Interview: Der bittere Beigeschmack der süßen Ananas

Arbeiter in einer Ananasplantage. Er steigt durch die Plantage und hält mit einer Hand eine Ananas in der Luft. Symbolbild für die schlechten Arbeitsbedingungen in Ananasplantagen in Costa Rica.
Schuften für die Anderen: Arbeiter:innen auf Bananen- und Ananasplantagen haben mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. | © Adobestock/Tarina Rodriguez
20 Euro Tageslohn, Pestizidnebel und lange Arbeitstage: Auf den Bananen- und Ananasplantagen Costa Ricas sind schlechte Arbeitsbedingungen an der Tagesordnung. Im Interview erklärt Didier Leiton, Generalsekretär der Plantagengewerkschaft SITRAP, wie sich die Arbeiter:innen dagegen wehren.
Didier Leiton ist Generalsekretär der Plantagenarbeiter:innen-Gewerkschaft SITRAP in Costa Rica. Mit Unterstützung von Oxfam deckte seine Gewerkschaft Menschenrechtsverletzungen bei Ananas – und Bananenlieferanten deutscher Supermarktketten auf und drohte mit Klagen nach dem deutschen Lieferkettengesetz. Das hatte Folgen. Die deutschen Supermarktketten Aldi und Lidl erklärten sich bereit, gemeinsam mit SITRAP nach Lösungen vor Ort zu suchen. Nach dem jüngsten Entscheid in Brüssel, das Gesetz europaweit zu regeln, werden sich auch die bisher zögerliche österreichische Regierung und die Wirtschaftsverbände damit auseinandersetzen müssen. 80 Prozent der Ananas in europäischen Supermärkten stammen aus Costa Rica.

Arbeit&Wirtschaft: Seit wann befassen Sie sich mit dem Plantagensektor?

Didier Leiton: Ich habe 1982 mit 15 Jahren auf einer Bananenplantage angefangen zu arbeiten. Von Gewerkschaften wusste ich damals nichts. 1996 habe ich SITRAP kennen gelernt, bin ihr beigetreten, wurde dafür 2001 von Del Monte entlassen und 2011 zum Generalsekretär ernannt. Ich habe 20 Jahre auf den Plantagen und 23 Jahre als hauptamtlicher Gewerkschafter gearbeitet. Ich kenne den Widerspruch zwischen dem guten Image Costa Ricas als der Schweiz Mittelamerikas und der fehlenden Akzeptanz von Arbeitsrechten und der Gewerkschaftsfreiheit sehr gut.

Nach den Bananenplantagen hat sich in Costa Rica in den 1990er Jahren eine Ananasproduktion entwickelt, die einen Exportwert von über einer Milliarde Dollar hat und damit die Nummer eins auf dem Weltmarkt ist. Wie unterscheiden sich diese beiden Sektoren?

Wir rechnen mit gut 60.000 Beschäftigten in der Ananasproduktion und etwa 50.000 im Bananensektor. Die Unternehmen geben niedrigere Zahlen an, da sie die vielen migrantischen Arbeiter:innen, insbesondere aus Nicaragua, ungern mitzählen, weil diese oft nicht korrekt sozialversichert sind.

Didier Leiton.
Didier Leiton kämpft für bessere Arbeitsbedingungen auf den Plantagen. | © Privat

Vielfach agieren in beiden Sektoren die gleichen Unternehmen, wie beispielsweise die Multis Dole und Del Monte, aber auch die nationale Acón-Gruppe mit über 30 Bananen- und fünf Ananasplantagen und 13.000 bis 14.000 Arbeiterinnen und Arbeitern mischt mit. Die Arbeitsbedingungen sind ähnlich, in der Ananasproduktion wegen des höheren Pestizideinsatzes noch etwas problematischer, und die Ananasplantagen gleichen einer Wüste, ohne jeden Schatten und Schutz. Die Unternehmen in Costa Rica wollen keine Gewerkschaften auf den Ananasplantagen, sie beschäftigen sogar religiös ausgerichtete Beratungsfirmen, die eine explizit gewerkschaftsfeindliche Philosophie vertreten.

Aber es ist doch nicht illegal, sich einer Gewerkschaft anzuschließen.

Nein. Die Gesetze sind da, aber es hapert an der Umsetzung. Wer eine Gewerkschaft aufbauen will, wird von den Unternehmen als konfliktive Person oder faul dargestellt. Gewerkschafter werden in Costa Rica regelmäßig entlassen.

Aber das ist illegal …

Es ist illegal, doch man muss dagegen vors Arbeitsgericht ziehen, und solche Prozesse dauern sehr lange. Bei Pinafrut (Lieferant von Lidl, Anm. d. Red.) zum Beispiel haben wir nach elf Jahren gewonnen, und die drei entlassenen Gewerkschafter müssten jetzt alle ausstehenden Löhne erhalten, aber so ein Urteil durchzusetzen, ist in Costa Rica fast unmöglich.

Der psychologische Druck, der von solchen Entlassungen ausgeht, ist groß. Andere Kolleg:innen hatten Angst, dass ihnen das Gleiche passieren würde. Ihnen wurde angedroht, dass ihre Familienangehörigen keine Arbeit mehr finden würden. Gleichzeitig bietet das Management den verbliebenen Arbeiter:innen eine bessere Bezahlung an, wenn sie aus der Gewerkschaft austreten. Solch eine schmutzige Kampagne, die nicht nur auf Druck, sondern auch auf Terror setzt, führt dazu, dass viele Arbeiter:innen Angst haben, sich einer Gewerkschaft anzuschließen. Maximal 6 bis 7 Prozent aller Beschäftigten sind in den Plantagen gewerkschaftlich organisiert. Die meisten kämpfen mit gesundheitlichen Problemen, langen Arbeitstagen und Hungerlöhnen.

Die Arbeiter:innen erhalten also nicht das, was ihnen per Gesetz zusteht.

Einige Rechte werden eingehalten, wie bezahlter Urlaub oder das 13. Monatsgehalt, auch die Sozialversicherung wird bezahlt. Aber unsere Gesetze sind schlecht. Der gesetzliche Mindestlohn beträgt gerade einmal 11.738 Colones (20,47 Euro) pro Tag, und viele Unternehmen umgehen ihn durch ein ausbeuterisches Stücklohnsystem. Für ein menschenwürdiges Leben ist ein Lohn von mindestens 25.000 Colones (43,60 Euro) nötig.

Noch schlechter geht es den vielen Beschäftigten, die für Subunternehmen arbeiten. Einige Betriebe beschäftigen Nicaraguaner:innen ohne gültige Papiere. Im Juni haben wir einen Fall in der Plantage Friman der Arcón-Gruppe aufgedeckt, die Arbeiter:innen wie Sklav:innen beschäftigte. Sie hatten keine Sozialversicherung, keine gültigen Papiere und arbeiteten sogar unter falschem Namen. Ähnlich wurde bei Jardin del Tigre verfahren, wo im Büro falsche Arbeitsausweise hergestellt wurden. Für diese Plantagen haben wir gemeinsam mit Oxfam Klagen an Aldi und Lidl vorbereitet, die von diesen Betrieben beliefert werden. Unsere zentrale Forderung ist, dass alle Arbeiter:innen einen Festvertrag direkt mit der Firma haben sollten.

Und Aldi und Lidl zeigen sich gesprächsbereit?

Tatsächlich haben beide Supermärkte zunächst positiv reagiert. Mit Lidl hat es bereits Gespräche gegeben und wir hoffen, dass es Anfang 2024 zu einem Treffen mit Lidl, Arcón und unserer Gewerkschaft kommt. Ein Vertreter von Aldi ist nach Costa Rica gereist, hat unter anderem Jardin de Tigres besucht und nicht nur mit dem Management gesprochen, sondern auch mit Arbeiter:innen, die von fehlendem Respekt für ihre Rechte berichten. Wir fordern jetzt direkte Verhandlungen zwischen Unternehmen und Gewerkschaften, an denen Oxfam als eine Art Garant teilnehmen sollte.

Bieten die neuen Lieferkettengesetze mehr Perspektiven als die Zertifizierungen, die es seit vielen Jahren gibt?

Dazu habe ich eine klare Sicht: Viele Auditoren und Zertifizierer sind Komplizen von Menschenrechtsverletzungen, sie verkaufen Menschenrechte und machen ein gutes Geschäft damit. Sie werden ja für ein Audit, für eine Zertifikation bezahlt, während gleichzeitig die Arbeiter:innen sehr schlecht leben. Ganz deutlich wurde das bei der schon erwähnten Friman-Plantage. Der Subunternehmer hatte sein Personal seit vier Jahren auf der Plantage. Zwei Monate bevor wir den Skandal öffentlich gemacht haben, hat Rainforest Alliance dort ihren Audit durchgeführt – und nichts gefunden. Sie haben ihnen ihren grünen Frosch verliehen und sind damit direkte Komplizen bei der Verletzung von Arbeits- und Menschenrechten. Die Zertifizierungen der Plantagen sind nicht mehr als Betrug und Manipulation der Verbraucher:innen und Supermärkte, die erwarten fair produzierte Früchte zu erhalten. Die einzige Organisation, die über die Einhaltung der Arbeitsrechte Auskunft geben kann, ist eine unabhängige Gewerkschaft.

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Über den/die Autor:in

Frank Braßel

Historiker und Journalist. Langjähriger Mitarbeiter der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN und der Entwicklungsorganisation Oxfam. Von 2005-2011 Berater im unabhängigen Agrarforschungszentrum SIPAE in Quito/Ecuador.

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