Wenn Protest Früchte trägt: Branchengewerkschaft in Ecuadors Bananenindustrie

Eine Frau auf einer Bananenplantage hält Bananen in der Hand. Symbolbild für die Einschränkung von der Branchengewerkschaftn in Ecuador.
Bitterer Preis für die süße Frucht: Für ihre Rechte sollen Beschäftigte der Bananenindustrie nicht eintreten dürfen, so die Regierung. | © RODRIGO BUENDIA / AFP / picturedesk.com
Nur, weil etwas nicht verboten ist, muss es noch lange nicht erlaubt sein: Gegen Branchengewerkschaften in Ecuador ziehen Unternehmer:innen und Regierung an einem Strang. Beschäftigte sollen bei dem weltweit größten Lieferanten von Bananen nicht für ihre Rechte eintreten dürfen. Eine erste Anerkennung der Branchengewerkschaft wurde jetzt allerdings erreicht.
Um eine Branchengewerkschaft in Ecuador zu gründen, müssen sich mindestens 30 dauerhaft Beschäftigte einer Firma finden und die Gründungsurkunde mit allen Namen beim Arbeitsministerium einreichen. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung und des ecuadorianischen Forschungsinstituts IEE aus dem Jahr 2022 zeigt am Beispiel der Bananenindustrie anschaulich, was dann passiert.  Einige Kolleg:innen wurden eingeschüchtert, anderen Geld angeboten, wenn sie ihre Unterschrift zurückziehen.

In einigen Fällen wurde sogar „entdeckt“, dass die Person vom Betrieb nicht sozialversichert wurde und sie deshalb nicht „ordentlich“ beschäftigt war. Und wer dennoch hartnäckig blieb, wurde entlassen. Die Studie zählt eine ganze Reihe solcher Fälle von Gewerkschaftsunterdrückung auf – und zwar bei großen Agrarunternehmen, die Bananen an europäische Supermarktketten liefern.

Branchengewerkschaft in Ecuador: Jahrelanger Rechtsstreit

„Wir haben seit Jahren diese Repressionen erlebt und daraus unsere Lehren gezogen: Es braucht eine Branchengewerkschaft für den gesamten Sektor mit seinen 200.000 Arbeiter:innen“, erläutert Jorge Acosta, Gründer von ASTAC, der Gewerkschaft der Land- und Bananenarbeiter*innen. Als solche haben sie sich unabhängig im Februar 2014 gegründet, wie es ihnen von Gesetz her zusteht. Das Arbeitsministerium lehnte jedoch den entsprechenden Antrag ab. Die Folge war ein jahrelanger Rechtsstreit. Das Ministerium entschied stets negativ, da die Mitglieder in verschiedenen Betrieben arbeiteten und deshalb vermeintlich nicht einer Gewerkschaft angehören könnten.

Die Justiz ist in Ecuador meistens
aufseiten der Unternehmen.

Jorge Acosta, Gründer von ASTAC

„Das ist juristisch falsch“, sagt Gabriel André Otero Trujillo vom CIDDT (Zentrum für Studien und Verteidigung des Rechts auf Arbeit), einem jungen Anwaltskollektiv in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. „Sowohl im internationalen Recht als auch in unserer Verfassung und Arbeitsrecht wird die Vereinigungsfreiheit anerkannt und eine Branchengewerkschaft an keiner Stelle ausgeschlossen.“ Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hatte 2017 und 2019 die ecuadorianische Regierung mit deutlichen Worten aufgefordert, ASTAC endlich formal zu registrieren.

Öffentliche Entschuldigung

Es war eine kleine Sensation, als im April 2021 ein Gericht das Arbeitsministerium verpflichtete, ASTAC als Branchengewerkschaft anzuerkennen und öffentlich um Entschuldigung für die bisherige Blockadepolitik zu bitten. Das Ministerium kam beiden Schritten nach. „Damit hatten wir nicht gerechnet, denn die Justiz ist in Ecuador meistens aufseiten der Unternehmen“, erklärt Jorge Acosta.

„Sicher war der langjährige Protest von Gewerkschaften und NGOs aus den Ländern, wo unsere Bananen verkauft werden, hilfreich.“ In Österreich haben sich Südwind und „weltumspannend arbeiten“ des ÖGB für ASTAC engagiert. Inzwischen hat die Regierung Widerspruch gegen das Urteil eingelegt und verzögert seine Umsetzung.

„Ich bezeichne mich oft als ‚Sklavin‘“

„Dieses Urteil hat andere Sektoren motiviert, über die Gründung von Branchengewerkschaften nachzudenken“, erläutert Angie Toapanta vom CIDDT. „Wir arbeiten hierzu u.a. mit Beschäftigen der Filmbranche, Hausangestellten und selbstständig Erwerbstätigen.“ Besonders aktiv sind Beschäftigte von digitalen Plattformen. „Ich bezeichne mich oft als ‚Sklavin‘ von Rappi, einem großen Essenauslieferer, wo Bestellungen übers Internet eingegeben werden. Es gibt keinerlei Vertrag, keinerlei Sozial- und Krankenversicherung, keinen festen Lohn, keine feste Arbeitszeit, alles berechnet sich nach den Aufträgen“, empört sich Carolina Hevia de Brandts. „Oft warten wir stundenlang, und dann bekommen wir gerade einen Dollar pro Auftrag.“

Porträt von Carolina Hevia de Brandts.
Carolina Hevia de Brandts: „Es gibt keinerlei Vertrag, keinerlei Sozial- und Krankenversicherung, keinen festen Lohn, keine feste Arbeitszeit, alles berechnet sich nach den Aufträgen.“

Die junge, energiegeladene Frau ist Vorsitzende der Gewerkschaft FrenApp, in der sich seit Oktober 2021 Beschäftigte diverser digitaler Plattformen organisiert haben. Etwa 150.000 dieser „selbstständigen Mitarbeiter:innen“ soll es auf den Straßen Ecuadors geben, darunter 80 Prozent Migrant*innen, die Mehrzahl wie Carolina aus Venezuela. Den ersten Antrag auf Gründung einer Branchengewerkschaft von FrenApp hat die Regierung abgelehnt.

Auf Seite der Unternehmen

Woher rührt der Widerstand der ecuadorianischen Regierung, grundlegende Arbeitsrechte in der Praxis umzusetzen? „Traditionell stehen unsere Regierungen aufseiten der Unternehmen. Das war in Bezug auf Gewerkschaftsrechte selbst unter der linken Regierung von Rafael Correa so“, analysiert Sylvia Bonilla vom CIDDT. „Wir sehen auch immer wieder Unternehmensvertreter im Kabinett. So kam der letzte Landwirtschaftsminister aus dem Imperium des Bananenproduzenten und bekannten Gewerkschaftsgegners Álvaro Noboa.“

Wenn eigene kleine Machtpositionen behindern

Selbst innerhalb der wenigen existierenden Gewerkschaften – der Organisationsgrad beträgt keine drei Prozent in dem Andenstaat – gibt es in Ecuador teilweise Zurückhaltung zum Konzept Branchengewerkschaft. Offenbar gibt es Sorgen, Erreichtes wieder zu verlieren, auch eigene kleine Machtpositionen. Zaghaft zeigt sich ein Umdenken bei den traditionellen Führungspersönlichkeiten, analysieren die Kolleg*innen vom CIDDT. Lohnen würde es sich auf jeden Fall.

„Das Urteil hat den Beschäftigten mehr Vertrauen in unsere Arbeit und ihr Engagement gegeben“, erläutert Maricela Guzmán, Regionalkoordinatorin von ASTAC. „Damit ergibt sich erstmals die Möglichkeit von Tarifverhandlungen für alle Arbeiter*innen in den Bananenplantagen. Aber natürlich sind wir nicht naiv: Es wird weiterhin Repressionen vonseiten der Unternehmen geben, wenn sich die Menschen für ihre Rechte zusammenschließen. Wir denken zum Beispiel darüber nach, welche Fortbildungen wir anbieten können, damit entlassene Kolleg:innen sich eine eigene Existenz aufbauen können.“

Der Widerspruch des Arbeitsministeriums gegen das ASTAC-Urteil liegt inzwischen beim Verfassungsgerichtshof. Mit seinem Entscheid wird nicht vor dem kommenden Jahr gerechnet.

Über den/die Autor:in

Frank Braßel

Historiker und Journalist. Langjähriger Mitarbeiter der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN und der Entwicklungsorganisation Oxfam. Von 2005-2011 Berater im unabhängigen Agrarforschungszentrum SIPAE in Quito/Ecuador.

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