Die Sozialhilfe sollte armutsfest sein, ist sie aber nicht

Ein Kind steht an einem Tisch und zählt Geld. Symbolbild für die mangelhafte Sozialhilfe.
Kinder und Jugendliche stellen ein Drittel der Sozialhilfeempfänger. | © Adobestock/Tobias
Seit Jänner sind in sechs Bundesländern die neuen Sozialhilfe-Ausführungsgesetze in Kraft. Verbesserungen gibt es für die Empfänger:innen allerdings kaum. Die Arbeiterkammer und die Armutskonferenz üben Kritik: Ein armutsfestes Sozialhilfegesetz muss her.

Menschen sind in Österreich unterschiedlich viel wert. Zumindest sagen das die Sozialhilfeleistungen. Wer wie viel Sozialhilfe bekommt, bestimmen mit dem neuen Sozialhilfegesetz nämlich die Bundesländer. Gleichzeitig lässt die Novelle das Ziel der Armutsbekämpfung verkümmern: „Bei dem neuen Sozialhilfegesetz ist die Armutsbekämpfung nicht mehr explizit enthalten, sondern auf Unterstützung zum Lebensunterhalt, inklusive Wohnbedarf reduziert worden“, so Sabine Rehbichler, Geschäftsführerin bei arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich. Eine Katastrophe, angesichts der aktuellen Krise, in der starke soziale Brücken notwendig wären.

Wer ist den Bundesländern wie viel Sozialhilfe wert?

Die Novelle ist ein Spiel mit dem Feuer – und mit dem Leben der knapp 200.000 Sozialhilfebezieher:innen. Das Ausmaß der Sozialhilfe variiert nämlich stark von Bundesland zu Bundesland. In Tirol, Vorarlberg und Wien lag die monatlich ausbezahlte Sozialhilfe (bzw. die Mindestsicherung für Wien, Vorarlberg und dem Burgenland) 2021 etwas über dem Schnitt. Oberösterreich hinkte hingegen weit hinterher. Hier waren es nur 573 Euro an finanziellen Leistungen. Und auch bei der Unterstützung von Paaren mit zwei Kindern zeigen sich erheblich Unterschiede. Hier ist erneut Oberösterreich am Ende der Rangliste zu finden. Gemeinsam mit Niederösterreich beläuft sich im Bundesland ob der Enns die maximale Sozialhilfe auf 1.900 Euro, während Tirol mit einem Anspruch von bis zu 2.780 Euro deutlich darüberliegt.

Ein Kind und seine Mutter arbeiten in einer alt aussehenden Küche an Hausaufgaben. Symbolbild für die mangelnde Sozialhilfe.
Alleinerziehende, die Sozialhilfe beziehen, sind besonders armutsgefährdet. Doch die Politik schläft. | © Adobestock/Halfpoint

Die Differenzen zwischen den einzelnen Bundesländern sind also enorm, was besonders Alleinstehende und Alleinerziehende trifft. Sie mussten 2021 am häufigsten um Sozialhilfe ansuchen und können durch die durchschnittliche Monatsleistung der Sozialhilfe von 712 Euro ihren Alltag mehr schlecht als recht bestreiten. Zum Vergleich: Die Armutsgefährdungsschwelle liegt bereits bei 1.371 Euro netto monatlich. Neben ganzjährig Arbeitslosen (57 Prozent), sind deshalb besonders Alleinerzieher:innen stark armutsgefährdet. Eine lebenssichernde Sozialhilfe und ein krisen- und armutsfestes Sozialhilfegesetz sollte sie eigentlich auffangen.

Leidwesen Anführungsgesetze

Vergangenen Juni ist allerdings eine Novelle zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz rechtsverbindlich geworden, die Armut immer näher rücken lässt. Mit dieser Novelle wurde den Bundesländern ein größerer Spielraum bei der Ausgestaltung der Sozialhilfeleistungen zugesichert. Diese Anführungsgesetze wurden von Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Kärnten und Vorarlberg mit 1. Jänner 2023 auch direkt umgesetzt – zum Leidwesen der Empfänger:innen.

„Durch die Abschaffung der Mindestsicherung (BMS) und Einführung der Sozialhilfe durch die türkis-blaue Bundesregierung haben sich eine Reihe von Regelungen im Bereich der Sozialhilfe verschlechtert. Darüber hinaus erfolgte durch die neue Sozialhilfe wieder eine massive Uneinheitlichkeit der Regelungen österreichweit“, sagt Iris Woltran, Mitarbeiterin der Abteilung Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der Arbeiterkammer Oberösterreich.

Kaputte Brücke Sozialhilfe

Die Armutskonferenz, zu der unter anderem arbeit plus, die Diakonie und die Arbeiterkammer gehören, bezeichnet das neue Sozialhilfegesetz als „kaputte Brücke, die über einen reißenden Fluss bricht.“ „Die Sozialhilfe versagt in der Krise. Und niemand schaut hin. Die Folgen für Menschen mit Behinderungen, beim Wohnen, für Frauen in Not, bei der Gesundheit, für Kinder und Familien sind massiv. Die Verschlechterungen treffen alle“, sagt Martin Schenk, Mitbegründer der Armutskonferenz und Sozialexperte der Diakonie Österreich.

Für Sozialhilfebeziehende braucht es
höhere Leistungen angesichts der Teuerung,
denn die ‚Einmalzahlungen‘ des Bundes verpufften zu schnell. 

Iris Woltran, Mitarbeiterin der Abteilung Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der Arbeiterkammer Oberösterreich.

Bezug von Wohnbeihilfe führt zu Kürzungen

Die Leistungen aus der neuen Sozialhilfe sind außerdem an vielen Stellen zu gering. „Die Leistung für die zweite volljährige Person im Haushalt wurde von 75 Prozent des Nettoausgleichszulagenrichtsatzes (NAZ) im Bereich der BMS auf lediglich 70 Prozent reduziert, die Leistung ab der dritten leistungsberechtigten Person von 50 Prozent auf 45 Prozent verringert und es gibt einen ‚Wildwuchs‘ im Bereich der Richtsätze für Kinder“, nennt Woltran von der AK ein Beispiel.

Die Expertin weist zusätzlich auf die Problematik Wohnbeihilfe hin. „Die gänzliche Anrechnung der Wohnbeihilfe verschärft beziehungsweise kürzt die Sozialhilfe für Bedürftige und auch der Wohnbedarf ist in den Bundesländern uneinheitlich beziehungsweise ungenügend geregelt.“ Das betont auch Schenk. „Eine weitere massive Verschlechterung betrifft die Leistungen fürs Wohnen, denn die Wohnbeihilfe wird jetzt von den zuständigen Behörden einbehalten“, so der Sozialexperte der Diakonie.

Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik gehen Hand in Hand

Die Armutskonferenz schlägt deshalb „19 Punkte für eine bessere Mindestsicherung“ vor. „Gemessen an den Gesamtsozialausgaben entsprechen die Ausgaben für die Sozialhilfe einem Anteil von 0,9 Prozent, gemessen am Gesamtbudget Österreichs nur 0,4 Prozent“, erklärt Schenk. Eine bessere Mindestsicherung, die den ärmsten drei Prozent der Bevölkerung hilft, und sie nicht in die Armut rutschen lässt, ist notwendig. Effektive Soforthilfe, kürzere Entscheidungsfristen, Ausbildungsoptionen und weiteren Maßnahmen sind die Stichworte.

Dass Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik Hand in Hand gehen müssen, ist für Sabine Rehbichler von arbeit plus eine Selbstverständlichkeit. „Das gilt für alle erwerbsarbeitslose Menschen und insbesondere für die Gruppe von Sozialhilfeempfänger:innen. Sinnvoll wäre für diese Gruppe eine Arbeitsmarktbindung, doch dazu bräuchte es gezielte Unterstützung, Begleitung, Stabilisierung und nicht Druck, um jeden Preis eine Tätigkeit am ersten Arbeitsmarkt aufzunehmen, um zu dessen ‚optimaler Funktionsfähigkeit‘ beizutragen“, so die Geschäftsführerin.

Höhere Leistungen statt Einmalzahlungen

Eine armutsfeste Sozialhilfe sollte außerdem in regelmäßigen Abständen an die Inflation angepasst werden, empfiehlt Woltran von der AK. „Für Sozialhilfebeziehende braucht es höhere Leistungen angesichts der Teuerung, denn die ‚Einmalzahlungen‘ des Bundes verpufften zu schnell. Daher ist es wichtig, eine armutsfeste Leistung österreichweit einzuführen und diese auch regelmäßig an die Teuerung anzupassen.“

Die Empfehlung der Arbeiterkammer an die Politik? Die Mindestsicherung wieder österreichweit und armutsfest in Kraft treten zu lassen. Und auch eine höhere Förderung für Kinder und für den Wohnbedarf soll endlich Berücksichtigung finden, so die Arbeiterkammer.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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