Von wegen Scheinjob. Eine Reportage

Inhalt

  1. Seite 1 - Wirtschaftliche Ziele mit sozialen Ansprüchen
  2. Seite 2 - Vom Transitarbeitsplatz zur Festanstellung
  3. Seite 3 - Stück für Stück Leute aufbauen
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In Sozialökonomischen Betrieben soll langzeitarbeitslosen Menschen geholfen werden, über sinnstiftende und würdevolle Arbeit einen Weg in eine neue Vollzeitstelle zu finden. Eine Reise in eine Spar-Filiale und ein Restaurant des Inigo-Programms der Caritas.

Ein Coach unterstützt die Langzeitarbeitslosen bei der Wiedereingliederung ins Berufsleben und allen Schwierigkeiten, die dabei auftreten können.

Vom Transitarbeitsplatz zur Festanstellung

2017 schieden im Lauf des Jahres 124 Transitarbeitskräfte aus dem Sozialökonomischen Betrieb INIGO aus, 34,7 Prozent fanden einen neuen Arbeitsplatz. Bis Ende September 2018 schieden 108 Transitarbeitskräfte aus, von denen 43,5 Prozent eine Festanstellung gefunden hatten.

Um diese Quote nach oben zu schrauben, arbeitet im Hintergrund ein ganzer Apparat der Caritas. Jeder Sozialökonomische Betrieb bekommt einen Coach zur Seite gestellt, der Langzeitarbeitslosen bei grundlegenden Problemen helfen soll. Oft müssen die ArbeitnehmerInnen mit Schulden kämpfen, eine Wohnung finden, Deutsch lernen, Betreuungsplätze für ihre Kinder finden, ausufernd viele Behördengänge machen oder einen Ausbildungs- oder Schulabschluss nachholen. Bei all diesen Dingen helfen die Coaches.

Die Personalentwicklung ist unser wichtigstes Anliegen. In der Zeit, in der die Leute bei uns sind, haben wir regelmäßig Termine mit ihnen, um zu sehen, wo wir helfen können.

Tanja Zimmermann, Coach bei Inigo Handel

Wie Tanja Zimmermann: „Die Personalentwicklung ist unser wichtigstes Anliegen. In der Zeit, in der die Leute bei uns sind, haben wir regelmäßig Termine mit ihnen, um zu sehen, wo wir helfen können.“  Es geht darum, dass die Menschen ein paar Sorgen weniger haben und sich auf die Arbeit und ihre Zukunft konzentrieren können.

Arbeitskräfte, die geschätzt werden

Hilfe ist vor allem in Sachen Jobvermittlung gefragt. Wer bei einem sozialökonomischen Betrieb der Caritas arbeitet, der sucht nach einem Job außerhalb dieses Kosmos. Dafür organisieren Personen wie Zimmermann Empfehlungen und Probetage. Freilich nur jenen, bei denen es langfristig sinnvoll erscheint. Menschen, die sich realistische Ziele gesetzt haben und die mit ihrer Arbeitseinstellung auch gute Chancen haben, die Stelle zu behalten.

Bewähren sie sich bei ihrem/ihrer neuen ArbeitgeberIn, steigert das den Ruf der Caritas-Betriebe. Hart haben sich alle Beteiligten so eine herausragende Mund-zu-Mund-Propaganda erarbeitet und die Unternehmen wissen die Arbeitskräfte sehr zu schätzen, denn sie kriegen überdurchschnittlich gut integrierte MitarbeiterInnen.

Die Fluktuationsquote im Handel in Wien liegt bei 25 bis 30 Prozent – bei den Menschen, die wir ausgebildet haben, liegt sie nur bei 12 bis 16 Prozent.

Rudi Savic, Filialleiter Spar Supermarkt

„Die Fluktuationsquote im Handel in Wien liegt bei 25 bis 30 Prozent“, rechnet Rudi Savic, der Filialleiter, vor, „bei den Menschen, die wir ausgebildet haben, liegt sie nur bei 12 bis 16 Prozent.“ Das liegt auch daran, dass diese Leute wissen, was auf sie zukommt. Der Handel ist kein Neuland mehr, das sie überraschen kann. Sie haben die 8.600 Produkte, die der Markt anbietet, kennengelernt, in Regale sortiert, an der Kassa abgerechnet und in der Feinkostabteilung zubereitet. Sie kennen die „Richtlinie Kasse“ – ein 26-Seiten-Manifest, das regelt, wie MitarbeiterInnen die Kasse zu bedienen haben.

Vorurteil der „Scheinjobs“ überwinden

So werden dann auch Vorurteile überwunden, erklärt Savic: „Die Menschen hier werden oft im Voraus abgestempelt. Dabei leisten die hier eine riesige Arbeit.“ Das gilt nicht nur für andere Unternehmen, auch die Politik qualifiziert diese Art der Arbeit als „Scheinjobs“ ab – wie Sebastian Kurz im Sommergespräch.

Dabei ist nichts weiter weg von der Wahrheit. Für das, was Kurz „Scheinjob“ nennt, fährt Dhanotha Sarbjit Kaur jeden Tag eine Stunde und zehn Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Die gleiche Strecke wieder zurück. Glücklich lernt sie hier, wie man eine Feinkostabteilung schmeißt. Brötchen backen, Käse schneiden, Wurstbrote schmieren. In Indien war sie diplomierte Apothekerin. Um in diesem Beruf weiterzuarbeiten, hätte sie hierzulande noch einmal drei Jahre studieren müssen. Doch sie brauchte dringend einen Job. Später blieb sie dann zu Hause, um sich um die Kinder zu kümmern.

Und für das, was Kurz „Scheinjobs“ nennt, ist Saad Dahbour sehr dankbar. Er war kurz davor, in seiner Heimat Syrien Anwalt zu werden. Dann musste er vor dem Krieg flüchten. Eigentlich wollte er erneut Jura studieren, doch das dauert in Österreich sehr lange. Zusammen mit seiner Frau beschloss er, erst einmal etwas Geld zu verdienen. Jetzt kümmert sie sich um das jüngst zur Welt gekommene Kind.

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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