt und Pensionssystem vor neue Herausforderungen: Eine Erwerbslücke von einem Jahr reduziert die Monatspen­sion bereits um rund 2,8 Prozent.
Über unser Pensionssystem kursieren gespaltene Erzählungen. Jede politische Partei hat beispielsweise, je nach Interesse, eine eigene Erzählung dazu.  Die von einer klaren Absicht und Verantwortung getragene Prognose „Unsere Pensionen sind sicher“ wird ebenso oft von Schreckensgeschichten und Agenda-Parolen, wie „Wir müssen unser System enkelfit machen“, begleitet. Die erste Prognose ist von dem klaren Willen gekennzeichnet unsere sozialstaatliche Absicherung zu erhalten und zu verbessern, die anderen beiden setzen darauf, dass der „freie Markt“ – also private Versicherungskonzerne es richten soll.

Ein Aspekt kommt in der Dauerdebatte aber auf jeden Fall zu kurz. Nämlich, dass sichere Pensionen auf einem stabilen Arbeitsmarkt aufbauen. Denn unser Pensionssystem ist auf kontinuierliche Vollerwerbsverläufe mit möglichst wenigen Unterbrechungen oder Schwankungen ausgerichtet. Doch mit unserem Arbeitsmarkt und seinen realen Beschäftigungsverhältnissen deckt sich dieses System nur noch bedingt. Ein großer Teil der Frauen leidet bereits heute unter zu kleinen Pensionen, mit denen es sich kaum leben lässt. Mit einem Blick auf die aktuelle Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse in Österreich könnte sie jedoch noch weiteren Gruppen drohen, die bisher verschont geblieben waren. Die Altersarmut klopft nun auch an ihre Tür.

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Nichtsdestotrotz wird in der Debatte über eine stabile zukünftige Finanzierung unserer Pensionen vorwiegend darüber geredet, dass wir länger arbeiten sollen. Wobei ausschließlich das Ende unserer Erwerbskarrieren, also unser Pensionsantrittsalter, im Fokus steht. Doch wie wir arbeiten sollen, ist bei der Diskussion rund um fehlende Beitragszeiten kaum Thema. Jedoch kommt es neben fehlenden Jahren unmittelbar vor der Pension, die fast ausschließlich aufgrund von Krankheit und Arbeitslosigkeit entstehen, auch zu Verlusten beim inzwischen stark in die Länge gezogenen Berufseinstieg. Lücken durch atypische und unsichere Beschäftigung leisten zudem einen wesentlichen Beitrag in der Bemessung der Pensionen.

Generation Praktikum – Generation Altersarm

Es ist kein Geheimnis mehr, dass die Zeiten, in denen unmittelbar nach dem Abschluss einer Ausbildung auch ein unbefristeter Normalarbeitsvertrag mit solider sozialer Absicherung wartete, leider Geschichte sind. Nicht nur vor und während der Lehr-, Schul-, Hochschulzeiten müssen Praktika absolviert werden, sondern auch danach. Wer in einem Beruf Fuß fassen möchte, soll die Arbeitserfahrung bereits vor Dienstbeginn mitbringen. Die Hälfte der „Gelegenheiten, Arbeitserfahrung zu sammeln“, werden allerdings nicht nur nicht bezahlt, es werden von den ArbeitgeberInnen auch keine Sozialversicherungsbeiträge dafür eingezahlt. Berechnungen der Gewerkschaft GPA-djp haben ergeben, dass den Sozialversicherungsträgern circa 69 Millionen Euro pro Jahr an Sozialversicherungsbeiträgen für PraktikantInnen vorenthalten werden.

Berechnungen der Gewerkschaft GPA-djp haben ergeben, dass den Sozialversicherungsträgern circa 69 Millionen Euro pro Jahr an Sozialversicherungsbeiträgen für PraktikantInnen vorenthalten werden.

Zwar ist das Datenmaterial zur Lage der „Generation Praktikum“ begrenzt, aber immerhin wurden bereits solide Daten zu den Praktikumserfahrungen von Studierenden erhoben. Demnach werden 63 Prozent der Studierenden, die ein Pflichtpraktikum, und 43 Prozent derer, die ein „freiwilliges“ Praktikum, das außerhalb des Studiums stattfindet, absolvieren, nicht sozialversichert. Eine Unmenge an offenkundigen Praktika-Ausschreibungen und zahlreiche Rückmeldungen von AbsolventInnen bestätigen den Verdacht, dass es auch nach dem Abschluss für junge Erwerbstätige, die Praktika absolvieren, nicht viel besser aussieht.

JungakademikerInnen können erst mit Ende zwanzig damit beginnen, ordentliche Beiträge in ihr Pensionskonto einzuzahlen.

Die Konsequenzen sind nicht nur unmittelbar nach der Ausbildung bitter, wenn es trotz mehrjährigen Jobbens und zig Praktika keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld gibt, sondern auch viel später im Alter. Nachdem das durchschnittliche Alter von Studierenden in Österreich bei rund 26 Jahren liegt, muss zudem davon ausgegangen werden, dass JungakademikerInnen erst mit Ende zwanzig, Anfang dreißig überhaupt damit beginnen können, ordentliche Beiträge in ihr Pensionskonto einzuzahlen.

Prekäres Jobben – prekäre Pension

Und was wartet nach dem Praktika-Schmäh? Auch danach geht es für über ein Drittel der Beschäftigten und ihr Pensionskonto nicht besonders rosig weiter. Denn alle zwischen 2012 und 2018 neu entstandenen Arbeitsplätze waren „atypisch“, in diesem Zeitraum sind in Österreich keine zusätzlichen Vollzeitarbeitsplätze mehr entstanden. Bei Teilzeitstellen, geringfügigen oder befristeten Jobs, Leiharbeit und Verträgen auf Honorarbasis kam es seit der Finanzkrise 2008 zu einem starken Zuwachs von fast 30 Prozent. Deswegen waren im Jahr 2018 auch 1.306.300 Erwerbstätige „atypisch“ beschäftigt, und bloß noch 2.494.300 waren in einem Normalarbeitsverhältnis angestellt oder haben gerade eine Lehre absolviert.

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Zwischen Männern und Frauen liegt darin eine deutliche Kluft. Denn „atypische“ Jobs sind für Frauen heute typisch – trotz all der Nachteile, die das mit sich bringt. Während rund 83 Prozent der Männer im Rahmen eines Normalarbeitsverhältnisses erwerbstätig waren, traf dies nur auf rund 47 Prozent der Frauen zu.

Während rund 83 Prozent der Männer im Rahmen eines Normalarbeitsverhältnisses erwerbstätig waren, traf dies nur auf rund 47 Prozent der Frauen zu.

Mehr als die Hälfte aller Frauen sind in Österreich „atypisch“ beschäftigt, was sowohl hinsichtlich ihres Einkommens als auch ihrer zukünftigen Pensionen ein Drama ist. Immerhin werden „atypisch“ Beschäftigte um rund ein Viertel schlechter bezahlt, und Teilzeitbeschäftigte erhalten lediglich ein Teilzeitgehalt. Folglich wird das Minus am Pensionskonto mit jedem einzelnen Jahr, in dem nicht voll eingezahlt werden kann, größer. Schon eine zweijährige Teilzeiterwerbstätigkeit senkt die Durch­schnittspension um 1,7 bis 2,1 Prozent.

Erwerbslücke – Pensionslücke

Eine Erwerbslücke von einem Jahr reduziert die Monatspen­sion bereits um rund 2,8 Prozent.

Phasen der Erwerbslosigkeit und Arbeitslosigkeit, die in nahezu allen Erwerbslaufbahnen vorkommen, wirken sich zusätzlich drastisch aus. Besonders hart trifft dies Kurzzeit-JobberInnen, die einzig für ein paar Monate durchgehend beim gleichen Arbeitgeber gemeldet sind und innerhalb eines Jahres mehrmals zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit wechseln müssen. Am österreichischen Arbeitsmarkt alles andere als ein Ausnahmephänomen, es ergeht rund 34 Prozent aller Erwerbstätigen nicht anders. Besonders betroffen sind beispielsweise Leiharbeitskräfte, befristet Beschäftigte, junge Beschäftigte, Saisonarbeitskräfte, aber auch die Gruppe derjenigen, die im Dienstleistungsgewerbe arbeiten. Eine Erwerbslücke von einem Jahr reduziert die Monatspen­sion bereits um rund 2,8 Prozent.

Nur 2 Prozent der Frauen, die 2016 eine Pension neu zuerkannt bekommen haben, konnten die volle 45-jährige Versicherungszeit aufweisen.

Dementsprechend verwundert es auch nicht, dass derzeit gerade einmal ein sehr kleiner Teil der Neupensionierten beim Pensionsantritt eine 45-jährige Versi­cherungszeit vorweisen können. 2016 konnten dies nur 2 Prozent der Frauen, die eine Alterspension zuerkannt bekommen haben, und lediglich die Hälfte der Männer. Es zeigt sich also ganz klar: Längeres Arbeiten allein, selbst wenn wir zukünftig bis ins hohe Alter formaler Lohnarbeit nachgehen sollten, wird das Problem nicht lösen. Es braucht vor allem wieder einen gut regulierten und stabilen Arbeitsmarkt, damit wir nicht nur besser bezahlt, sondern auch besser abgesichert werden.

Über den/die Autor:in

Veronika Bohrn Mena

Veronika Bohrn Mena ist Autorin des Buches „Die neue ArbeiterInnenklasse – Menschen in prekären Verhältnissen“ und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit prekären Arbeitsverhältnissen, Segmentierungsprozessen und Veränderungen in der Arbeitswelt mitsamt ihren Auswirkungen. Sie ist ausgebildete Fotografin und hat Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien studiert. Seit 2013 arbeitet sie hauptberuflich in der Gewerkschaft GPA-djp in der Interessenvertretung als Expertin für atypische Beschäftigung. Sie war auch die Vorsitzende der Plattform Generation Praktikum und hat sich als Studentin in der ÖH Bundesvertretung engagiert.

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