Firmen kämpfen gegen Boom von Betriebsräten

Illustration (C) Miriam Mone
Die Bedeutung von Gewerkschaften und Betriebsräten für Arbeitnehmer*innen wächst. Gerade in der Coronapandemie. Es kommt deswegen zu immer mehr Neugründungen. Doch Unternehmen versuchen, sie zu verhindern.
Es hätte ein historischer Moment werden können: Ende März stimmten Mitarbeiter*innen eines Amazon-Zentrums im US-Bundesstaat Alabama über die Gründung einer Gewerkschaft ab. Die Mitarbeiter*innen kämpfen vor allem um bessere Arbeitsbedingungen. Denn während das Unternehmen 2020 trotz Krise wesentlich höhere Profite als im Jahr zuvor einfuhr, wird praktisch jeder Schritt der Arbeiter*innen im Verteilerzentrum von Algorithmen und Robotern kontrolliert. Zudem wurde Amazon kritisiert, dass es viele Sicherheitsmaßnahmen gegen das Virus einfach nicht umgesetzt hat. Doch: Die Gewerkschaftsgründung wurde abgelehnt.

Aus österreichischer Sicht mag das nicht sehr aufregend klingen, doch für die USA wäre es eine kleine Sensation gewesen: In der Heimat des Online-Händlers wäre es die erste Gewerkschaftsgründung bei Amazon, dem zweitgrößten privaten Arbeitgeber des Landes. Seit sieben Jahren gab es keine Abstimmung mehr darüber. Zudem sind gewerkschaftliche Mitbestimmung und Betriebsräte in den USA – besonders in den Südstaaten wie Alabama – historisch betrachtet eine Seltenheit. Das Bestreben der Mitarbeiter*innen hat dann auch national Wellen geschlagen, mehrere Politiker*innen haben sich mit mahnenden Worten an den Konzern gewandt. Denn Amazon wollte mit allen Mitteln verhindern, dass sich die Mitarbeiter*innen organisieren.

Amazon und die US-Gewerkschaften
Proteste im Frühjahr 2020 vor dem Amazon-Logistikzentrum.

Konsequenz aus der Krise

Dass diese Abstimmung ausgerechnet während einer globalen Pandemie stattfindet, ist symptomatisch für den Wunsch nach mehr Mitbestimmung. Denn die Krise hat Angestellte und Arbeiter*innen noch deutlicher vor Augen geführt, wie abhängig sie von ihren Arbeitgebern sein können. Der Trend geht jedoch seit Jahrzehnten in eine andere Richtung: Seit 1985 hat sich etwa die Zahl der Mitgliedschaften bei Gewerkschaften in OECD-Ländern halbiert.

Im internationalen Vergleich kann man Österreich als Bollwerk bezeichnen. „Wir haben ein sehr gut ausgebildetes System der betrieblichen Mitbestimmung, das viele andere Länder nicht aufweisen“, sagt Bettina Stadler von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeit (FORBA). Dieses System hat starke historische Wurzeln – erst vor zwei Jahren wurde das 100-jährige Bestehen des Betriebsrätegesetzes gefeiert. Tatsächlich entstammte die Idee damals der Rätebewegung. Die Arbeiterräte agierten außerhalb der Betriebe und wollten durch Betriebsräte die Fabriken von innen heraus verändern. Otto Bauer, der zu einem großen Teil für das Betriebsrätegesetz verantwortlich war, teilte dieser Institution durchaus revolutionäre Aufgaben zu.

Sobald der Druck durch Gesetze wegfällt, die Mitbestimmung zu pflegen, machen die Unternehmen das aus Eigeninteresse nicht mehr. 

Bettina Stadler, FORBA

Heute sind Betriebsräte vorrangig für die Vertretung der Interessen ihrer Mitarbeiter*innen da. „Dass Betriebsrätinnen und Betriebsräte innerhalb des Betriebs angesiedelt sind und dort auch gesetzlich zur Mitwirkung verpflichtet sind, unterscheidet Österreich von anderen Ländern“, so Stadler. Betriebsräte seien – auch wenn es in der Praxis oft verschwimmt – gesetzlich strikt von den Gewerkschaften getrennt. Diese agieren wiederum grundsätzlich außerhalb des Betriebes, was in vielen anderen Ländern unüblich sei. „Es gibt dort auch durchaus Situationen, in denen nicht nur eine, sondern verschiedene Gewerkschaften im Betrieb aktiv sind – und die dann durchaus auch zueinander in Konkurrenz stehen können“, erläutert Stadler.

Dass es gesetzliche Rahmenbedingungen für die Mitbestimmung im Betrieb brauche, zeige sich laut Stadler auch ganz deutlich dann, wenn österreichische Betriebe Zweigstellen in anderen Ländern eröffnen. Diese würden die betriebliche Mitbestimmung, die in ihrer Heimat gelebt wird, nicht mitnehmen. „Sobald der Druck durch Gesetze wegfällt, die Mitbestimmung zu pflegen, machen die Unternehmen das aus Eigeninteresse nicht mehr“, so Stadler. Teilweise würden die Betriebe die ohnehin schon niedrigeren Standards dann noch unterlaufen.

Manager*innen stehen auf Betriebsräte

In Österreich wird das Konzept der Betriebsräte wiederum häufig, vor allem von neoliberaler Seite, als antiquiert und überholt dargestellt. Dabei ist es durchaus beliebt – und zwar nicht nur bei Mitarbeiter*innen oder Betriebsrät*innen selbst, sondern auch im Management. Das unterstreicht zum Beispiel eine OECD-Studie aus dem Jahr 2019. Dabei wird Österreich besonders lobend erwähnt. Auch die Ergebnisse der Europäischen Unternehmenserhebung, die in regelmäßigen Abständen durch eine Agentur der EU durchgeführt wird, zeigen dieses Bild. Bereits 2013 gaben etwa über 90 Prozent der befragten Manager*innen an, dass die Einbindung des Betriebsrates zu mehr Engagement der Mitarbeiter*innen führen kann. 95 Prozent finden, dass dem Betriebsrat vertraut werden kann. Und die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass umfassende Praktiken der Mitbestimmung sowohl für Beschäftigte als auch für das Unternehmen positive Auswirkungen haben.

Das habe sich auch in der Pandemie gezeigt: „Wir sehen etwa in einer Studie aus dem Einzelhandelsbereich, dass die Betriebsrätinnen und Betriebsräte eine sehr wichtige Rolle einnahmen. Das betrifft besonders die Vermittlung von Information, etwa im Zuge der Kurzarbeit“, sagt Stadler. Die Pandemie hat in vielen Betrieben die normalen Abläufe über den Haufen geworfen. Betriebsrät*innen konnten vielfach dafür sorgen, dass schnell auf die aktuelle Situation reagiert werden konnte, ohne Mitarbeiter*innen zu übergehen. Eine Studie des IFES zeigt darüber hinaus, dass Unternehmen, die einen Betriebsrat haben, besser durch die Krise kamen.

Wir sehen etwa in einer Studie aus dem Einzelhandelsbereich, dass die Betriebsrätinnen und Betriebsräte eine sehr wichtige Rolle einnahmen. Das betrifft besonders die Vermittlung von Information, etwa im Zuge der Kurzarbeit.

Da überrascht es wenig, dass schon während der Pandemie das Revival der Sozialpartnerschaft in Österreich gefeiert wurde. Im Jahr 2021 kam es zu 200 Neugründungen von Betriebsräten. Deren Stärke zeigt sich besonders in Krisen – ist sie doch nach 1945 selbst in einer solchen entstanden. Die Bedeutung von betrieblicher Mitbestimmung und gewerkschaftlicher Organisation erscheint in solchen Phasen wichtiger als zuvor. Doch die aktuelle Situation könnte vor allem als Katalysator einer Entwicklung dienen, die teilweise schon zuvor eingesetzt hat.

Schon 2018 begann etwa Neuseeland, an dem Konzept der „Fair Pay Agreements“ zu arbeiten. Dadurch sollen Arbeitnehmer*innen und deren Vertreter*innen, ähnlich wie bei österreichischen Kollektivverträgen, eine Möglichkeit zur Mitbestimmung bei sektorspezifischen Arbeitsbedingungen haben. Noch in den 1990er-Jahren hat das Land verstärkt auf die Abschaffung von Gewerkschaften und Deregulierung des Arbeitsmarktes gesetzt. Auch die OECD hat 2019 mit „Negotiating Our Way Up“ ein Programm vorgestellt, das die kollektive Mitbestimmung von Arbeiter*innen und Angestellten stärken soll.

Verzehnfacht

Alan Manning, Professor für Ökonomie an der London School of Economics, weist gegenüber der „Financial Times“ darauf hin, dass junge Ökonom*innen mittlerweile verstärkt auf die ungerechte Verteilung von Arbeit und Kapital hinweisen. Diese Ungleichheit ist während der Krise für viele noch stärker spürbar. Und um das auszugleichen, organisieren und vernetzen sich vermehrt junge Leute. So hat die britische Plattform „Organise“, die sich der Vernetzung von Arbeiter*innen verschrieben hat, ihre Mitgliederzahl während der Pandemie von 100.000 auf eine Million verzehnfacht.

Sogar in den USA, wo das Konzept der Mitbestimmung im Arbeitsbereich fast anrüchig anmutet, hat der aktuelle Präsident Joe Biden bereits mehrere Schritte gesetzt, um Gewerkschaften und Arbeiter*innenrechte zu stärken. Nicht zuletzt hat auch er Amazon gewarnt, ihre Kampagne gegen die Bildung einer Gewerkschaft fortzusetzen.

Es sind aber nicht nur in den USA häufig die großen Konzerne, die sich aktiv gegen Mitbestimmung ihrer Mitarbeiter*innen wehren. So kam etwa eine Studie in Deutschland zu dem Schluss, dass zuletzt jede sechste Betriebsrats-Neugründung durch Arbeitgeber verhindert wurde. Das könnte auch ein Grund dafür sein, warum die Zahl der Betriebsrät*innen in vielen Ländern sinkt.

Red Bull und Douglas

Auch in Österreich sind solche Methoden bekannt. Teilweise werden sie sehr offen angewendet: So hat etwa Dietrich Mateschitz, Red-Bull-Milliardär und Eigentümer von ServusTV, 2016 damit gedroht, den Fernsehsender zu schließen, weil in der Belegschaft eine Umfrage geteilt wurde, ob Interesse an der Gründung eines Betriebsrats bestehe. Die Mitarbeiter*innen waren bereits beim AMS gemeldet – erst ein Brief, in dem die Belegschaft versicherte, keinen Betriebsrat gründen zu wollen, besänftigte Mateschitz. Auch die Parfümeriekette Douglas soll mehrere Frauen gekündigt haben, weil diese einen Betriebsrat gründen wollten. Eine der Kündigungen hat das Unternehmen letztes Jahr aufheben müssen.

Was man vielleicht voraussagen kann, ist, dass sich neoliberale Tendenzen, die es vor allem in den 1990er- und 2000er-Jahren gab, nicht mehr so durchsetzen werden.

Betriebliche Mitbestimmung ist also auch in Österreich keine Selbstverständlichkeit. Doch die Krise hat nicht nur bei uns gezeigt, wie wichtig Betriebsräte und Gewerkschaften sind. Wie es nach der Pandemie weitergehe, könne man laut Stadler nicht prophezeien: „Was man vielleicht voraussagen kann, ist, dass sich neoliberale Tendenzen, die es vor allem in den 1990er- und 2000er-Jahren gab, nicht mehr so durchsetzen werden.“ Ob die Aufwertung der Mitbestimmung Bestand hat, wird sich aber hoffentlich früher als später weisen.

Über den/die Autor:in

Sebastian Panny

Sebastian Panny ist Journalist und Historiker in Ausbildung aus Wien. Als solcher will der Exil-Oberösterreicher jene Prozesse, die sich hinter Geschichten und Geschichte abspielen, in den Vordergrund rücken – sofern er nicht auf Twitter festhängt.

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