Gefährliche Nebenwirkungen

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Die Stärkung des Wirtschaftsstandorts und der Wettbewerbsfähigkeit sind zu Schlagworten geworden, mit denen auch Maßnahmen wie Lohndruck, Abbau sozialer Sicherungssysteme und der Rechte von ArbeitnehmerInnen vorangetrieben werden. Auch die vorgeschlagene Staatszielbestimmung könnte in diesem Sinne benutzt werden.
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Die Regierung will den "wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort" als Staatsziel in der Verfassung verankern. Dieses Vorhaben ist mit großer Vorsicht zu genießen.
Die Bundesregierung will den „wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort“ als Staatsziel in der Verfassung verankern. Verfassungsgesetze spiegeln die Grundordnung einer Gesellschaft wider. Insofern ist es wichtig, was in einer Verfassung verankert wird und was nicht. Verfassungsgesetze haben nicht nur erhöhte Bestandskraft – sie können nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat geändert werden –, sondern auch hohe Symbolkraft. Verfassungsbestimmungen sind damit Leuchttürme, die Orientierung geben sollen – und deren Interpretation auch Schatten auf die einfache Gesetzgebung wirft.

Sinn und Zweck?

Vor diesem Hintergrund muss nachgefragt werden, was das geplante Staatsziel bezwecken soll. An sich geht es um folgende Änderung: Das bestehende Verfassungsgesetz über „die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung“ soll um das Staatsziel „Wirtschaftsstandort“ ergänzt werden. Aufgekommen ist diese Idee nach einem Gerichtsurteil zum Bau der dritten Piste des Flughafen Wien. Das Bundesverwaltungsgericht hatte diesen in einem Verfahren mit Hinweis auf die EU und österreichische Umweltgesetzgebung untersagt, mittlerweile in einem neuen Verfahren aber genehmigt. Daraus entspann sich aber ein breiter Diskurs zu überlangen Verfahren zur Errichtung von Infrastrukturprojekten, Investitionsschutz und zur Bedeutung von Klimaschutzzielen. Welches dieser Probleme würde die neue Verfassungsbestimmung nun angehen? Gar keines. Damit zeigt sich, dass es sich um einen symbolischen Akt handelt, allerdings mit Nebenwirkungen.

Gefährliche Schlagworte

Die Stärkung des Wirtschaftsstandorts und der Wettbewerbsfähigkeit sind zu Schlagworten geworden, mit denen auch Maßnahmen wie Lohndruck, Abbau sozialer Sicherungssysteme und der Rechte von ArbeitnehmerInnen vorangetrieben werden. Auch die vorgeschlagene Staatszielbestimmung könnte in diesem Sinne benutzt werden.

Dass diese Annahme nicht nur Spekulation ist, zeigt eine Stellungnahme des Finanzministeriums, die nach Veröffentlichung wieder zurückgezogen wurde. Darin heißt es, dass es mit dem neuen Staatsziel zu Zielkonflikten in Verfassungsrang kommen könnte: „Zudem könnte die explizite Nennung des Ziels eines wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts bei Nichteinhaltung oder allenfalls auch nur Änderungen im Ausland Klagen gegen die Republik induzieren.“ Gemeint ist damit, dass ausländische Investoren Österreich klagen könnten, wenn sie, warum auch immer, ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt sehen. Es obläge damit einem Gericht zu bewerten, ob ein Gesetz Unternehmen unsachlich benachteiligt. Dabei wägt es Grundrechte der Unternehmen und unter Umständen jene der Beschäftigten gegeneinander ab. Wenn nun die aktuell zur Diskussion stehende Formulierung in die Bundesverfassung aufgenommen wird, allerdings keine sozialen Grundrechte verankert werden, so ist absehbar, auf welche Seite sich die Waagschale eher senken wird.

Das ursprüngliche Staatsziel zum umfassenden Umweltschutz wurde 1984 als bewusstes Gegengewicht zu den ohnehin verfassungsmäßig gut abgesicherten wirtschaftlichen Grundrechten (z. B. Erwerbsfreiheit, Unverletzlichkeit des Eigentums) geschaffen. Es sollte sicherstellen, dass neben den in Marktwirtschaften dominanten wirtschaftlichen Interessen auch ökologische Interessen Berücksichtigung finden. Würde nun der Wirtschaftsstandort in der Verfassung verankert, so stünde dieser neben dem Staatsziel der Nachhaltigkeit. Dieser Widerspruch erhöht die Unklarheit in Verfahren, statt Klarheit zu schaffen.

Während der Entwurf der Regierung versucht, eine vermeintliche Schieflage zwischen Umweltanliegen und Wirtschaftsanliegen zu korrigieren, schafft er in Wirklichkeit eine viel gefährlichere Schieflage zwischen den sozialen Interessen der Bevölkerung und Interessen der Wirtschaft. Schon jetzt enthält die österreichische Verfassung – anders als die meisten europäischen Verfassungen – keine sozialen Grundrechte etwa auf faire Entlohnung und Arbeitsbedingungen sowie auf soziale Absicherung bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter. Sehr wohl aber enthält sie eben wirtschaftliche Grundrechte. Würden die letztgenannten wirtschaftlichen Grundrechte nun um eine Staatszielbestimmung zur Wettbewerbsfähigkeit erweitert, würde das Ungleichgewicht in der österreichischen Bundesverfassung zwischen den Interessen der (meist unselbstständig beschäftigten) Menschen an sozialem Schutz einerseits und der Wirtschaft andererseits noch weiter verschärft.

Allgemein statt partikular

Ein Staatsziel sollte ganz allgemein über Partikularinteressen stehen, im konkreten Fall nicht einseitig Unternehmensinteressen bedienen. Der Fokus der Bestimmung ist sehr eng und folgt der Logik der Betriebswirtschaftslehre. Während aus betriebswirtschaftlicher, unternehmerischer Sicht zumeist die kurzfristige Optimierung der Produktionsfaktoren im Mittelpunkt steht, dominiert aus volkswirtschaftlicher Perspektive die mittel- und langfristige Sicht, wenn es darum geht, das ökonomische Potenzial einer Volkwirtschaft zu erhöhen. Volkswirtschaftlich zentral ist eine langfristige, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Strategie zur Weiterentwicklung wirtschaftlicher Aktivitäten, bei der die Menschen mit ihren Ideen, Fähigkeiten und Potenzialen sowie deren Umwelt im Mittelpunkt stehen. Denn diese Faktoren bestimmen schließlich das Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft und damit auch deren Wohlstandsniveau. Eine langfristige Nachhaltigkeitsperspektive ist daher kurzfristigen Wettbewerbsfaktoren, die auf kostenmäßige bzw. preisliche Aspekte fokussieren, vorzuziehen.

Ziel einer ökonomischen Betrachtungsweise und damit einer Staatszielbestimmung sollte daher eine wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik bzw. ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeit sein. Österreich hat sich im Rahmen internationaler Verträge wie den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen zur Nachhaltigkeit verpflichtet. Ziel acht definiert, dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle zu fördern.

Als Argument für das neue Gesetz werden auch zu lange Genehmigungsverfahren genannt. Die AK sieht die lange Verfahrensdauer bei großen Infrastrukturprojekten als problematisch an. Die geplante Staatszielbestimmung ist aber nicht zielführend, weil damit kein Genehmigungsverfahren schneller ablaufen wird. Wenn etwas für zügigere Verfahren und mehr Vorhersehbarkeit von Entscheidungen getan werden soll, dann sollte über eine Bündelung der relevanten Kompetenzen beim Bund geredet und für eine verbindliche Planungskoordination zwischen der Landesraumordnung und der Bundesinfrastrukturplanung gesorgt werden.

Die Staatszielbestimmung kann also nur als Anlassgesetzgebung bezeichnet werden. Der Kollateralschaden, der mit dieser Bestimmung im Hinblick auf eine nachhaltige gesamtwirtschaftliche Strategie entstehen kann, ist indes enorm. Statt den „Wirtschaftsstandort“ verfassungsrechtlich abzusichern, gilt es, die längst überfällige verfassungsmäßige Verankerung sozialer Grundrechte als Gegengewicht zu wirtschaftlichen Grundrechten in der Verfassung zu verankern. Aus der Sicht der AK gibt es keinen unmittelbaren Bedarf für ein Staatsziel „Wirtschaftswachstum“ oder „Wirtschaftsstandort“ in der Verfassung. Ein einseitiger Wettbewerbsbegriff, der nur das Wohl der Unternehmen, nicht aber der Menschen im Blick hat, hat in der österreichischen Verfassung nichts verloren.

Stellungnahme der Bundesarbeitskammer zum Verfassungsgesetz
Nachhaltige Entwicklung – Agenda 2030/SDGs

Von
Christa Schlager und Werner Hochreiter 
Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien/Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/18.

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